Review

Wie könnte man seine 500te Filmkritik - abgezogen die diversen Kurzkommentare - besser würdigen, als wie mit einem Klassiker der Sammlung, der alles das beinhaltet, was den persönlichen Filmgeschmack am ehesten charakterisiert? Natürlich mit einem Troma Film! Aber nicht nur irgendeiner - nein, zu meinem 500ten muss ein besonderer hervorgehoben werden. Ein absoluter Klassiker, der all das repräsentiert was ich wertschätze: Sex, Gewalt und schwarzen Humor. Die gewisse Dosis Anspruch nicht vergessen, wenn man mir auch vorhält keinen zu haben. Doch ihr Kritiker eines Kritikers, steige ich nicht in Eurer Gunst, so widme ich mich einer Literaturverfilmung eines des größten Schriftstellers aller Zeiten, William Shakespeare? Als Kulturbanause stempelt ihr mich sicher ab, doch worüber ihr ob grotesker Leichenschändung nur Eure Köpfe schüttelt, so ist Lloyd Kaufman mein ewiger Dank für diese moderne Adaption dieses zeitlosen und auf alle Epochen übertragbaren Stoffes gewiss.

Die ewige Geschichte um Liebe und Leidenschaft, als auch von Hass und Tod ist Herzstück klassischer Dramatik seit jeher; kein anderer als wie William Shakespeare hat sie jedoch so leidenschaftlich und tragisch erzählt, kein anderer als wie Lloyd Kaufman besser in die heutige Zeit adaptiert. Ganz ehrlich: Leonardo DiCaprio stinkt gewaltig gegen Will Keenan in der Rolle des Romeo ab. Dafür kann man aber gegenhalten das DiCaprio sicherlich weniger gestunken hat.

Denn dieser Romeo, hier verfremdet zum labeltechnisch besser klingenden Tromeo, lebt in einer ziemlich herunter gekommenen New Yorker Absteige, in der er seine Verzweifelung über schmachtende Liebe mittels pornografischen CDs, z.B. „As you lick it“, genug Aus-Druck bringen kann. Als Sohn des abgehalfterten Pornofilmproduzenten Monty Que verbringt er sein tristes Leben mit der Suche nach “der Richtigen” und Straßenkämpfen mit der befeindeten Familie Capulet. Denn die einst so befreundeten Familienoberhäupter der Que und Capulets zerstritten sich bei ihren gemeinsamen Filmproduktionen Marke französischer Kunstfilm. [Aber insbesondere bei solchen Rammelorgien kann man sich sicher sein, das hier unreine Hände zum erfolgreichen Absch(l)uss des Tagesgeschäftes beitragen]. Seitdem herrscht Krieg auf Manhattans Straßen, eine Vielzahl von Cousinen und Freunden der rivalisierenden Gangs - der eine gewaltbereiter (& durch geknallter) als der andere - hauen sich die Köpfe ein.

Ein ganz anderes Leben gewohnt und von all dem nichts mitbekommend Julia, Tochter des reichen Cappy Capulet, der sie wie in einem goldenen Käfig hält. Das vegetarische Mädchen hat es gottlob nicht einfach. Unter dem Scheffel ihres Vaters stehend, kommt sie nicht wirklich aus dem Haus, verbringt die Blüte ihres Lebens eingepfercht. Sex kennt sie nur vom hören und wenn ihr Daddy sie beim masturbieren erwischt, sie in einen Glaskäfig steckt und die Worte “Wer ist meine Cremeschokolode?” flüstert, dann hat das sicherlich nichts mit zärtlicher Liebkosung zu tun. Selbst die intimen Zungenkünste ihrer lesbischen Haushälterin können den Gedanken an “echten” Sex nicht wirklich kaschieren.

Auf einem Maskenball, bei dem die Familie Que den Capulets noch mal richtig eins auswischen will, trifft der dort als Kuh(!) verkleidete Tromeo die Vegetarierin(!) Julia, die aber zu dem Zeit Punkt schon dem Fleischverpackerkönig(!) London Abacke versprochen ist. Werden die in Julia erweckten fleischlichen Gelüste doch noch befriedigt? Wird Tromeo seine Euter noch leeren können, bevor ihm unsanft das Bolzenschussgerät aus den süßen Träumen holt? Und wie ist die ganze Wahrheit über Verlockung, Verfremdung und Versöhnung?

