Des Werbespots für das UN-Ernährungshilfeprogramm vor dem Hauptfilm ansichtig werdend, in dem Rachel Weisz (noch Deutsch untertitelt) großäugigen afrikanischen Kindern das Kommen der weißen Flugzeuge ankündigt, sagte ich noch zu meiner Begleitung: "was für Zeiten in denen man den Werbespot nicht mehr vom Film unterscheiden kann". Wie prophetisch das war, haben mir die folgenden zwei Stunden deutlich gemacht..
Doch wie das so ist mit der guten und der schlechten Nachricht, zuerst das Positive. Meirelles hat definitiv einen eigenen Stil, entwickelt und zum ersten Mal groß präsentiert in City of God, seines Porträts der Slums von Rio de Janeiro. Ein buntes Sammelsurium aus Gewalt, Liebe und Verzweiflung, flashy und stylish inszeniert in einer Mischung aus unvermeidlicher Wackelkamera bzw. Epilepsie-Schnitt-Inferno und elegischen Landschaftsaufnahmen. Wirkt! Man kann ihn als den Spielberg des kommerziellen Arthouse-Kinos bezeichnen - die Bildsprache beherrscht Meirelles aus dem Efef, die Komposition der Szenen und die "passende" Musik sitzt ebenso, aber auch das Händchen für die richtigen Schauspieler ist ihm gegeben.
Was nicht zuletzt daran liegt, dass nach dem echten Basischarakter des entsprechenden Darstellers gecastet wurde, was meistens ein Erfolgsgarant ist: Ralph Fiennes ist der verklemmt-introvertierte, leise sprechende Brite, Rachel Weisz das feurige Flittchen mit dem Herz am rechten Fleck, Danny Huston hingegen der, der immer mehr will als er haben kann und zuguterletzt zwischen den Fronten untergeht. Die Schauspieler sind es, die den Film in seinen (wenigen) besten Momenten tragen.
Nicht zu vergessen die Buchvorlage von John Le Carré, dem Meister der Kalter-Krieg-Agentenparanoia. Allerdings beginnt das Bild hier schon zu wackeln, denn diese Art der Fiktion hat sich ein bißchen überlebt und ist nur bedingt auf Verhältnisse wie eben in Afrika anzuwenden. Er bemerkte einmal auf die Frage, ob denn mit den Ländern der Dritten Welt wirklich so viel Schindluder getrieben werde, dass es in Wirklichkeit noch viel Schlimmer wäre. Wie immer über alles detailliert informiert, hat er vermutlich sogar recht, aber eher in der Hinsicht, daß die Dinge noch viel komplizierter sind und die Opfer gar nicht von bestimmten Tätern zugrunde gerichtet werden, sondern von den Umständen. Wie dem auch sei, Le Carrés Stärke sind die ambivalenten Charakterzeichnungen, bei denen nur wenige GANZ böse sind und eigentlich niemand Lichtgestalt. Selbst Tessa Quayle schießt in ihrer Selbstgerechtigkeit bisweilen über ihr Ziel hinaus und gefährdet damit nicht nur ihr Nahestehende, sondern auch ihre eigene Arbeit (was ihr ja letztlich auch zum Verhängnis wird).
Wenn also, um wieder zum Anfang zurückzukehren, die Einzelteile dieses Films durchaus stimmig sind, so ist es verwunderlich wie wenig sie letztlich im Gesamtbild zusammenpassen. Nach dem Spot mit Weisz dachte ich: ui, da wird es jetzt aufrüttelnd! Erstaunlicherweise fiel Meirelles aber nicht mehr ein als den Kreatoren der Unicef-Werbespots, nämlich bunte, feuchtäugige und rasend süße afrikanische Kinder, die generell ganz arm sind. Dazu kommen, fast eins zu eins nach „City of God“, die üblichen Versatzstücke: die Szenen in Afrika sind in satten Farben getränkt, die westeuropäischen Städte hingegen in „ausgewaschene Jeans“-Blau, weil dort ja auch die „Bösen“ zuhause sind. Visuell bleibt also wenig mehr als ein gefälliges Stimmungsbild, das auch gut in den Penthouses der Reichen als politisch-korrekter Bildschirmschoner am Plasma-TV laufen könnte.
