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von Stefan M

Hintergrundinformationen zum Film

Truffaut: Jetzt sind wir bei “Saboteur”, den Sie 1942 in Hollywood und New York gedreht haben und den man nicht mit Ihrem englischen Film “Sabotage” verwechseln darf. Ein junger Mann, der in einer Rüstungsfabrik arbeitet, wird zu Unrecht der Sabotage verdächtigt. Er flieht und trifft ein Mädchen, das ihn zunächst anzeigen will, dann aber beschließt, ihm zu helfen. Das klingt wie die Inhaltsangabe fast aller ihrer Verfolgungsfilme. Aber jeder weiß sofort, um welchen Film es sich handelt, wenn man nur erwähnt, daß das Finale auf der obersten Spitze der Freiheitsstatue spielt.

Hitchcock: Mit “Saboteur” befinden wir uns auf dem Gebiet von “The Thirty-nine Steps”, “Sabotage” und auch “North by Northwest” [“Der unsichtbare Dritte]. Wir haben es wieder mit einem MacGuffin zu tun, mit Handschellen und der Geschichte eines Weges. Und auch diesmal bestand die Hauptschwierigkeit darin, einen bekannten Schauspieler zu bekommen. Jedesmal, wenn ich einen Film dieser Art gedreht habe und als Hauptdarsteller keinen Star hatte, finde ich, hat das Ergebnis darunter gelitten. Einfach, weil das Publikum den Schwierigkeiten und Problemen eine Figur, die von einem Schauspieler gespielt wird, den es nicht kennt, weniger Gewicht beimißt.

In “Saboteur” wurde die Hauptrolle von einem ausgezeichneten Schauspieler, von Robert Cummings, gespielt, der aber mehr in leichte Komödien paßte. Sein Gesicht wirkt lustig, und wenn er in einer wirklich üblen Situation steckt, sieht man das seinem Gesicht nicht an. Zweites Problem: Selznick hatte mich an einem unabhängigen Produzenten abgetreten, besser gesagt ausgeliehen, und der Film sollte von der Universal verliehen werden. Der Verleih hat mir die Hauptdarstellerin vorgeschrieben. Das war keine Frau für einen Hitchcockfilm.

Truffaut: Es war Priscilla Lane. Der konnte man wirklich nicht vorwerfen, sie sei zu sophisticated. Sie war sehr durchschnittlich und fast etwas vulgär.

Hitchcock: Oh ja, da bin ich wirklich reingelegt worden. Wir kommen zu einem dritten Problem: der Besetzung des Schurken. Es war 1941, und es gab in Amerika deutschfreundliche Vereinigungen, die sich “America Firsters” nannten, richtiger gesagt: amerikanische Faschisten. Und an die haben wir gedacht, als wir das Drehbuch schrieben. Für die Rolle des Hauptschurken hatte ich einen sehr populären Schauspieler vorgesehen, Harry Carey. Er spielte im allgemeinen nur sympathische Rollen, und als ich an ihn herantrat, wurde seine Frau sauer: “Ich bin schockiert, daß Sie meinem Mann eine solche Rolle anzubieten wagen. Schließlich blickt die ganze amerikanische Jugend, seit Will Rogers tot ist, zu meinem Manne auf.” Ich war enttäuscht, ich verlor dadurch das Gegengewicht, und schließlich haben wir einen konventionellen Schurken engagiert: Otto Kruger.

Truffaut: Der andere Schurke, der von der Freiheitsstatue stürzt, Fry, war aber sehr gut. Ich habe ihn in “Limelight” wiedergesehen.

Hitchcock: Ja, das ist ein sehr guter Schauspieler, Norman Lloyd.

Truffaut: Ich sehe, die Produzenten des Films waren J. Skirball und F. Lloyd. War das Frank Lloyd, der frühere Regisseur?

Hitchcock: Genau der. Und Dorothy Parker, die bekannte Romanschriftstellerin, hat mitgearbeitet. Sie hat ein paar wirklich geistreiche Repliken erfunden, die das Publikum, glaube ich, nicht ganz mitbekommen hat. So wenn die beiden Helden hinten in einen Wohnwagen einsteigen und sich bei den Artisten eines Wanderzirkus verstecken. Die Tür wird von einem Zwerg geöffnet, und einen Augenblick lang hat das Paar in Augenhöhe niemand vor sich. Dann ist das die bärtige Frau, die sich für die Nacht Lockenwickler in den Bart getan hat. Und es gab einen Disput zwischen dem großen dünnen Mann und dem Zwerg, der sich mit “Major” anreden ließ, und schließlich zwei Schwestern, siamesische Zwillinge, von denen die eine an Schlaflosigkeit litt, worüber sich die andere am meisten beklagte.

Truffaut: Gerade in der Szene wird aber immer viel gelacht.

Hitchcock: Eins war interessant. Wenn der wirkliche Saboteur, Fry, im Taxi zur Freiheitsstatue fährt, wirft er einen Blick rechts durchs Fenster. Da habe ich kurz auf das Wrack der Normandie geschnitten, die im Hafen von New York nach einem Brand gekentert war. Dann wieder eine Großaufnahme von dem Saboteur, er schaut jetzt wieder geradeaus, und ein Lächeln der Zufriedenheit spielt um seinen Mund. Wegen dieser drei Einstellungen hat die amerikanische Marine Protestbriefe an die Universal geschrieben, weil man hätte annehmen können, daß auf der Normandie ein Sabotageakt verübt worden wäre, und das hätte natürlich nicht für die Wachsamkeit der amerikanischen Marine gesprochen.

