Stanley und Jackie, ihr macht es mir nicht ganz leicht.
Man soll mir nicht nachsagen, ich wäre nicht mit allen positiven Erwartungen an Jackie Chans Folgeprojekt der außergewöhnlich gelungenen “New Police Story” herangegangen. Lobenswert, wie der Mann, der in seiner Karriere schon alles für sein Lebenswerk Wichtige erreicht hat, im lauernden Alter versucht, neue Wege zu ergründen und sich selbst neue Facetten abzugewinnen. Stanley Tong, der ein halbes Jahrzehnt lang nicht mehr von sich reden machte, begleitete Jackie ein Stück weit in den Neunzigern und zeigt sich nun bereit, diese neuen schauspielerischen Ambitionen durch ungewöhnliche Projekte zu unterstützen. Eines der größten Probleme von “Der Mythos” ist jedoch, dass wirklich neu oder ungewöhnlich allerhöchstens die Zusammenstellung ist, die Zutaten innerhalb und außerhalb von Jackie Chans Karriere aber altes Brot sind. Zu alledem altes Brot, das andere schon nach einer besseren Rezeptur gebacken haben und das vor allem in dieser Zusammenstellung nicht besonders gut schmeckt.
Ein positiver Aspekt allerdings vorweg: Den zuletzt enttäuschenden US-Nichtssagern - “The Tuxedo”, der noch grässlichere “Das Medaillon” und dem Hörensagen nach auch “In 80 Tagen um die Welt”, der meinem Erfahrungsschatz aus Angst vor ähnlichen Pleiten wie den zuvor genannten Filmen noch fehlt - hat auch diese Hongkong-Produktion wieder voraus, dass sie offenbar wenigstens so etwas wie Ehrgeiz vorweisen kann. Deshalb muss man sich als Zuschauer am Ende nicht mit sinn- und zusammenhangslosem Gewurschtel plagen, das Jackie selbst auf ein zweidimensionales Stereotyp reduziert und den Film um ihn herum als neutrales Mittel zur farblosen Präsentation des Stars. Nein, “Der Mythos” bemüht sich tatsächlich aufrichtig, einen solchen Mythos zu konstruieren. Mit einer modischen parallelen Erzählweise, die etwa zu Anteilen von 65 zu 35 Prozent zwischen Gegenwart und Vergangenheit (das China der Qing-Dynastie 200 Jahre vor unserer Zeit) wechselt, vollzieht sich ein mystisches Spiel um Identitäten, unsterbliche Liebesschwüre und die Symbolik der Schwerelosigkeit - leider jedoch alles Dinge, die nach dreister Kopie riechen. Oberflächlich aufbereitet, von tieferen Diskursen befreit, ohne eigene Innovationen.
Die Gegenwarts-Szenen wirken dabei verstärkt “Indiana Jones”-inspiriert. Nur, die Sache ist für Jackie doch eigentlich schon seit 20 Jahren, also seit “Der rechte Arm der Götter” gegessen, oder zumindest seit dem besseren und erfolgreicheren Sequel “Mission Adler”. Durch kulturgeprägte Einsprengsel fühlt man sich zugleich an andere Abenteuerfilme wie “Auf der Suche nach dem goldenen Kind” erinnert. Nichts Neues aus heutigen Tagen also.
Und doch geht von dem Gegenwartsszenario eine eigenwillige Wirkung aus, die sich womöglich zu Teilen aus einer soweit noch unerfüllten Erwartungshaltung pellt, auf welche Weise sich dieser “Present Day”-Part später mit dem Vergangenheitsteil verbinden wird - was zweifellos am Ende des Films geschehen muss, so viel grundlegenden Filmverstand hat jeder Mensch, dies bei einer derart auffälligen Parallel-Narration sofort zu mutmaßen. Man traut Stanley Tongs Hand aber auch etwas mehr Raffinesse zu als etwa einem Kevin Donovan, der vor und nach “The Tuxedo” zurecht nie wieder Regie führen durfte. So ist schon die grundlegende Erwartungshaltung eine ganz andere, obwohl sich die Szenarien trotzdem unerbittlich wiederholen. Ein gutmütiger, moralisch unangreifbarer Jackie im Kampf gegen uneinsichtige Schergen, verwoben in einen Plot um ein wissenschaftlich-fiktionales Element ganz wie bei der “Gefahr im Anzug” - diesmal ist es das Geheimnis der Reproduktion von Schwerelosigkeit, das die Menschen beschäftigt.