Dazu braucht man wirklich schon annähernd zwei Stunden, will man der Vorlage gerecht werden und eine anständige - ja das ist sie fürwahr - zeitgenössische Adaption schaffen. Und das ist Lloyd Kaufman zu 100% gelungen. Der bis dato reifste und massenkompatibelste Ausstoß der berühmt-berüchtigten Troma Schmiede taugt wirklich, auch fernab der sonstigen Zielgruppe einen gewissen Kultstatus zu erlangen. Zwar auf Grund der (moderaten) Sex- & Gewaltszenen an ein eher älteres Publikum gerichtet, doch Männlein wie auch - ja, ist bestätigt - Weiblein ab mittleren Jahrgangs werden ihren Enkeln später mit dicken Grinsen im Gesicht erzählen können, wie sich der klassische Stoff über die Jahrhunderte gewandelt hat. Ernsthaft, den Frauen hat der Film meist gut gefallen!

In Literatur wie auch Film unabdingbar: Sex & Gewalt. Wenn auch der Erotikpegel für eine Troma Produktion erstaunlich hoch ist, die Waagschale wird nicht durch fehlendes Gekröse in Uneinklang gebracht. Denn mit handfesten Effekten wird auch hier nicht gespart, jedoch etwas zurückhaltender eingebracht. Alleine die dutzend Machtkämpfe der Familien entbehren nicht selten schöner Sauereien, die wie die gesamte Inszenierung schön schrill & grotesk sind. Da werden Finger mittels Papierschneider abgehackt, Ohren abgerissen, Köpfe zertrümmert und manch andere Extremität abgetrennt - selbstverständlich im typischen Billig-Look, daher eher kurios denn krank wirkend.

Schnittentechnisch wird man ebenfalls sehr verwöhnt. Dabei ist es nicht einmal Juliet die so eine erotisierende Ausstrahlung hat, wenn sie auch schon relativ heiß ist. Mein klarer Favorit hier ist Debbie Rochon, die trotz übermäßigen Metallbehangs in ihrer Rolle als lesbische Verführerin mal wieder mit allen Geschützen aufwartet. Jedenfalls sind die vielen romantischen Softsexszenen um einiges ästhetischer als Tromeo sich einen runterholen sehen zu müssen. Bleiben wir bei lieber bei den Frauen, die ein oder andere - geschmacklich sicher abhängige - hübsche taucht hier (Piercingstudio) wie da (Maskenball) auf; für den Tittenfaktor ist auch also auch gesorgt.

Ja was liest man da? Piercingstudio? Wie heißt es doch so schön auf dem Cover: “Piercing, Sex, Zerstückelungen. Die Dinge, die Shakespeare groß gemacht haben”. Als bekennender Nichtkenner der gesammelten Werke kann ich keine wirklichen Parallelen zum Wahrheitsgehalt ob vorgegebener Faktoren geben, aber die Kulissen sind echt gut gewählt und passen sich der modernen Interpretation an. Der Vorteil gegenüber einer echten klassischen Verfilmung ist, dass hier mit einem geringen Budget dennoch viel geleistet werden kann, da bewusst auf pompöse Kostüme etc. verzichtet wird. Die Drehorte sind wie aus dem Leben gegriffen, eine abgewetzte Bruchbude genauso kostengünstig realisiert, wie im Kontext der Rahmenhandlung authentisch wirkend. Denn wo findet man schon Schönheit und Eleganz im Underground von Manhattan? Da sieht man gerne drüber hinweg, dass auch obwohl im Kontrast stehen sollend, die Zeichnung des wohlhabenden Standes nicht wirklich schön ist.

