Land of the Dead (mit einigen Spoilern!)
"Wieso laufen die denn jetzt schon rum?" fragt die blonde Frau, die sich links neben mir mit ihrem halben Hausstand auf dem Kinosessel breitgemacht hat, als sich die Kamera gleich zu Beginn sachte über die zerfallenen Gesichter der Reste menschlicher Zivilisation bewegt.
"Das ist der vierte Teil einer Reihe von Zombiefilmen", antwortet der Typ, der wiederum links neben ihr sitzt, offenbar ihr Freund. Während die Blonde demonstriert, daß sie an einer dezidierteren Antwort auf ihre Frage kein Interesse hat, indem sie einen Apfel hervorholt, auf dem sie die nächsten Minuten laut schmatzend herumkauen wird, wohl um zu zeigen, daß es noch Vegetarier gibt, fängt die Dunkelhaarige rechts neben mir an, ihre Beine an- und scharf Luft einzuziehen. Irgendjemand muß ihr wohl zum Spaß erzählt haben, der Film sei von Disney.
Manchen Leuten scheint es zu entgehen, daß man doch eigentlich ins Kino geht, um einen Film anzusehen. Meine beiden Sitznachbarinnen gehörten wohl nicht zu dieser altbackenen Kategorie von Kinogängern und hätten garantiert schnell einen Anspruch auf ein Appartment in Fiddler´s Green erhalten, organisiert und angeführt von einem gestylten Geldsack namens Kaufman (Nomen est Omen), der von Dennis Hopper eindrucksvoll mit eiskalter Arroganz dargestellt wird.
Kaufman läßt es sich im Obergeschoss seiner Festung gutgehen, während Leute wie Riley (Simon Baker) und Cholo (John Leguizamo) die Versorgung der von Menschen errichteten Zuflucht sorgen, indem sie umliegende Ortschaften nach Nahrung und Medikamenten durchsuchen.
Gleich zu Beginn fragt man sich nach der Motivation, die die Leute haben mögen, ihr Leben auf diese Weise zu riskieren, als Cholo seinen Grund ausdrücklich nennt: er erhofft sich einen Platz in Fiddler´s Green als Belohnung, wird jedoch von Kaufman mit diplomatischen Worten eines Besseren belehrt, der ihm zu verstehen gibt, daß dort für ihn kein Platz sei.
Wutentbrannt entführt Cholo zusammen mit einigen seiner Mitarbeiter die "Dead Reckoning", den gepanzerten Truck, mit dem Nacht für nach die Vorräte herangekarrt werden, und der als letztes Mittel der Flucht für den Notfall gilt. Er droht, Fiddler´s Green mit der auf dem Dach montierten Stalinorgel dem Erdboden gleichzumachen, wenn Kaufman ihm nicht die Summe von 5 Millionen Dollar zukommen läßt.
Hier kommt Riley, der Konstrukteur der Dead Reckoning, ins Spiel, den man mit einem schmutzigen Trick zwingt, Cholo nachzustellen und den Truck zurückzuholen.
Mit ein paar Freunden, unter anderem dem zurückgebliebenen Charlie (Robert Joy) und der Prostituierten Slack (Asia Argento), macht sich Riley an die Arbeit, und verfolgt dabei ganz eigene Ziele, wie sich später herausstellt.
Im Gegensatz zu anderen aktuellen Filmen liefert Romero mit dieser Ausgangsbasis bereits genug Material, um seinen Figuren Leben einzuhauchen. In einer Welt, in der nur Zombies herumlaufen, hat dies bereits einen Stellenwert eigener Art...
Trotz umherspritzenden Bluts und erheblich mehr Gore-Sequenzen (dies gilt besonders für den kürzlich in den USA auf DVD veröffentlichten Director´s Cut), als sie der Vorgänger "Day of the Dead" noch vermittelte, zeigt sich Romero einmal mehr als der Meister der leisen Untertöne, wenn es darum geht, Charaktere und ihre Motivationen darzustellen. Den von ihm mittlerweile erwarteten sozialen Kommentar legt er hier gleich auf mehreren Ebenen an.
Überdeutlich wird seine Kritik an der Bush-Administration durch den von Hopper gespielten Kaufman, dessen Ausspruch "wir verhandeln nicht mit Terroristen" original übernommen und in einen neuen Kontext gepackt wurde.
Bereits zu Beginn zeigt er, was er vom "kleinen Mann auf der Straße" hält, als Cholo ihm eine erbeutete Kiste Henckell Trocken ins Penthouse bringt, um mit ihm auf seinen gewünschten Einzug in Fiddler´s Green anzustoßen. Kaufman hält es nicht nur nicht für nötig, ihn während des folgenden Gesprächs anzusehen, er ignoriert auch das ihm von Cholo eingegossene Getränk und bedient sich selbst an seiner Hausbar, um die Verhältnisse klarzustellen.