Im historischen Teil haben wir eine Komplettimitation aktueller Wuxia-Filme um “Tiger & Dragon”, der sich ganz besonders durch die Liebesgeschichte zwischen General Meng-yi (Jackie Chan) und Prinzessin Ok Soo (Kim Hee-seon) als Vergleich aufdrängt, auch wenn das Motiv als solches so alt ist wie das Wuxia-Genre an sich. Chan selbst bedient sich dabei zu großen Teilen seiner Rolle aus “Shang-High Noon” speziell im scheuen Umgang mit der Prinzessin. Ich selbst hatte in einer Szene gar eine Art Déjà-Vu, als Jackie in einer fast identischen unterwürfigen Art kurz vom Boden aus zur Prinzessin hochblickt und gleich wieder wegschaut, so wie er es damals Lucy Liu gegenüber getan hat. Was nun freilich nicht gerade für Innovation oder Alternation spricht, die Jackie im Vorfeld des Projektes so entschlossen angepriesen hatte.
Nicht von ungefähr kommen im Finale zudem noch diverse Parallelen zu Stephen Sommers “Die Mumie”-Remake hinzu, das unter all der Popcorn-Verkleidung auf Karl Freunds Original von 1932 referierend die Unsterblichkeit der Liebe zum Thema hatte. Und in beiden Erzählebenen gibt es über diese offensichtlichen Parallelen hinaus noch zahlreiche weitere Strukturen zu erkennen, die auf andere Filme hinweisen.
Die Idee hinter “Der Mythos” soll folgende sein: Es bleibt nicht bei dem Science Fiction-Plot der Gegenwart als Rechtfertigung für allerlei Kampfspirenzchen des chinesischen Wiesels. Auch die Mythologie des historischen Abschnitts bleibt nicht auf sich allein gestellt. Die wissenschaftlich-fiktionale Komponente wird sich mit der Mythologie verbinden und die Wissenschaft produziert ein Symbol für das Überrational-Mythologische durch die Wechselwirkung der zeitlich voneinander separierten Erzählebenen. Man könnte sagen, die für sich betrachtet ausgesprochen simplen Plots von “The Tuxedo” (Wissenschaft) und “Das Medaillon” (Mythologie) werden miteinander in einen Zusammenhang gesetzt, um eine alles überschattende Semantik zu erstellen, die weit größer ist als ihre Einzelteile.
Problematisch daran ist, dass sich das Story-Prinzip von “größer als die Einzelteile” nicht ohne weiteres auf die Filmqualität übertragen lässt. Sowohl Jack (Jackie der Gegenwart) als auch Meng Yi (Jackie der Qing-Dynastie) sind keinesfalls Protagonisten besonders gut durchdachter oder gar intelligenter Geschichten. Während Jacks abenteuerliche Erkundung eines religiösen Kultes und eines Phänomens der Schwerelosigkeit von Natur aus nicht besonders tiefsinnig ist (und es auch nicht zwingend sein muss), bietet auch Meng Yis Kampf gegen seine Feinde und gegen die kaiserlich auferlegten Bürden seiner Existenz nichts als oberflächliches Kostümspektakel. Von den großen Genreklassikern ist diese Geschichte durch seine simple Nachzeichnung grundlegender, unreflektierter Beziehungskonstellationen so weit entfernt, wie man sich nur vorstellen kann. Die Inhaltsangabe betreffend kann “Der Mythos” sicher mit Werken vom Schlage “Tiger & Dragon” konkurrieren, darüber hinaus jedoch wohl kaum.
