Review

Nach einem vor allem aus finanzieller Sicht missglückten Ausflug in den Kostümfilm („Sklavin des Herzens“) kehrte Hitchcock 1949 zu dem Genre zurück, dem er einige Höhepunkte zuführen konnte: dem Spannungsfilm. Nun ist „Die rote Lola“ (ein erbärmlicher deutscher Titel, der wohl durch das Mitwirken der Dietrich an den deutschen Klassiker „Der blaue Engel“ mit ihr in der weiblichen Hauptrolle erinnern soll – der Originaltitel lautet nämlich „Stage Fright“, und die wörtliche Übersetzung dafür „Lampenfieber“) jedoch auch nicht das, was man in die Kategorie „Typisch Hitchcock“ einordnen würde, sondern er versucht sich vielmehr an einer Art Whodunit, allerdings nicht so sehr in der Tradition der Agatha-Christie-Geschichten, denn der Täterkreis ist hier von vornherein stark eingeschränkt: Ein Mord ist vor Beginn der Handlung begangen worden und der Zuschauer weiß nicht, wer es gewesen ist. Jonathan Cooper (Richard Todd) erzählt seiner Freundin Eve (Jane Wyman), dass seine Geliebte, der berühmte Bühnenstar Charlotte Inwood (Marlene Dietrich), ihm gestanden hätte, ihren Mann umgebracht zu haben. Unversehens wird Cooper von der Polizei verdächtigt, weil er am Tatort gesehen wurde, und er schlüpft darum bei Eves Eltern unter...

Das klingt eigentlich auch in Ansätzen ein bisschen nach Hitchcocks Lieblingsthema „Ein Unschuldiger auf der Flucht, der seine Unschuld beweisen muss“. Aber nur auf den ersten Blick. Denn weder ist Cooper klar und deutlich als unschuldig gebrandmarkt noch wird er es sein, der nach Beweisen sucht, sondern Eve, die, als Charlottes Zofe getarnt, etwas zu finden hofft, was ihren Freund entlasten könnte. Also: von wegen Lieblingsthema! Es springt dann leider am Ende auch noch nicht mal ein besonders guter Krimi heraus. Im Gegenteil: Mit „Die rote Lola“ hat Hitchcock nicht grad seine Meisterprüfung abgelegt.

Dabei möchte ich noch nicht mal die von vielen Kritikern bemängelte „falsche Rückblende“ kritisieren, die stört mich als jemand, der Bryan Singers „Die üblichen Verdächtigen“ als hervorragend ausgetüftelten Film bezeichnet, nun wirklich nicht, schon eher das selten dämliche Verhalten von Cooper, der sich mit seinen unglücklichen Aktionen (innerhalb besagter Rückblende) schon in den ersten Minuten als Identifikationsfigur disqualifiziert – zumal er alles ist, bloß kein Held. Vielmehr entpuppt er sich als „Angsthase“, der sich bloß bei den Eltern seiner Freundin versteckt, selbst aber nicht wagt, irgendwas für seine Entlastung zu unternehmen – ein schwacher Charakter. Andererseits ist Cooper ohnehin nur ein Nebenprotagonist, die Hauptfigur, um die sich über weite Strecken des Films alles dreht, übernimmt Eve. Doch obwohl man durchaus Sympathien für sie hegen kann, tritt ein ganz großes Manko auf, das auch Hitchcock im Nachhinein aufgefallen ist: Weder befindet sie sich je in unmittelbarer Gefahr (das Höchste der Gefühle ist schon das Doppelspiel, das sie mit den Polizisten zu treiben gezwungen ist – das ist aber nichts, was ihr Leben gefährden würde, wie es sonst bei vielen Hitchcock-Helden der Fall ist) noch ist es überhaupt jemand in diesem Spiel, sondern erst auf der allerletzten Schlußstrecke, wenn die Identität des Mörders gelüftet ist.

Folglich haben wir einen Hitchcock-Film frei von Spannung. Man braucht nicht lange zu überlegen, um sagen zu können: Das ist tödlich für einen Krimi. Die Idee, die dahinter steckt, „[e]in Mädchen, das Schauspielerin werden möchte, muß sich verkleiden und im Leben seine erste Rolle spielen, indem es bei einer polizeilichen Untersuchung mitmacht“ (zitiert aus „Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?“), mag den Regisseur noch so gereizt haben – sie allein trägt den Film aber nicht. Erinnerungswürdige Szenen sind Mangelware (auch wenn’s nie wirklich langweilig wird, insofern doch ein kleines Kompliment), schlicht weil es keinen spektakulären Moment gibt, sondern „Die rote Lola“ einfach so vor sich hinplätschert. Am besten gefällt mir immer noch der visuelle Effekt, den Hitchcock einsetzt, als Eves Vater, Commodore Gill (Alastair Sim), einen Geistesblitz hat, wie man Charlotte in die Enge treiben und womöglich zu einem Geständnis bringen könnte: das (nur in seinen Gedanken vorhandene) Blut an den Kleidern der während des Gartenfestes an einem Schießstand aushängenden Puppen. Ein rarer Höhepunkt eines ansonsten überraschungsarmen (wenn man mal von der Täterauflösung, über die sich ja so viele aufregen, weil sie die Rückblende zu Beginn des Films ad absurdum führt, absieht) sowie betulichen Kriminalfilms. Da hätte man sich – wenn das Gesamtbild schon nicht befriedigt – gern mehr Extras gewünscht. Aber auch das Finale enttäuscht etwas, es hätte meines Erachtens gern ausführlicher sein können, aber ehe man sich’s versieht, legt sich auch schon der „The End“-Schriftzug über das Bild, ohne daß wir in den Genuß einer Actionszene (hier hätte sich eine Verfolgungsjagd durchs Theater angeboten) gekommen wären.

Immerhin geben die Akteure ihr Bestes: Jane Wyman bemüht sich nach Kräften und paßt vom Aussehen her gut in die Rolle der Eve, ist aber nun auch nicht grad die typische Hitchcock-Heldenfigur – und ich konnte mich auch nicht so recht mit ihr anfreunden, ihr fehlt einfach das gewisse Etwas, das eine Ingrid Bergman oder Grace Kelly auszeichneten. (Umso unverfrorener, daß sie sich während der Dreharbeiten tatsächlich auf Augenhöhe mit Marlene Dietrich gesehen haben will.) Wenn wir schon die Dietrich erwähnt haben: Die spielt gewohnt überzeugend ihre reichlich unsympathische Figur und schneidet im direkten Vergleich in den gemeinsamen Sequenzen mit Wyman eindeutig besser ab. Alastair Sim ist gut, bei Richard Todd fehlt mir (zu einem Großteil drehbuchbedingt) ein wenig Charisma, aber so schlecht, wie ihn viele machen wollen, ist er dann doch nicht. In einer Minirolle taucht übrigens Hitchcocks Tochter Patricia auf.

Tja, was soll man letztendlich sagen? Für die Verhältnisse eines Alfred Hitchcock sicherlich enttäuschend spannungslos und damit für Nicht-alles-von-Hitchcock-Gucker einer der Filme, die man getrost auslassen kann, für Hitchcock-Fans hingegen natürlich ein Muß. An den Kinokassen floppte „Die rote Lola“, erst mit „Der Fremde im Zug“ konnte er sich aus seinem Zwischentief hieven, das damit aber Anfang der 50er noch nicht völlig beendet war. 5/10.

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