Romero führt hier sehr transparent seine Aussage ein: die dekadente Oberschicht ist gar nicht dekadent, sondern viel eher berechnend. Man läßt sich bedienen und ist dafür niemandem zu Dank verpflichtet, allein die bestehenden Klassenunterschiede rechtfertigen dies, ein Anspruch des Untergebenen auf Belohnung besteht nicht. Kaufman zeigt kalte Konsequenz, als Cholo seine Enttäuschung und seine Wut hierüber zum Ausdruck bringt. Während dem Underdog des US-Films hier ein Spruch wie etwa "legt ihn um" über die Lippen gekommen wäre, klärt Kaufman ein Mitglied seiner uniformierten Schutzstaffel auf, daß er "die Dienste dieses Mannes nicht mehr benötigt". Die Art, in der insbesondere Hopper hier den "Geschäftsführer" verkörpert, zeigt deutlich, daß er mit dem vorgetragenen Begehr gerechnet hat, und daß es nie eine Alternative zum Austausch des Begehrenden gegeben hat.
Wenn bereits diese Szene nicht bis ins Mark eine bittere Aktualität aufweist, weiß ich es auch nicht. Jeder, der heutzutage das zweifelhafte Vergnügen hat, einen Arbeitsplatz zu haben, wird so etwas selbst miterlebt haben. Wem wurde nicht schon gesagt, "wir alle" müssen unsere Gürtel in schlechten Zeiten enger schnallen, und wem wurde nicht schon klar, daß dies nur eine billige Begründung für dreiste Abzocke von Leistung ohne adäquaten Lohn ist?
Von daher war für mich der hitzige Cholo die erste Identifikationsfigur in dieser Story. Wer möchte vorgesetzte Arroganz nicht mit einer Stalinorgel von ihrer Existenz befreien?
Nachdem die beiden harten Fronten des Films dargestellt wurden, kommt nun das Bindeglied Riley hinzu. Kaufman, der sich selbst treu bleibt, und Riley zwingt, ihn zu unterstützen, statt ihn schlicht darum zu bitten, schickt ihn auf die Suche nach Cholo, und hier bekommt er ordentlich zu tun, hat er doch nunmehr die schwierige Aufgabe, dem Chef sein Gefährt zurückzubringen, ohne selbst auf der Strecke zu bleiben.
Riley, als dessen Ex-Kollege zunächst durchaus mit Cholo vergleichbar, sucht nach einem Platz für sich, sieht diesen jedoch nicht in Fiddler´s Green, sondern "im Norden", wo er sich mit seinen Freunden niederlassen möchte. Auf Kaufmans Einwand "da oben ist doch nichts", entgegnet er schlicht, dies sei die Idee dahinter, und zeigt damit, daß er eine durchaus realistischere Weltsicht hat, als Cholo.
Hier stehen sich "wenn du dich ihnen nicht anschließen kannst, mach sie fertig" und "wenn du dich ihnen nicht anschließen kannst, laß sie zurück" gegenüber. Dabei gibt sich Riley keinen Illusionen hin. Mangels eines entsprechenden Wunsches dazuzugehören, macht er dies auch nicht zur Feder seiner Motivation, jedoch benötigt er für seine Reise in den Norden ein gesichertes Fahrzeug.
In dem Augenblick, in dem Riley seinen Plan offenbart, Dead Reckoning für sich selbst zu behalten, fühlt man sich fast an einen alten Western erinnert, vielleicht wollte Romero hier im übertragenen Sinn etwas Totes zum Leben erwecken.
Vielleicht geht hier die Fantasie mit mir durch, jedoch spricht für mich dafür, daß er Querverweise zu John Carpenters erstem sowie bisher letztem Film verwendet: hieß nicht in "Assault on Precinct 13" der unerschütterliche Ehrenkodex der Streetgangs "Cholo", und wurde der nur herumschreiende Anführer der "Ghosts of Mars" nicht in den Credits als "Big Daddy" bezeichnet? Carpenter hat nie einen Hehl aus seiner Vorliebe für die Western von Howard Hawks und John Ford gemacht, und vielleicht möchte Romero mit einer Anspielung auf diesen Zusammenhang zu einer Rückkehr zu den "guten alten Werten" bewegen.
Eine weitere Szene spricht dafür. Als man dem zurückgebliebenen Charlie im Austausch für seinen uralten Karabiner aus dem 2. Weltkrieg ein modernes Sturmgewehr mit dem Argument "das verschießt 14 Kugeln pro Sekunde" anbieten will, entgegnet dieser "so viele brauche ich normalerweise gar nicht...".
Hier mußte sich das Alte anhand des Neuen bewerten lassen und konnte durch eine simple Aussage bestehen.