Selbst den Historienprunk und die epischen Dimensionen betreffend ist Tongs Inszenierung heutzutage kaum noch konkurrenzfähig. Bilden US-Regisseure wie Peter Jackson und Ridley Scott inzwischen mehr als überzeugende imaginäre oder historische Welten von detailverliebter Schönheit und suhlen sich chinesische Filmemacher wie Zhang Yimou (“House of Flying Daggers”, “Hero”) in elegischer Darstellung von Bewegung und Farbenpracht, so wirken Tongs Dünen- und Gebirgsfelder und die bunten Kostüme der Darsteller und Statisten kaum noch irgendwie überzeugend, eigentlich sogar ein wenig künstlich. Wing-Hung Wongs Kamera fängt nur selten wirklich malerische Szenarien ein und verleiht den historischen Rückblenden leider stets einen Hang zur Langeweile, der durch die fehlende inhaltliche Substanz auch nicht wieder aufgewogen werden kann.
Der Aspekt der Optik ist aber auch auf der anderen Seite der Medaille ein gewaltiges Problem. Gerade die Special Effects wirken hier wie dort unharmonisch und teilweise (Jackie auf dem Wasserfall) gar lächerlich. Ob nun riesige Feuerbälle, die von Pferden mit den Hacken abgewehrt werden oder Schwerthiebe mit Computerblut... technische Schnitzer dieser Art müssen in solchen Projekten einfach nicht mehr sein und reißen nur unnötig aus der Handlung.
Was man auch von der Entscheidung behaupten könnte, immer wieder zwischen beiden Erzählebenen abzuwechseln, ohne die historische Ebene direkt als Rückblende zu kennzeichnen. Abgesehen von etwas ungleicher Laufzeitverteilung zugunsten der Gegenwart werden beide Ebenen ebenbürtig behandelt. Die Übergänge erfolgen fließend, indem Jackie zum Beispiel in der Gegenwart als Jack von einer Klippe springt und ins Wasser eintaucht, bevor er als Meng Yi bekleidet mit seiner Rüstungstracht wieder auftaucht. Das hat den interessanten Effekt, dass wir als Betrachter des Geschehens vom Standpunkt her nicht unbedingt auf die Gegenwart fixiert sind, sondern uns sozusagen “zwischen den Zeiten” bewegen. Kritik, durchaus auch berechtigte Kritik, könnte man daran üben, dass durch den permanenten Wechsel der Erzählfluss zunichte gemacht wird. Meiner Auffassung nach sind die Wechsel allerdings ansprechend, teilweise gar interessefördernd umgesetzt. Das mag aber auch daran gelegen haben, dass den einzelnen Szenen jeweils ziemlich schnell die Luft ausging, was abgesehen von der spektakulären letzten Schlacht des Meng Yi vor allem für den Vergangenheitspart zutrifft. Hier wirkte der fliegende Szenenwechsel hin zur Gegenwart oftmals wie ein Schluck eines neutralisierenden Getränkes bei einer Mahlzeit, wenn man so will. Wenn es drohte, langweilig zu werden, wurde einfach die Perspektive geändert.
Zugutehalten sollte man Stanley Tong, dass sein Werk mit zunehmender Laufzeit an Attraktivität gewinnt und die besten Sachen für den Schluss aufbewahrt werden. Die digital erstellte Abschluss-Location ist wirklich nett anzuschauen, das Wirework darin zwar nicht perfekt, aber doch ordentlich umgesetzt. Des weiteren ist da noch die herausragend intensive, bereits angesprochene Szene zu erwähnen, in der Meng Yi gegen eine ganze Armee von Kämpfern antritt und dabei eine verblüffend ähnliche Wirkung erzielt wird, wie sie in der Kampfszene von Christopher Walken in Tim Burtons Gruselmärchen “Sleepy Hollow” zu finden war. Mit anderen Worten, Jackie Chan verkörpert hier einen zwar ehrenhaften, dabei aber konsequent seine eigenen Ziele verfolgenden Menschen, der vor gnadenloser Brutalität nicht zurückweicht. Köpfe werden hier abgeschlagen, Kehlen aufgeschlitzt und Brustkörbe mit einem Speer durchbohrt, der anschließend wieder aus dem Rücken herausgezogen wird. Für Chans Verhältnisse sind das, obwohl die aufgezählten Szenen noch längst keinen vollwertigen Splatter-Charakter besitzen, ausgesprochen derbe Momente, die auch ein wenig an dem Saubermann-Image kratzen.