Doch auch inhaltlich kann man keine Richtung ausmachen. Auf der einen Seite liegt natürlich einiges Gewicht auf der postmortalen Liebesgeschichte, doch diese bleibt, speziell angesichts ihrer fatalen Folgen, zu blass, um die Beweggründe der Protagonisten allzu sehr verständlich zu machen. Daneben soll es auch noch Spannung geben, mit Bösewichtern aus der Pharmaindustrie und ihren Schergen, doch diese sind zu keiner Zeit wirklich bedroht (außer durch ihre höchsteigenen Ränke) und machen bis zum Schluss, was sie machen. Die UN hatte offensichtlich einen großen Teil des Budgets getragen, ergo bekam sie in Zeiten stetig wachsender „product placement“-Dreistigkeit auch viel Raum zugesprochen, doch ein besonders gutes Bild von ihrer Arbeit wird trotzdem nicht gezeichnet: als gegen Ende eine etwa 7-köpfige (!) Horde marodierender Krimineller ein UN-versorgtes Dorf überfällt, läuft die gesamte Besatzung wie aufgeschreckte Hühner zum Flugzeug anstatt die paar ärmlichen Gestalten in Notwehr zu beseitigen. Vermutlich ist diese Darstellung sogar realistisch, doch wenn das die vielgepriesene UN sein soll, die nicht mal ihre eigenen Werte verteidigen kann, dann ist das nur Öl aufs Feuer der „Falken“ um G. W. Bush.
Jedoch auch filmimmanent steht solch plötzlicher Realismus im Gegensatz zum Kitsch der Bilder. Soll nun ein befürwortenswerter zweistündiger Werbespot für eine gute Sache gezeigt werden, ein tragisches Liebesdrama oder eine defätistische Zustandsbeschreibung der Wirklichkeit? Eigentlich müsste man sich nicht entscheiden, es sind im Gegenteil die besten Filme, die so widerstrebende Strömungen stimmig in eine Einheit fügen können, doch im Fall von „Der ewige Gärtner“ legt sich Meirelles – und hier ist tatsächlich mal der Regisseur fast alleine verantwortlich als technischer und ästhetischer Administrator eines Films – selbst laufend Entscheidungen für die eine oder andere Richtung auf, die er dann wieder umwirft. Vielleicht waren auch zu viele Interessenvertreter in der Produktion involviert und Meirelles hatte keinen Nerv diese seiner Vision, so er eine hatte, zu unterwerfen. Einzig die US-Tabakindustrie scheint nicht dabei gewesen zu sein, sonst würde einer der verhältnismäßig ganz Bösen nicht so demonstrativ eine Packung Marlboro in die Kamera halten (war vermutlich ein Gag, daher fordere ich jetzt nicht empört mehr Subtilität im placement) – auch hier fügte sich der Film nahtlos in den Werbeblock davor.
Zusammengefasst muss man also sagen, dass hier eine dezidiert fehlerhafte Chemie herrscht. Die nicht uninteressante Bildsprache wird, eben wie bei Spielberg, einer unzulässigen emotionalen Manipulation des Zuschauers verpflichtet, doch im Gegensatz zum US-Meister des Cine-Kitsches kann man die Absicht hier nur an der Tatsache erahnen, dass es um Entwicklungshilfe in Afrika geht. Der Krimiteil ist linear, ein bisschen uninspiriert (Le Carré schreibt sein eines Buch ja schon seit einigen Jahrzehnten), hätte immerhin eine flotte Bond-artige Sache werden können, wenn den bösen Pharmafuzzis auch nur der Hauch eines Widerstands entgegengesetzt wäre. Stattdessen laufen alle davon und verlassen sich auf die Politik, die die schlimmen Verhältnisse erst ermöglicht hat. Die Liebesgeschichte hingegen plätschert nebenher und hat keinerlei direkten Einfluss auf die politisch-kriminellen Ereignisse, denn dass der Tod seiner geliebten Frau den Gärtner nun zu sonderlich produktiver Aktivität hinreißen würde, kann man im Gegensatz zur publizierten Zusammenfassung, nicht behaupten, er lässt sich von denselben Hinterhof-Hooligans zersieben, die schon seine Frau vergewaltigt und umgebracht haben, schreibt aber vorher noch einen Brief, der dann mehr oder weniger unter Ausschluss der Öffentlichkeit bei seinem Begräbnis im heimatlichen England verlesen wird. Bis auf die Brüskierung eines Politikers nix gewesen. Ist das die wahre Bedeutung des rätselhaften Titels? Fiennes spielt ihn allerdings großartig, den ewig Getretenen, an der Wirklichkeit bis zuletzt nur marginal interessierten „Gärtner“ und schließt somit an seine Ausnahmeperformance in „Spider“ an.
Die Schauspieler sind es auch, die meine Bewertung mit Ach und Krach auf 5 Zähler heben – von dem vor meinem Kinobesuch in Kritiken gelesenen „Meisterwerk“ oder „unter den besten des Jahres“-Film konnte ich keine noch so zarte Spur entdecken. Es ist löblich und lauter gute Absichten zu haben – ein guter Film wird allein aus diesen allerdings noch lange nicht.