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Nach seinem umjubelten Spielfilmdebüt „Sie küßten und sie schlugen ihn“ wandte sich François Truffaut bei seinem nächsten Werk einem anderen Metier zu und kreierte mit „Schießen Sie auf den Pianisten“ eine überaus ironische und spannende Hommage an die klassischen Gangster-Filme der USA, nicht ohne seinen eigenen Stil miteinfließen zu lassen.

Der ehemalige Klaviervirtuose Charlie (Charles Aznavour) hat sich nach einem dramatischen Zwischenfall aus dem Rampenlicht zurückgezogen und arbeitet nun in einer kleinen Tanzbar unter falschem Namen als Pianist. Mehr oder weniger kommt er über die Runden, doch seine halbwegs heile Welt gerät aus den Angeln als sein Bruder Chico auftaucht, der auf der Flucht vor zwei Gangstern ist. Widerwillen werden Charlie und die hübsche Serviererin Léna (Marie Dubois), auf die Charlie zufälligerweise ein Auge geworfen hat, mit in die Angelegenheit hineingezogen und als dann auch noch der jüngste Bruder Fido entführt wird, ist die Zeit des Handelns angebrochen...

Es ist schwer den Film einem Genre zuzuordnen, zu oft wechselt die Grundstimmung, wird der Zuschauer aus einer „Umgebung“ in eine andere mitgenommen. Beginnt der Film nach einem wunderbaren Establishing Shot, in dem dem Zuschauer das Innere eines Pianos gezeigt wird, mit einer hastigen Verfolgungsjagd durch die dunklen Straßen der Großstadt – ich vermute Paris – ganz im Stile der klassischen Gangsterfilme, nimmt sich Truffaut plötzlich die Zeit, um einen anscheinend banalen Dialog über Hochzeiten mit einem Passanten einzufügen, nur um dann wieder Fahrt aufzunehmen und die Jagd weiterführen zu lassen. Ähnliche Unterbrechungen dieser Art lassen sich im ganzen Film wiederfinden. Sobald es den Anschein hat, als würde „Schießen Sie auf den Pianisten“ zu sehr den Genrenormen folgen, wird der Zuschauer aus der Szenerie entführt und ihm etwas Anderes, Ungewohntes präsentiert. Zu meist bedient sich der Regisseur dabei komödiantischer, schon fast ins Satirische abgleitender Passagen oder aber er streut wunderbar romantische Szenen ein, die im starken Gegensatz zu den vorher gezeigten Abschnitten stehen. Besonders erwähnenswert sind hier sicherlich die Gedankenspiele des überaus schüchternen Charlie, wie er mit sich selbst ringt, die Initiative zu übernehmen und Léna anzusprechen und als er dies endlich machen möchte, ist diese dann verschwunden. Dieses Hineinversetzen in die Gedankenwelt Charlies ist auch ein beliebtes Motiv in diesem Film und dadurch wird die Verbindung zum Zuschauer weitaus stärker gefestigt. Es bedarf übrigens auch keines Quentin Tarantino, um markante Dialoge zu schreiben. Hier ist die Szene im Auto der beiden Gangster mehr als herausstechend, wo mit voller Inbrunst über Themen diskutiert wird, die in der Situation, in der sich Charlie und Léna befinden, mehr als unpassend sind. Niemand wird dabei die Stelle vergessen, in der einer der beiden Entführer davon spricht, dass seine Großmutter sofort tot umfallen solle, falls er nicht die Wahrheit spräche, daraufhin ein Schnitt erfolgt und wir eine nach hinten fallende, ältere Dame sehen. Eine bessere Darstellung des Truffaut’schen Humors gibt es im ganzen Film nicht. Sicherlich dürften einige Zuschauer mit diesen sprunghaften Wechseln Probleme haben, da sie darauf vielleicht nicht eingestellt waren, doch auch im wahren Leben verläuft nicht immer alles nach Plan und so sollte man dem Film eine Chance geben, sich sein eigenes Schubladendenken vor Augen führen zu lassen, denn dies kann durchaus Truffauts Intention gewesen sein, dem Rezipienten zu zeigen, wie sehr er sich von festen Regeln, Normen hat einengen lassen und nun nicht in der Lage ist, einem Film zu folgen, der nicht immer nach dem üblichen Schema abläuft. Sieht man nämlich von diesen „Ausflügen“ ab, ist „Schießen Sie auf den Pianisten“ ein waschechter Gangsterfilm mit einem mehr als typischen Spannungsaufbau, der zwar immer mal wieder durch die oben genannten Spielereien unterbrochen wird, sich sonst aber zielstrebig der finalen Konfrontation nähert. Dabei erinnert uns der Charakter des Charlie durchaus an die üblichen Vertreter des Film-Noir und so erscheint das Ende auch mehr als plausibel, resultierend aus seinem bisherigen Verhalten im Leben. Technisch wirkt der Film aus heutiger Sicht vielleicht auch etwas seltsam, da einem das Werk durch die harten Schnitte zuweilen ruppig und unausgeglichen vorkommt, während die wunderbare Kameraarbeit schon fast einen anderen Charakter vermittelt. Typisch für Truffaut ist auch, dass ein Großteil des Filmes „on Set“ gedreht wurde und dadurch ein hohes Maß an Authentizität versprüht wird, welche mehr als nützlich für den Spannungsaufbau des Filmes ist. Abgerundet wird das Ganze durch einen sehr guten Score, der sowohl bei dynamischeren Szenen das Gezeigte verstärkt aber auch in ruhigeren, romantischeren Passagen stets den rechten Ton trifft.

Mit Charles Aznavour hat Truffaut dann auch noch die passende Besetzung für die Hauptrolle gefunden, denn dieser vielleicht nicht ganz so bekannte Schauspieler verkörpert die Rolle des Charlie mehr als glaubwürdig und überzeugt vor allem in den Szenen, in denen er durch Mimiken und Gesten seine Gefühle ausdrücken muss. Zum Beispiel bei seinen schüchternen Annäherungsversuchen beim nächtlichen Spaziergang. Ihm zur Seite steht Marie Dubios, deren Léna quasi das Gegenstück zu Charlie ist: selbstbewusst, stark und dementsprechend ist auch ihre Leinwandpräsenz. Sobald sie auf dem Bildschirm zu sehen ist, sind die Rollen verteilt und der Zuschauer kann die Situation ohne Probleme lesen. Dazu gesellt sich dann noch ihre lockere Art, wodurch man sie schnell ins Herz schließt. Aufgrund der beiden Hauptdarsteller haben es die weiteren Schauspieler schwer aus dem Schatten hervorzutreten und so kommen sie einem manchmal etwas blass vor. Dies soll jedoch nicht bedeuten, dass ihre Darbietungen schlecht sind, denn sie erfüllen nichtsdestotrotz ihren Zweck und tragen zum Gelingen des Filmes bei.

Wer also Interesse an einem überaus ansprechenden Mix aus Komödie, Liebes- und Gangsterfilm hat, der sollte ruhig einmal ein Auge auf „Schießen Sie auf den Pianisten“ werfen, der von Truffaut in einer unverkennbaren Art und Weise inszeniert wurde und mit unvergesslichen Bildern aufwarten kann. Man sollte sich nur darauf einstellen, dass nicht alles so abläuft, wie man es sich vielleicht vorgestellt hat.

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