Review

Herbst 1962: Der französische Geheimagent André Devereaux reist im Auftrag der Amerikaner nach Kuba. Er soll herausbekommen, was es mit den angeblich dort stationierten Sowjet-Raketen auf sich hat, von denen ein hoher russischer Überläufer erzählte. Allerdings finden die Vorgesetzten Devereaux’ diese Reise nicht so aufregend, und beordern ihn zurück nach Paris. Was sie nicht wissen ist, dass er noch etwas im Gepäck hat: Informationen über einen russischen Spionagering in der NATO, an dem hohe französische Beamte beteiligt sind …

Eigentlich interessant, wie Alfred Hitchcock den James Bond-Mythos auseinandernimmt. Beim ersten Auftritt Frederick Staffords als Devereaux hatte ich noch das Gefühl, auf eine 1A-Bond-Kopie zu schauen. Erscheinung, Haltung, Bewegung, Stil – ganz der britische Top-Spion, und den Hutwurf auf den Kleiderständer habe ich tatsächlich ernsthaft vermisst. Devereaux stellt seinen nur bedingt kompetent erscheinenden Chefs genau die richtigen Fragen, schaut smart aus der edlen Wäsche, und wirkt so, ob er in jeder Lebenslage immer alles im Griff hat.

Und dann wird dieser Supermann Stück für Stück demontiert. Schon der Umstand, dass sein Eheleben(!) eine Katastrophe ist, unterscheidet ihn deutlich vom britischen Vorbild, aber auch die Qualität seiner beruflichen Aktionen ist ein ganz anderes Kaliber. Sein erstes “Opfer“ wird fast ein Informant aus Harlem, den er in eine unübersichtliche und gefährliche Situation jagt, der sich aber gewitzt selbst retten kann. Doch danach zeigt unser Mann vom Deuxieme Bureau seine ganze Unfähigkeit: Die Helfer auf Kuba, die für ihn spionieren sollen, werden gefasst und gefoltert. Die Geliebte, die eine Untergrundorganisation aufbaut, lässt er im Stich. Den Schwiegersohn schickt er zu einem Treffen mit einem Spion, das für ihn (den Schwiegersohn) fast übel ausgeht. Mit einem Lächeln im Gesicht schickt Devereaux seine Leute in den Tod, und praktisch jeder der ihm hilft hat anschließend ein Problem mit dem Am-Leben-sein. Nur er selber kommt immer vollkommen sauber und unbeleckt aus der Sache heraus. Er ist der Saubermann, der andere opfert um selber gute Ergebnisse zu erzielen. Ist das jetzt Hitchcocks Abrechnung mit der Welt der Geheimdienste? Ich meine, durch Hitchs Oeuvre zieht sich die Agententätigkeit wie ein roter Faden. Von DIE 39 STUFEN über SABOTEURE bis zu DER UNSICHTBARE DRITTE und DER ZERRISSENE VORHANG sind immer wieder Privatpersonen in die Mühlen der Geheimdienste gezerrt worden, selten waren, wie etwa in WEISSES GIFT, Profis am Werk. Hier haben wir jetzt genau so einen hauptberuflichen Agenten, der sich nicht scheut andere zu benutzen um selber gut dazustehen. Trotz der äußerst wirren Geschichte somit also eigentlich eine recht interessante (und wahrscheinlich realistische) Sache, und eine nicht alltägliche Grundidee. Aber da ist noch das Problem mit besagter wirren Geschichte ...

