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Zu viele Charaktere, zu wenig Spannung – so könnte man Alfred Hitchcocks drittletzten Film kurz und bündig zusammenfassen. Nachdem schon kurz zuvor die Spionagegeschichte „Der zerrissene Vorhang“ von seiner Fangemeinde eher negativ aufgenommen wurde, vermag Hitch auch mit „Topas“ die an ihn gestellten Erwartungen nicht zu erfüllen. Schlimmer noch: Wo der unmittelbare Vorgänger trotz all seiner Schwächen noch ausgesprochen unterhaltsam war, leidet „Topas“ an seiner Länge von zwei Stunden. Leon Uris hatte die Vorlage geliefert und womöglich wäre es einfach besser gewesen, wenn man den Film aufgrund der Komplexität des Romans um einige weitere Minuten ausgedehnt hätte. Andererseits: „Topas“ ist auch so schon zu lang und obendrein - zumindest beim ersten Ansehen - verwirrend und überkompliziert. Insofern: Hätt’ man’s lieber gleich ganz bleiben lassen?

Der Film lässt sich leicht in drei unterschiedlich gewichtete Passagen einteilen: Die erste ist die mit Abstand kürzeste und zeigt, wie ein hoher KGB-Mann zu den Amerikanern überläuft. In Passage zwei kommt die Hauptfigur, der französische Agent Deveraux (Frederick Stafford), ins Spiel, die in New York und anschließend in Kuba Informationen über in Kuba stationierte sowjetische Raketen sammeln soll. Und in Passage Nummer drei muss er einen hohen französischen Beamten ausfindig machen, der heimlich für die UdSSR spionierte. Damit wären wir auch schon beim Hauptproblem: Die Handlung marschiert ständig von einem Schauplatz zum anderen, von Kopenhagen nach Washington, von Washington nach New York, von New York nach Havanna und wieder zurück in die USA. Dabei werden immer neue Figuren eingeführt, die Kusenovs, die Deveraux’, später Rico Parra und seine rechte Hand Hernandez, Juanita (Karin Dor), im letzten Drittel dann endlich die französischen Top-Darsteller Michel Piccoli als Granville und Philippe Noiret als Jarré, von denen ich mir mehr Leinwandauftritte erhofft hätte, usw. Viele potentiell interessante Figuren, die Hitchcock jedoch nie unter einen Hut bekommen kann, zwangsläufig muss Charakterentwicklung flach fallen, denn wir sind hier ja nicht im „Fackeln im Sturm“, müssen ja alle in einem 120-Minuten-Film unterbringen.

Selbst Deveraux ist nicht der klassische Hitchcock-Held. Vielmehr übernimmt er hier die Funktion des passiven Zuschauers. In der spannendsten Szene des Films im New Yorker Hotel lässt er einen alten Freund Philippe Dubois (Roscoe Lee Browne) die Drecksarbeit erledigen, er selbst steht draußen und wartet auf Vollzugsmeldung. Indirekt mitverantwortet er dann sogar noch den Tod seiner Geliebten Juanita, weil er von Hernandez über den Haufen gelaufen und wenig später in Kuba von diesem wiedererkannt wird, was Parras Misstrauen gegenüber der attraktiven Kubanerin erst ins Rollen bringt. Stafford tut mit seinem ausdrucksfreien Gesicht allerdings auch nichts, um der farblosen Figur etwas Leben einzuhauchen. Vermutlich hätte aber auch jeder andere Schauspieler an der Rolle zu knabbern gehabt.

Insgesamt ist der ganze Plot zu abgehackt, baut zu wenig aufeinander auf. Die Spannung muss bei einem solch episodenhaften Aufbau einfach auf der Strecke bleiben, kann nur durch starke Einzelszenen vereinzelt entwickelt werden. Doch hiervon gibt es zu wenige: Neben der angesprochenen Hotelsequenz bleiben nicht mehr viele andere einprägsame übrig. Sie sind zwar unverwechselbar Hitchcock (der bereits in anderen Ofdb-Kritiken herangezogene Mord an Juanita muss an dieser Stelle, glaube ich, nicht noch mal großartig erwähnt werden), aber schaffen auch kein zufriedenstellendes Gesamtbild.

Dafür gibt es wieder andere Szenen, die sich sicherlich hervorragend dafür geeignet hätten, in „Topas“ aufgenommen zu werden: Man stelle sich vor, wie viel Suspense-Potential die Flughafensequenz hergegeben hätte, in der Deveraux mit geschickt versteckten Beweisdokumenten aus Kuba ausreisen und „die gründlichste Durchsuchung, die [er] sich nur vorstellen kann“, wie ihm vorher Rico Parra, der inzwischen die Wahrheit kennt, ankündigt, über sich ergehen lassen muß. Stattdessen sehen wir nichts davon. Genauso wenig wie die Szene, in der Deveraux’ Schwiegersohn Francois nach einem Interview mit Jarré von einigen Bösmännern gefangengenommen wird, um kurz darauf nur leicht lädiert in die Wohnung seiner Familie zu platzen. Wie er den Männern entkommen konnte, das wäre doch eine interessante Frage gewesen, leider bekommen wir das auf die feigste Inszenierungsart bloß in Dialogform nacherzählt und so bleibt am Ende nur ein Hauch von Überraschung übrig, daß Francois noch lebt. Hätte Hitchcock nicht längst sein Interesse an der Geschichte verloren, hätten wir vielleicht noch bei allen Schwächen das ein oder andere Bonbon präsentiert bekommen.

Fürchterlich enttäuscht der Schluß des Films. „Topas“ läuft einfach aus, ohne Finale, ohne echten Abschluß, ohne Spannung. Es passiert nichts. Plötzlich ist er beendet, ganz so, als wären dem Regisseur auf den letzten Metern die Geldmittel ausgegangen. Schon ziemlich frech, dem Zuschauer ein solches Ende anzubieten. Völlig unbefriedigend und durch nichts zu entschuldigen. Und so etwas von Hitchcock?

Im musikalischen Bereich kann der Film dann doch noch Punkte sammeln. Maurice Jarre ist ein Topkomponist und so sind es letztlich auch seine Töne, die einem auch über den Abspann und Tage, Wochen, Monate hinaus im Gedächtnis haften bleiben – im Gegensatz zu dem visuellen Rest, bei dem ich mich, obwohl ich „Topas“ erst vor wenigen Wochen wiedergesehen habe, nur noch an wenige exotische Bilder erinnern kann. Also ein schwacher Hitchcock, der an einem überfrachteten Drehbuch leidet, einen Mangel an sympathischen Figuren (Deveraux ist kaum der Richtige) zu bieten hat, aufgrund so mancher starker Einzelszene aber immer noch gut genug ist, um als Durchschnitt durchzugehen. 5/10.

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