Review

Auch wenn es ein müßiges Unterfangen ist, so ist es auch bei "Wahre Lügen" notwendig, wieder auf die Unfähigkeit der deutschen Verleiher hinzuweisen, mit einem originellen und zweideutigen Originaltitel umzugehen.

Der Originaltitel "Where the Truth lies" läßt sich sowohl als "Wo die Wahrheit liegt" als auch "Wo die Wahrheit lügt" deuten und damit ist schon das Wichtigste über den Film gesagt.

Atom Egoyan erzählt eine im Grunde einfache Geschichte.

In einem Hotelzimmer zweier Berühmtheiten des amerikanischen Fernsehens und Varietés der 50er Jahre, Lenny Morris (Kevin Bacon) und Vince Collins (Colin Firth), findet man im Badezimmer eine Frauenleiche.
Der Tod der Frau wird als Selbstmord ausgegeben, die beiden Künstler gelten als unschuldig.

Trotzdem führt dieses Ereignis zur Trennung der beiden kongenialen Partner und damit auch zum künstlerischen Niedergang.

Die Geschichte kommt in Gang, als 15 Jahre später die Journalistin Karen O'Connor ein Portrait über die Beiden schreiben will und sie besonders an den Ereignissen interessiert ist, die zum Tod der jungen Frau geführt haben.
Dabei ist sie persönlich involviert, da sie als 8-jährige selbst in einer Lenny und Vince - Benefiz-Show auftrat und ein großer Fan der Beiden war und ist.

Egoyan erzählt die Geschichte stark verschachtelt mit diversen Zeitsprüngen, die auch jeweils von Lennys oder Karens Off-Kommentaren begleitet werden. Daurch entsteht ein dichtes Bild der Charaktere, daß allerdings jederzeit subjektiv wirkt und für den Betrachter immer die Unsicherheit bleibt, ob man gerade der Wahrheit lauscht oder einer gefärbten Schilderung.

Schnell wird deutlich, daß Lenny und Vince es damals ziemlich krachen ließen. Ihre Berühmtheit ausnutzend, ließen sie nichts aus, sei es ständig wechselnde Sex-Partner ,Drogen, Prügeleien oder nette Auftritte für die Mafia. Gleichzeitig erlebt man sie auch als echte sich hervorragend ergänzende Partner und man fragt sich, was diese enge Beziehung auseinanderbrechen ließ.

Sowohl Bacon als auch Firth gelingt es hervorragend, gleichzeitig faszinierend und anziehend als auch rücksichtslos und egoistisch zu wirken. Auch Karen kann sich dieser Wirkung nicht entziehen und gerät in den Sog dieser beiden völlig unterschiedlichen Charaktere...

Der Film hält die Balance aus Charakterstudie, Schilderung der Ereignisse und dem immer tieferen Vordringen in die vermeintliche Wahrheit über die gesamt Laufzeit aufrecht. Die Auflösung ist dann auch keineswegs der Höhepunkt der Geschichte ,sondern ein letztes Puzzleteil, daß die Komplexheit der beiden Charaktere vervollständigt.

Es handelt sich bei "Where the Truth lies" um keinen Thriller, sondern um eine wunderbare Erzählung über zwei Menschen, die Atom Egoyan dazu nutzt, uns in eine Zeit der 50er und 70er Jahre eintauchen zu lassen ohne irgendwelche Pathos- oder gar Trash-Anleihen.

Seine Bilder sind immer sehr ästhetisch, Vince' Haus geradezu phänomenal und die erotischen Szenen sehr schön. Trotzdem ist darin auch immer der Verfall und das Leid zu spüren.

Fazit : ein Film, der den Zuseher nie im Klaren läßt. Seine Spannung liegt nicht in irgendeinem Plot oder einer originellen Auflösung, sondern in der fehlenden Eindeutigkeit der Charaktere. Diese Unklarheit beseitigt der Film bis zum Schluß nicht und trotz des offensichtlichen Scheiterns der beiden Protagonisten, kann auch der Zuseher sich der faszinierenden Anziehungskraft ihres Lebens nicht entziehen.

Kein Action-Film oder gar Thriller, sondern eine spannende Charakterstudie voller Erotik, Melancholie, Schönheit und Widersprüchen (9/10).

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