Oftmals vollmundig als Erotikdrama tituliert und in den Programmkinos nicht selten die Nachtschiene in den 80ern füllend, ist Jean-Jaques Beineixs dritter Film nur auf den ersten Blick wahrhaftig erotisch aufgeladen, nicht zuletzt wohl wegen der Einleitung, die Jean Hugues Anglade und Beatrice Dalle in einem leicht schäbigen Raum im Bett schwitzend zeigt, was den latent freizügigen Charakter des Films schon mal andeutet, ohne das „Betty Blue“ jemals in den Bereich Erotik abdriftet.
Es liegt wohl nicht zuletzt an der oft schwülen, schweißtreibenden Atmosphäre, die sich durch den ganzen Film zieht, dass man für Beineixs Film so eine Schublade fand.
Erzählt wird eigentlich die Geschichte einer zerstörerischen „Amour Fou“, einer zufälligen Begegnung, die sich zur Beziehung auswächst und später zur wechselseitigen Besessenheit wird.
Die zwanglose Fickbekanntschaft ist schon nach der einleitenden Szene vorbei, als die gefeuerte Kellnerin Betty bei dem Schrottplatzangestellten Zorg einzieht, in einen leicht schäbigen Strandpavillon, der zugleich kleines Glück und Gefängnis ist. Die erotische Spannung tut ihr Übriges und es entwickelt sich eine temperamentvolle Beziehung, in der Zorg die duldsame, entspannte Seite darstellt, der das Leben meistens so nimmt, wie es kommt, der aber auch ohne zielgerichteten Ehrgeiz ausgestattet ist.
Durchaus talentiert, aber ohne Antrieb, wird Betty zur Aktionistin, die Zorg immer wieder in neue Richtungen drängt. Ihr bloße Anwesenheit kostet ihn den Job, woraufhin er die Strandpavillons anstreichen soll, eine Aufgabe, die er ohne Murren erledigen will, obwohl sie ihn Jahre kosten wird. Betty als emotionale Komponente des Paares reagiert dagegen wie üblich, zerschmeißt die Einrichtung, am Ende fackelt sie die eigene Heimstatt sogar ab.
Aber das ist nur der Auftakt einer Beziehungsreise quer durch Frankreich, die Betty und Zorg zu neuen Freunden führt, in einem Restaurant arbeiten lässt, während sie bemüht sind, Zorgs Tagebücher als Roman zu veröffentlichen. Später werden sie wieder in der Provinz ankommen, als Leiter eines Klaviergeschäftes.
Doch ihre Odyssee ist eigentlich keine, letztendlich sind beide nur auf der Suche nach einem: einem glücklichen Zusammenleben, einer Familie, einem Kind – elementare Wünsche.
Dem im Weg steht ihre Gegensätzlichkeit, denn wenn Betty auch nicht, wie oft kolportiert wird, verrückt ist, so hat sie doch gewaltige Aussetzer, hat sie ihre Emotionen nicht unter Kontrolle. Betty ist Kind geblieben, dem Alter an sich gerade erst erwachsen; sie ist enthusiastisch und leicht zu begeistern, die treibende Kraft, die Zorg erwachen lässt.
Doch die Realität unserer Tage sind diesem kindhaften Idealismus im Weg, Hindernisse und längeres Warten, noch verstärkt durch Zorgs Duldsamkeit, verkehren den Antrieb ins Gegenteil. Betty reagiert frustriert, doch da sie innerlich Kind ist, kehrt sie ein leicht soziopathisches Verhalten hervor: zündet die Hütte an, sticht mit einer Gabel auf eine meckernde Kundin ein, attackiert brutal einen Verleger, der das Buch ablehnte.
Natürlich können diese Gegensätze nicht zu einem Happy End führen, selbst die scheinbare Provinzidylle kannn nicht verhindern, das so etwas wie eine Fehlgeburt zu einem Nervenschaden oder einer schwerwiegenden Psychose führen kann – und erst als Betty praktisch alles verloren hat, was ihr (selbst-)zerstörerisches Wesen ausmacht, kann auch Zorg nicht mehr weiter, ihr Energie hat ihn mit verbrannt, er bleibt als Einsamer zurück.
Beineix erzählt seine Geschichte unaufgeregt und in ruhigen, aber sehr eindrucksvollen Bildern, setzt humorvolle Akzente neben den unvermittelten psychopathischen Einschüben und kann so den Zuschauer stets im Unsicheren lassen, wie sich die Geschichte weiter entwickelt – was jedoch organisch und erwartet passiert, nicht vorhersehbar.
Hier wird nicht analysiert, sondern der Druck visualisiert, der auf der Suche nach dem gewöhnlichen persönlichen kleinen Glück hinter einem stehen kann und das macht der Regisseur so geschickt, das stets beide Antipoden der Beziehung symathisch wirken.
Anders als der neonfarbene „Diva“ taucht Beineix diesen Film in sonnendurchglühte Farben (außer der Parissequenz, die dagegen überraschend grau wirkt, außer in den wieder leuchtend eingerichteten Innenräumen), verbrannte Schwüle am Strand, später flirrende Hitze auf dem Land. „Betty Blue“ ist sicher kein Film, den man einfach so genießen kann, aber seine Bilder beißen sich fest und im Anschluß hat man das dringende Gefühl, das mal wieder eine Dusche fällig wäre. (8,5/10)