Sollte dies Romeros Kernabsicht gewesen sein, so muß "Land of the Dead" als uramerikanischer Film gelten, denn nur dort kann man durch eine Zuwendung zu alten Werten eine Abkehr vom Konservatismus erreichen.
Meiner Ansicht nach kann Romero hier voll auftrumpfen, denn nie zuvor habe ich mich von den hier verwendeten Anspielungen auf Modeerscheinungen, die mittlerweile selbst die Amerikaner als "Zeitgeist" bezeichnen, so sehr persönlich angesprochen gefühlt. Sarkastische Kommentare zum Stichwort "Konsum" in "Dawn of the Dead" oder die Defintion eines Wissenschaftlers als einer Person, die so lange forscht, bis es nichts mehr zu erforschen gibt in "Day of the Dead" (ein Zitat aus dem Heston-Klassiker "der Omega-Mann", dessen Vorlage "Ich bin Legende" von Richard Matheson Romero immer zu seinen Haupteinflüssen gezählt hat) haben zweifellos ihren Aussagewert. Jedoch erst hier ist eigentlich jeder betroffen, da es in "Land" nicht um den Erwerb zum Spaß oder aufgrund eines Auftrags, sondern um den gewissermaßen gezwungen Erwerb zur Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage geht.
Das Ende des Films, von vielen als Quasi-Happy-End bezeichnet, sehe ich durchaus als trostlos an, denn man kann die hier dargestellten Zustände nur überwinden, indem man sie wie Cholo letzten Endes erfolglos bekämpft, oder sie wie Riley hinter sich läßt. Eine Chance auf Änderung oder gar Verbesserung ist nicht in Sicht.
Wo gibt es nun Anlaß zur Kritik? Einige der Wendungen im Film sowie einige der dargestellten Ziele einzelner Figuren entbehren in Einzelheiten einer Nachvollziehbarkeit. Man muß sich die Frage stellen, was Cholo in der gezeigten Welt mit fünf Millionen Dollar anzufangen gedenkt, wenn es ihm denn tatsächlich um Gelderwerb und nicht nur um Rache für das enttäuschte Ego geht. Weiterhin stellt sich die Frage, wieso Riley sich tatsächlich die Mühe macht, Dead Reckoning aufzuspüren, den Truck zu betreten und sich einer Diskussion mit Cholo und seinen Leuten hinzugeben, wenn er den Raketenwerfer auf dem Dach ganz einfach mit einer Fernbedienung lahmlegen kann.
Größter Kritikpunkt ist für mich die Rolle der Slack (Asia Argento). Ich denke, Romero hat sie als Zugeständnis an seinen alten Kumpel Dario in den Film integriert, denn eine tatsächliche Funktion innerhalb der Story hat sie nicht. Welche andere Wendung hätte diese genommen, hätte man die Figur komplett gestrichen? Ich konnte mir diese Frage bisher nicht beantworten.
Darüber hinaus erschienen mir die Zombies fast als Beiwerk, um dem Genre und den mit ihm einhergegangenen Änderungen treu bleiben zu können. Einerseits liefern sie lediglich die Grundlage für ein paar sehr blutige Schießereien sowie - im Director´s Cut - ausgedehnte Freßorgien, und andererseits stellt ihre im Vergleich zu den älteren Romero-Filmen gezeigte gesteigerte Intelligenz ein Zugeständnis an neuere Entwicklungen im Zombie-Genre dar. Hierzu gehören nicht nur Filme, wie etwa das Dawn of the Dead-Remake von 2004, sondern auch die in den USA sehr erfolgreichen Romane "The Rising" und "City of the Dead" von Brian Keene (leider nicht in deutscher Sprache erhältlich). In letzterem Buch, zu Beginn des Jahres 2005 noch vor dem Kinostart von "Land" erschienen, geht es übrigens um eine Gruppe versprengter Überlebender, die in einem zu einer Festung ausgebauten Wolkenkratzer unter der Leitung eines despotischen Multimilliardärs eine vorübergehende Zuflucht finden.
Vergleicht man den Film mit der gesichtslosen Dutzendware, die vor allem während des vergangenen Sommerlochs wie eine dunkle Wolke über der cineastischen Landschaft schwebte, kann "Land of the Dead" allerdings eindeutig bestehen. Er hat und zeigt Charakter, und verzichtet trotz des Einsatzes von CGI-Effekten auf eine Anbiederung an die mittlerweile viel zu weit verbreitete MTV-Ästhetik anderer Filme.
Ich halte es für beruhigend, daß zumindest in Einzelfällen das Alte gegen das Neue noch bestehen kann, auch wenn es viel zu viele Kaufmänner im Filmgeschäft gibt, sowohl auf Produzenten- als auch auf Zuschauerseite.