Denn diese steht sich ein wenig selber im Weg. Der Aufhänger mit dem russischen Überläufer lässt sich noch als Startschuss erklären der die Story ins Rollen bringt, aber zwischen russischen Raketen auf Kuba, den eigenen Eheproblemen, einer heimlichen Geliebten und betrügerischen Freunden in der heimatlichen Regierung fehlt ein wenig der rote Faden. Ich vermisse die Klammern, die eine Geschichte zusammenhalten, vor allem wenn sie so komplex aufgebaut ist wie diese. Was ich versuchen will zu sagen ist dies: Die Geschichte mit dem Überläufer ist gut und spannend, und hätte im Wesentlichen einen eigenen Spannungsbogen verdient, vor allem in Kombination mit dem Spionagering. Die Geschichte mit den Raketen ist in vielerlei Hinsicht ebenfalls spannend, gerade weil sie in der Realität spielt. Und weil sie die historischen Vorgänge geschickt mit dem Kintopp verbindet und Raum gibt für große Gefühle, Pathos und Spannung. Allerdings sehe ich den Zusammenhang zwischen den Themenkomplexen Überläufer/Spionagering und Raketen auf Kuba nicht. Da eine Verbindung herzustellen empfinde ich als mühsam konstruiert, so als ob Hitchcock dem Drehbuch nicht getraut hätte und eine zusätzliche Story als Absicherung einbauen wollte.

Und so wirkt trotzdem, dass Devereaux sichtlich als Anti-Bond konzipiert wurde (eine Ehefrau, keine herausragenden Eigenschaften, kein besonderes Können außer einer benannten Respektlosigkeit), das ganze wie ein lauer Wind, der für das Jahr 1969 weder stylisch noch spannend noch innovativ aussieht. Wenn ich dagegen an IPCRESS – STRENG GEHEIM denke, der schon 1965 das Agentengenre mit eben besagtem Anti-Bond bestückte, und dabei verflucht spannend war und modern aussah, dann frage ich mich schon, was Hitchcock uns hier sagen wollte. Hinzu kommt das vollkommen Hitchcock-untypische Fehlen eines doppelten Bodens. Alle Personen sind was sie vorgeben zu sein. Der russische Überläufer ist ein russischer Überläufer, und nicht etwa ein geschickter Schachzug der Sowjets um falsche Informationen zu verbreiten. Juanita ist Juanita, nicht mehr und nicht weniger, und der französische Verräter ist ein französischer Verräter, und nicht etwa ein Doppelspion mit der Lizenz zum Lügen. DER SPION, DER AUS DER KÄLTE KAM anyone? Da kann man sehen wie das doppelt-, dreifach- und zigfach verschachtelte Spionagespiel aussehen kann. Der ist ein Agententhriller par Excellence …

Bemerkenswerterweise empfinde ich den gesamten Schlussteil, also alles was narrativ in Frankreich angesiedelt ist, als relativ spannend und dicht. Hier kommt das oft gesehene und geliebte Vexierspiel zwischen Agenten zumindest halbwegs zum Tragen. Weder der Zuschauer noch die Darsteller wissen was passiert, wer gerade wie lügt oder wer warum die Wahrheit sagt. Vertrauen ist tödlich, und das einzige was zählt ist eine Kugel oder ein Messer sowie eine gesunde Distanz zu allem und jedem. So hätte von mir aus gerne der ganze Film sein können, wie eine Art ROPE im Agentenmilieu. Und dann auch noch mit Größen wie Michel Piccoli und Philippe Noiret? Ein Traum …
Aber es bleibt beim Traum, denn so gut umgesetzt etwa die Handlung auf Kuba ist, und so stark John Vernon und Karin Dor aufspielen, so schwach bleibt insgesamt gesehen das Ergebnis: Der Film fesselt einfach nicht. Die einzelnen Handlungsabschnitte sind dabei sehr wohl gelungen (Kopenhagen, Kuba, Paris), aber zwischen diesen Abschnitten sehe ich keinen sinnvollen Klebstoff, der den Zusammenhang und den Sinn überzeugend zusammenbringt. Und der gute Teil in Paris ist viel zu kurz um Spannung und Komplexität aufs Tapet zu bringen.

Nicht alle Hitchcock-Filme sind immer gut. TOPAS wirkt auf mich wie das Alterswerk eines Regisseurs, der sich in der modernen Welt nicht mehr zurechtfindet, und selbst bei einer Dialogszene auf einem Flugfeld eine Rückpro einsetzt. Und ohne den ausgesprochen beeindruckenden John Vernon hätte ich wahrscheinlich noch einen Punkt abgezogen …

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