Rein von der Leistung als Darsteller her ergründet Chan, der mit “New Police Story” plötzlich die Schauspielerei entdeckte, keine neuen Pfade. Er fällt unter Stanley Tong, mit dem er unter anderem “Rumble in the Bronx” und “First Strike” drehte, in die altbekannte, aber nun mal auch liebgewonnene Jackie-Darstellung zurück. Er spielt wieder sich selbst, wie er jemand Anderen spielt, anstatt einfach nur einen Anderen zu spielen, wie ein Schauspieler das in der Regel handhabt. Das ist soweit in Ordnung, ich habe auch nicht wirklich angenommen, dass Benny Chan damals bei Jackie dauerhaft einen Schalter betätigt hätte. Und irgendwo gehört es ja auch zum altehrwürdigen Jackie Chan dazu.
Als Handwerker hat der Meister aber nach wie vor noch so einiges drauf. Selbst 2006 sind die Martial Arts-Sequenzen die Highlights seiner Filme, die immer noch begeistern können. Ein paar wirklich schicke Choreografien wurden wieder aus dem Hut gezaubert. Fantastisch die Szenen auf dem Laufband mit klebender Oberfläche, auch der Schwertkampf im heiligen Tempel und die akrobatischen Einlagen auf dem Kutschbock. Jackie hat es in dieser Hinsicht einfach immer noch drauf, das kann man nicht anders sagen. Vermutlich wird er uns noch in zehn Jahren mit so mancher Einlage überraschen können. Im Prinzip wird nochmal das komplette Programm abgefragt. Das sieht alles für sich betrachtet, wie gesagt, schick aus, hat aber auch wieder einen Haken (der letzte, den ich mir heute herauspicke): stimmungstechnisch sind die zwei Stunden ein einziger Kuddelmuddel. Erinnert die Fließbandszene an “Mr. Nice Guy”-Zeiten und die Verfolgungsjagden über die Bergklippen an “Mission Adler”, so haben wir in dem Historienepos eine melancholische Grundstimmung, die sich auch auf die Kämpfe übertragen sollte. Nur ist dem leider nicht so: Beginnt Tong hier plötzlich, inmitten dieses ernsthaften Gefechts sich einen Running Gag mit einem austretenden Pferd zu erlauben, das somit etwas ungewöhnlich die Gegner niederstreckt, so muss man doch ein wenig am Feingefühl derer zweifeln, die für so etwas verantwortlich sind. Was die Grundstimmung betrifft, findet man jedenfalls nie einen Nenner, und das stört den Fluss im Gesamten.
Der Versuch seitens Stanley Tong und Jackie Chan, aus dem altbewährten Muster auszubrechen und neue Aspekte zu bieten, ist lobenswert, genauso wie der Drang nach einer intelligenten Auseinandersetzung mit einem komplexen Thema. Die Idee dahinter ist nicht einmal verkehrt. Sich von der wissenschaftlichen Basis aus der physikalisch nachweisbaren Schwerelosigkeit zu nähern und sie ehedem zum Symbol für die Mythologie der Unsterblichkeit der Liebe zu erheben, welche auf der anderen Seite der Erzählung wartet, das Ganze erzählt in einem fortwährenden narrativen Dualismus, das hätte Potenzial gehabt. Doch leider sind Gegenwart wie Vergangenheit der Geschichte viel zu simpel gestrickt, insgesamt zu uninteressant erzählt und auch visuell zu belanglos, als dass die hochgesteckten Ziele wirklich mit Innovation hätten vergolten werden können. Stimmungswechsel und schwache Special Effects machen die Atmosphäre kaputt und die außergewöhnliche Erzählweise kann irritieren.
Dennoch hatte ich beim abschließenden Schwenk von Jacks Haus am Hafen hin zur Stadtfassade im dämmernden Abendlicht eine leichte Gänsehaut ob des Bildes, das sich mir bot unter Kenntnis des gerade Gesehenen. Bei all den Schwächen, die sich in “Der Mythos” finden lassen, über die Nullaussage eines “Medaillon” ist Stanley Tongs Werk immer noch erhaben.
5.5/10