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„Demokratie Schtonk! Liberty Schtonk! Free sprecken Schtonk!“

Charles „Charlie“ Chaplins erster vollständiger Tonfilm und zugleich letzter Auftritt in seiner Paraderolle als Tramp wurde seine erfolgreichste und wichtigste Arbeit: „Der große Diktator“, seine wie so oft im Alleingang geschriebene und von ihm in den USA produzierte und inszenierte Satire auf den europäischen Faschismus und Hitlers mörderischen Größenwahnsinn erschien im Jahre 1940, zu einem Zeitpunkt also, als die USA sich noch gegen jede Einmischung in den Zweiten Weltkrieg verwahrten. Dementsprechend stieß sein Film auch außerhalb der faschistisch okkupierten Gebiete nicht von vornherein auf ungeteilte Gegenliebe. Andererseits waren Chaplin die Ausmaße des mörderischen NS-Terrors damals noch gar nicht bewusst: „Hätte ich von den Schrecken in den deutschen Konzentrationslagern gewusst, ich hätte ,Der große Diktator‘ nicht zustande bringen, hätte mich über den mörderischen Wahnsinn der Nazis nicht lustig machen können“, schrieb Chaplin in seiner Autobiographie.

„Ich mag zerstreute Menschen!“

Der Erste Weltkrieg liegt in seinen letzten Zügen, als ein am Kriegsgeschehen beteiligter jüdischer tomanischer (= deutscher) Soldat (Charlie Chaplin) sein Gedächtnis verliert. 20 Jahre später eröffnet er in einem jüdischen Viertel einen Friseursalon und wird bald mit dem „Reichspfuirer“ Tomaniens konfrontiert, dem cholerischen, größenwahnsinnigen Despoten Adenoid Hynkel (ebenfalls Charlie Chaplin). Dieser möchte erst den den Nachbarstaat Osterlich (= Österreich) und schließlich die ganze Welt erobern und findet in der jüdischen Gemeinde willkommene Sündenböcke für seine menschenverachtende Politik. Mithilfe seiner Sturmtruppen terrorisiert er auch das Viertel des namenlosen Friseurs, während er sich mit Herrscher Bakterias (= Italiens), Benzino Napoloni (Jack Oakie, „Geldrausch“), verbündet. Der Friseur wird wie so viele aus seinem Kulturkreis in ein Konzentrationslager deportiert, kann jedoch entkommen und wird aufgrund seiner äußerlichen Ähnlichkeit mit Hynkel verwechselt, woraufhin er in dessen Rolle schlüpft…

Texttafeln führen in die Handlung ein, die mit Kriegsszenen aus dem Ersten Weltkrieg beginnt. Ereignisse in der fiktionalisierten Weimarer Republik werden rasch in Form einer Abfolge an Zeitungsschlagzeilen abgehandelt, bevor der Film in seiner narrativen Gegenwart ankommt. Der gezeigte jüdische Soldat ist alles andere als für den Kriegseinsatz gemacht, scheut den Umgang mit Waffen, ist ängstlich und ungeschickt. Er wird jedoch dahingehend charakterisiert, dass er stets hilfsbereit und bescheiden ist und dementsprechend gut mit seinen Mitmenschen auskommt. Ein Mensch mit Schwächen, aber dem Herzen am rechten Fleck. Mit seinem Friseursalon kommt er über die Runden und ist zufrieden. In einer besonders schönen Szene versorgt er einen Kunden im Rhythmus zur Musik Brahms‘. Gegen die Angriffe von Hynkels Sturmtruppen wehrt er sich redlich und verliebt sich schließlich in die Wäscherin Hannah (Paulette Goddard, „Moderne Zeiten“), eine kämpferische junge Frau, die hier eine starke Frauenrolle verkörpert.

