„Niagara" oder Technicolor goes noir
Zwei der größten Attraktionen der USA in einem Film hat man auch nicht alle Tage. Und Regie-Routinier Henry Hathaway weiß beide spektakulär in Szene zu setzen. Die Rede ist von den Niagara Falls und Marilyn Monroe. Die berühmten Wasserfälle an der kanadisch-amerikanischen Grenze sind der heimliche Hauptdarsteller in diesem Hochglanz-Psychothriller, der in vielem an Alfred Hitchcock erinnert. Das Böse und Finstere lauert unter einer polierten Oberfläche US-amerikanischer Spießbürgerlichkeit und idyllischer Umgebung.
Die Monroe zeigt hier erstmals, dass sie deutlich mehr kann als die dümmliche blonde Sexbombe, mit der sie zeitlebens immer assoziiert worden war. Hathaway inszeniert sie als klassische Femme Fatale, die mit ihren äußeren Reizen gezielt manipuliert, intrigiert und lange auch reüssiert. Wenn sie im knallroten und hautengen Kleid zwischen die biederen Mitgäste einer Ferienanlage stöckelt, dann steht ihr Auftritt in nichts dem der benachbarten tosenden Wasserfälle nach. Hier wie da bricht sich eine Urgewalt Bahn, die alles und jeden mitreißen wird, sofern er sich zu nahe heran wagt.
Ihr deutlich älterer Ehemann George Loomis (Josep Cotton) hat diesen Fehler bereits begangen und man ahnt schnell, dass diese Beziehung für ihn nur Leid bedeuten kann. Zu groß ist der Kontrast zwischen dem verbitterten und psychisch labilem Kriegsveteranen und der hedonistischen Rose. In dem er sie aus der Tristesse eines Schnellimbiss befreit hat, scheint er seinen Zweck erfüllt zu haben. Eiskalt und selbstzentriert plant Rose den Mord an dem lästig gewordenen Partner. Längst hat sie einen neuen Liebhaber, der ihr ähnlich verfallen ist und auch nicht davor zurück schreckt für sie zu töten.
Als Zuschauer beobachtet man das Geschehen durch die Augen des braven Ehepaars Polly (Jean Peters) und Ray Cuttler (Max Showalter), die ihre Flitterwochen in derselben Anlage verbringen und aus Hilfsbereitschaft und Neugier sukzessive in das Drama hinein gezogen werden. Ein geschickter erzählerischer Kniff, da weder Rose noch George Identifikationsangebote liefern, so dass eine emotionale Bindung fehlen würde. Zusammen mit den Cuttlers wird man so hilfloser Zeuge einer tödlichen Spirale, die unaufhaltsam auf den Abgrund zusteuert. Immer wieder integriert Hathaway dabei die benachbarten Wasserfälle und lädt damit die ganze Szenerie metaphorisch geschickt auf. Das Drehen an Originalschauplätzen auf der ungleich spektakuläreren kanadischen Seite zahlte sich vor allem in dieser Hinsicht voll aus.
„Niagara" ist kein gewöhnlicher Whodunit-Krimi, tatsächlich wird der Mordplan schon recht früh enthüllt, sondern eine fantastisch bebilderte Studie über die Abgründe der menschlichen Psyche. Indem er gleich zwei deformierte Seelen aufeinander prallen lässt, bleibt der Ausgang bis zum Ende ungewiss und spannend. Monroes illuster in Szene gesetzte Erotik und die prächtig präsentierten Niagarafälle sind Chiffren für die nicht seltene Symbiose aus Schönheit und Gefahr.
Hathaways Film ist darüber hinaus ein eindrucksvoller Beleg, dass der Film Noir auch in Technicolor zu Höhenflügen fähig ist. Die typische Bildsprache aus Schatten, schrägen Perspektiven und dunklen, meist nächtlichen Settings weicht hier einer strahlend hellen Visualisierung, die mit kräftigen Farben und panoramaartigen Einstellungen arbeitet. Der Kontrast zum Innenleben der Loomis und ihren fatalen Handlungen könnte nicht größer sein. Das zentrale Thema des Trügerischen von Äußerlichkeiten wird so besonders wirkungsvoll transportiert.
Nur einmal greift Hathaway auf die etablierten Instrumentarien der Noir-Ästhetik zurück und zwar im Moment der höchsten Eskalation. Gewissermaßen reiß er damit den Schleier von seiner optischen Scheinidylle und macht die Fratze des Bösen nun auch visuell greifbar. Ein bewusst und treffend gesetzter Nackenschlag, der nicht als Verneigung vor dem klassischen Noir-Kino zu sehen ist, sondern für die konzeptionelle Virtuosität steht, die „Niagara" von vielen ähnlich geplotteten Thrillern abhebt.
Für Marilyn Monroe war Hathaways Film der Durchbruch zum Superstar und fatalerweise auch der Beginn ihres tragischen Niedergangs, da sie sich nie mehr aus dem Rollenkorsett der blonden Sexbombe befreien konnte, woran sie letztlich zerbrach. Ihre schauspielerische Leistung und ihr Charisma harmonierten nie stärker wie in diesem Noir-Klassiker, der unter Henry Hathaways versierter Regie auch stilistisch, dramaturgisch und konzeptionell das Genre gekonnt variierte und interpretierte.