Vielmehr wird durch die zerrüttete Familienkonstellation der gutbürgerlichen Seite die Spiegelseite des ach so vorzeigbaren Mittelstandes aufgezeigt, die sich in Wutausbrüchen, sexueller Nötigung und Raffgier darstellt. Da ist die “arme” Seite doch reicher - reich an Liebe und Toleranz. Wenn auch ein Strunz betrunkener Vater nicht seinen väterlichen Pflichten nachkommt, die Sympathien sind auf dessen Seite. Vielleicht gerade, weil man ahnt, das er sich dieses Leben nicht ausgesucht hat, quasi hinein gedrängt wurde. Das sind dann Szenen die trotz ihrer humorvollen Zeichnung zum nachdenken anregen und das Genre Drama rechtfertigen. Doch keine Sorge, der Film erhebt zu keiner Zeit wirklich den Anspruch anspruchsvoll zu sein.

Wobei ich natürlich nicht sagen darf, das hier darstellerische Minimalstleistungen abgerungen werden. Charakterdarsteller sehen anders aus, vor allem optisch, aber jeder gibt sein bestes und insbesondere die Hauptakteure harmonisieren sehr. Es ist einfach nur - ich verwende folgendes Wort sehr, sehr selten - wunderschön anzusehen, wenn Tromeo Julia eingesperrt im Glaskasten vorfindet und aus voller Inbrunst heraus Shakespeare vorträgt. Auch die überdrehten Familienmitglieder entbehren nicht einer gesunden Portion augenzwinkernden Wahnsinns; wenn auch teilweise arg die Geschmacksnerven strapazierend, sieht man den Priester in einer Traumsequenz in eindeutiger Absicht mit einem jungen Knaben das Tanzbein schwingen. Aber so ist Troma, immer wird bei den geschmacklichen Entgleisungen noch einer draufgesetzt.

Wirklich extrem wird es aber nicht, insgesamt wird einem zwar viel derber Humor geboten, kennt man sich jedoch etwas besser im schillernden Troma Kaleidoskop aus, so gibt es wahrlich heftigeres; angeführt sei an dieser Stelle die “Piss&Sperma” Show Citizen Toxie : Toxic Avenger 4. Hier geht es im Gegensatz dazu um einiges gradliniger und vor allem "zahmer" zu. Obwohl die Story zur Genüge bekannt ist, werden genug Abwandlungen getätigt, um für den ein oder anderen Überraschungsmoment zu sorgen. Sehr gut gefallen haben mir hier die surrealen Traumsequenzen Julias, bei dem auch schon einmal ein sich aus dem Hosenstall eines Muskelprotzes windender Monsterpenis ihre Angst vor dem Geschlechtsakt symbolisiert. Auch die „Popcorn“ Szene entbehrt nicht einer gewissen abstoßenden Eleganz…

Trotz dieser verquasten Mixtur wurde neben der Rahmenhandlung aber noch einiges von der geistigen Vorlage beibehalten. Zwar sind die Dialoge nicht vor einer zeitgenössischen Aufarbeitung verschont geblieben, hat sich doch eine Menge Fäkalsprache mit reingemischt, doch die Mixtur aus schwülstigen Pathos und Gossenslang gefällt. Und falls der geistige Vorhang nicht schon vorher gefallen ist, so kann man in bei den Enden der Hauptabschnitte, alt Sprachlich Akt genannt, kurz verschnaufen. Diese werden von kein geringerem als Lemmy Kilmister kommentiert, der mit seiner Band Motörhead unter anderen für den coolen Soundtrack sorgt.

Für jeden Geschmack ist also etwas dabei. Der typische Troma Filmgucker kommt dabei genauso auf seine Kosten wie der Freund eigenwilliger Literaturverfilmungen, Frauenherzen werden bei der liebevollen Herzschmerzstory mit dem sympathischen Antihelden genauso hoch schlagen, wie Männern bei der schwarzhumorig-ruppigen Inszenierung die eingestreuten weiblichen Reize anderes ausschlagen lassen. Man ist entweder am lachen, staunen oder mitfühlen - langweilig wird es trotz der längeren Laufzeit doch zu keiner Minute. Einer meiner absoluten Favoriten, sicherlich einer der emotionalsten und vor allem charmantesten B-Filme der neueren Zeitrechnung!

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