Der Welt des Friseurs wird jene Hynkels gegenübergestellt, die von einem hektischen und enggetakteten Alltag bestimmt ist. Hynkel ist ebenso machtbesessen, größenwahnsinnig und selbstverliebt wie infantil, autoritär, dilettantisch und aufbrausend. Chaplin zeichnet Hynkel als eine kranke Persönlichkeit und zieht ihn kräftig durch den Kakao, ohne jedoch dessen Gefährlichkeit in Abrede zu stellen. Hynkels Reden in einem Fantasiesprachen-Kauderwelsch inklusive einzelner Versatzstücke deutscher Sprache sind in der Inbrunst, mit der sie von Hynkel vorgetragen werden, nicht nur eine großartige Hitler-Parodie, sondern auch eine satirische Überspitzung der deutschen Phonetik. In den meisten Szenen spricht Hynkel jedoch schlicht Englisch. Zwischenzeitlich meldet sich ein Sprecher aus dem Off zu Wort, um das Geschehen zu kommentieren und auch Teile der Rede Hynkels zu übersetzten, verstummt danach jedoch wieder. Das Aufwerfen der „Judenfrage“ zeigt Chaplin als Ablenkung des Volks von wahren Problemen, womit er die NS-Demagogie durchschaut hat.

Die Konkurrenz zwischen Mussolini und Hitler wird aufs Korn genommen, wenn deren Äquivalente Napoloni und Hynkel sich wie zwei kleine Kinder um Kriege streiten und der Konflikt in einer Lebensmittelschlacht mündet. Der Größenunterschied zwischen beiden ist ein weiterer Quell des spöttischen Humors. Satirischer Wortwitz findet sich in den ihren realen Vorbildern ähnlich klingenden Namen, neben Hynkel und Napolini sind dies beispielsweise „Gorbitsch“ für Goebbels oder „Hering“ für Göring. Derart satirisch verschlüsselte Abbilder ziehen sich durch den Film und finden ihre Entsprechung auch in vielen ausstatterischen Details. Der gesamte inszenierte Glanz des Faschismus wird verulkt, was Chaplin immer wieder mit Slapstick in Verbindung bringt – am memorabelsten möglicherweise verbunden in der Szene, in der Hynkel machttrunken mit seinem Globus tanzt, der am Ende zerplatzt. Hilfreich ist auch die Perspektive des Naiven, die der Film einnimmt, wenn er vom bzw. durch den Friseur erzählt. Ausgerechnet diese klassische Stummfilmfigur des Tramps avanciert zum mutigen politischen Mittel gegen Faschismus.

Dieser wächst bei seiner berühmten und vielzitieren Abschlussrede über sich hinaus, wenn er sich in einem ergreifenden, gänzlich unkomödiantischen Appell ans Publikum und damit gerade auch an die einfachen Leute richtet, sich gegen Gier und somit gegen Kapitalismus, aber für Menschlichkeit und Frieden ausspricht und betont, dass es nur mit einem solchen Film nicht getan ist, sein Publikum also in die Realität zurückholt. Zuvor ist der Film zu einer Verwechslungskomödie geworden, das bis dahin schon so lange Naheliegende endlich auskostend: die äußerliche Ähnlichkeit zwischen beiden Charakteren, die aufgrund der damaligen Mode auch in der Realität zwischen Chaplin und Hitler bestand.

„Der große Diktator“ ist derart dynamisch ausgefallen, dass er zu keinem Zeitpunkt in Langatmigkeit oder aus Verlegenheit integrierte Wiederholungen verfällt, obwohl er mit über zwei Stunden Laufzeit insbesondere für damalige Verhältnisse relativ lang ist. Wie der immer sehr auf seine respekteinflößende Außenwirkung bedachte Hitler zu einem infantilen, albernen Typen degradiert wird, ist ebenso gelungen wie unterhaltsam und zeigt, weshalb sich die Frage, ob man Nazis parodieren darf, eigentlich nicht zu stellen braucht: Ihre Agenda ist die Angst; macht man sich über sie lustig, verlieren sie bereits ein gutes Stück ihrer Macht.

Chaplins Film verhandelt auf fulminante Weise Themen wie Widerstand und Solidarität, spart in seiner Personalisierung faschistischer Herrschaft jedoch den Anteil eines Großteils der Bevölkerung aus, der die faschistische Machtergreifung erst ermöglichte. Als das satirische Psychogramm Hynkels, das der Film zu großen Anteilen ist, wäre er damit möglicherweise überfordert gewesen, weshalb man ihm das nur schwerlich zum Vorwurf machen kann. Und so kann man fast froh sein, dass Chaplin seinerzeit das ganze Ausmaß des NS-Terrors noch nicht bekannt war, weil anderenfalls dieser wertvolle Film wohl nie entstanden wäre.

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