Truffaut: Mir war das Wrack aufgefallen, aber ich hatte nicht gemerkt, daß es die Normandie war. Noch etwas ist interessant: In der Kampfszene oben auf der Freiheitsstatue, wenn der Schurke ganz frei da hängt, zeigen Sie sehr groß seinen Ärmel, dessen Naht sich an der Schulter löst. Man kann wirklich sagen, sein Leben hängt an einem Faden. Man sieht sehr groß den Ärmel, wie er abreißt, und das geschieht ganz oben auf der Freiheitsstatue. Das ist wieder ein Beispiel für Ihr Prinzip, vom Kleinsten zum Größten zu gehen.

Hitchcock: Ja, so gehe ich oft vor. Aber in dieser Szene ist ein großer Fehler. Nicht der Schurke hätte so im Leeren hängen müssen, sondern natürlich der Held des Films, damit wäre die Teilnahme des Publikums vervielfacht worden.

Truffaut: Die Szene ist einfach so stark, daß das Publikum auch den Absturz des Schurken fürchtet. Und außerdem, auch der Held ist in Gefahr, und wenn ihn Priscilla Lane schließlich zum Schluß der Szene am Arm die Balustrade hochzieht, dann ist das wie eine Vorwegnahme der vorletzten Szene von “North by Northwest”. Da ist dasselbe Motiv, wie jemand an den Armen gehalten wird, wieder aufgenommen, aber bereichert und komplettiert durch den Schnitt, der die beiden Helden direkt von der Spitze des Mount Rushmore ins obere Bett eines Schlafwagenabteils befördert.

Hitchcock: In “North by Northwest” ist das besser, und die Einstellung, die unvermittelt auf den Schlafwagen folgt, ist die impertinenteste Schlußeinstellung, die ich je gemacht habe.

Truffaut: Der Zug, der in den Tunnel fährt?

Hitchcock: Ja. [...]

Truffaut: Am Ende von “Saboteur” [haben Sie auch] so etwas wie eine Parallelmontage. Der Junge und das Mädchen sind beide, getrennt voneinander, eingesperrt, er in einem Keller, sie oben in einem Wolkenkratzer, und sie brechen beide aus, jeder auf seine Weise. Dieser Szenenwechsel mit dem Mädchen und dem Jungen gefährdet wahrscheinlich den Spannungsbogen des Films. Dagegen sind die Szenen stark, in denen sie beide zusammen in Gefahr schweben, zum Beispiel in dem großen Ballsaal.

Hitchcock: Ja, in dem großen Ballsaal habe ich mich gefragt: Kann man den Eindruck erzeugen, daß der Junge und das Mädchen an einem öffentlichen Ort wirklich richtig in der Falle sitzen? Wenn Sie in einer solchen Situation sind, gehen Sie auf irgendjemand zu und sagen: “Ich bin hier gefangen.” Dann wird er Ihnen antworten: “Sie sind wohl total übergeschnappt.” Und dann gehen Sie auf irgendeine Tür oder auf ein Fenster zu, und da werden Sie schon von den Schurken erwartet. Das ist eine phantastische, unglaubliche Situation, aus der schwer herauszukommen ist.

Truffaut: Das ist ein Motiv, das man in Ihren Filmen häufig findet. Der Held, der in der Menge noch stärker isoliert ist als an einem einsamen Ort. Häufig ist die Falle ein Kino oder ein Varieté, eine politische Versammlung, ein Versteigerungslokal, ein Ballsaal oder eine Wohltätigkeitsveranstaltung. Vermutlich geht es darum, im Inneren des Geschehens einen Kontrast herzustellen. Der Held ist seit Beginn des Films immer allein und in isolierten Räumen gewesen. Durch diese Szenen mit vielen Leuten können Sie wahrscheinlich Einwänden begegnen, wie: “So was Blödes, er braucht doch nur zur Polizei zu gehen”, oder: “Er könnte es doch einfach jemand auf der Straße sagen.”

Hitchcock: Genau, Sie finden das auch wieder in “The Man Who Knew Too Much”, wenn sich James Stewart an alle Polizisten wendet, denen er auf den Gängen begegnet und ihnen sagt, daß der Botschafter umgebracht werden soll.

Wenn wir uns “Saboteur” heute mit Abstand ansehen, würde ich sagen, daß das Drehbuch nicht rigoros genug war. Ich war nicht beweglich genug, um das Originaldrehbuch wirklich in den Griff zu bekommen. Es war voller Ideen, aber sie waren nicht genug geordnet und nicht mit genügender Sorgfalt ausgewählt. Ich habe den Eindruck, das alles hätte vor den Dreharbeiten gereinigt und straff redigiert werden müssen. Das beweist nur, daß ein Haufen Ideen noch nicht genügt, um einen gelungenen Film zu kombinieren, wenn sie nicht mit genügender Sorgfalt und einem absoluten Formbewußtsein dargestellt werden. Das ist in Amerika ein ernstes Problem: Wie findet man einen Szenaristen, einen kompetenten Schriftsteller, der es versteht, den Einfall einer Geschichte zu organisieren und zu erhalten?

Quelle: “Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?” von Francois Truffaut

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