Review

Unsicherheit und verdrängte Schuld

Michael Haneke thematisiert seine berüchtigte "Vergletscherung der Gesellschaft" aus einer etwas anderen Sicht in einem vielschichtigen Psychodrama.

Humanismus und Kälte
Michael Hanekes neuer, in Cannes gefeierter Film "Caché" führt konsequent fort, womit sich der österreichische Autorenfilmer in seinem gesamten bisherigen Werk befasst hat, und ist dabei aktueller denn je. Haneke sieht seine künstlerische Verantwortung im Humanismus, und seine Filme sind immer brutale, präzise Analysen von Psyche, Moral und Interaktion des zivilisierten Menschen. Die Intensität seiner Filme verbirgt sich in einer kalten Nüchternheit sowie einer mitunter kargen Ästhetik. Zugeständnisse macht Haneke nicht, stattdessen fordert er vom Zuschauer vollste Aufmerksamkeit und ein ausgeprägtes Reflexionsvermögen.

Ein Erpressungsthriller?
Georges und seine Frau Anna stehen mit beiden Beinen im Leben. Sie haben eine solide Arbeit in durchwegs intellektuellem Umfeld, einen Sohn und ein sicheres, angenehmes Leben. Diese Welt bricht zusammen, als sie plötzlich Videokassetten geschickt bekommen, auf denen zu sehen ist, wie sie und ihr Umfeld beobachtet werden. Beigelegt sind zudem blutige Kinderzeichnungen. Der geheimnisvolle Beobachter scheint auf ein Ereignis in Georges Kindheit hindeuten zu wollen. Eine lange verdrängte Schuld kommt hoch, die Georges sich nicht eingestehen will und stattdessen Annas Vertrauen riskiert.

Unsicherheit der Menschen
Gleich in der ersten Einstellung des Films bricht Haneke mögliche Illusionen: Es geht ihm nicht darum, irgendwelche Genrekonventionen eines Erpressungsthrillers zu bedienen. Sein Motiv diesmal ist Verunsicherung, und er analysiert sie und ihre Wirkung auf den Menschen auf mehreren Ebenen zugleich. Zum einen wird die Veränderung der Protagonisten detailliert dargelegt. Angst, Anspannung und Misstrauen wachsen, die Kommunikationsfähigkeit leidet. Im Laufe des Filmes wird das Verhältnis der Ehepartner zunehmend kühler. Sie entfremden sich, ziehen sich zurück und bleiben letztlich mit der Unsicherheit alleine, die ihnen so viel Angst macht, weil sie sie nicht kennen. Bewundernswert hierbei ist das authentische, intensive Spiel der Hauptdarsteller. Wenn Juliette Binoche bei einem Streit mit zitternder Stimme gegen die Tränen kämpft, geht das unmittelbar an die Nieren. Daniel Auteuils Charakter sieht man an, wie sehr er dagegen kämpft, dass seine Leiche im Keller entdeckt wird. Je mehr die Tragödie ihren Lauf nimmt, desto stärker wünscht man sich, dass Georges und Anna sich Mut machen, zusammenhalten. Doch das gegenseitige Vertrauen bröckelt.

Mediale Verunsicherung
Auf anderer Ebene manifestiert sich die Unsicherheit in den Bildern: Als Zuschauer ist man sich nie sicher, ob das Gezeigte gerade nicht wieder eine der Kassetten ist. Die Ästhetik des Filmes spielt regelrecht mit der medialen Wahrnehmung der Charaktere und des Rezipienten. Hinzu kommt die Allgegenwärtigkeit der Medien im Film: Georges und Anna arbeiten beide in dem Fach, Georges ist sogar ein TV-Star, und der Fernseher ist der Angelpunkt der fortlaufenden Handlung. Die rätselhaften Hintergründe der Ereignisse, unvollständige Rückblenden in Georges Kindheitserinnerungen, tragen selbst eine mysteriöse Uneindeutigkeit. Sie belassen die Schuld des jungen Georges nur in Andeutungen und können letzendlich das Spannungsmoment des Filmes auch nicht auflösen. Das ist auch gut so, denn eine Erklärung, wer warum die seltsamen Videos gedreht hat, würde eine dramaturgische Legitimation der im Film thematisierten (indirekten) Gewalt bieten. Vielleicht sind die Videoaufzeichnungen einfach nur da, WEIL sie dem Betrachter etwas möglicherweise verborgenes zeigen.

Fazit
Das Philosophieren über die mediale Wahrnehmung ist nur einer von vielen kunstvoll verwobenen Aspekten, die Caché behandelt. Haneke unterspielt die Schwere seiner Aussagen nicht: Nahezu beiläufig werden Nachrichtenbilder vom Irak gezeigt, die Handlung nimmt konkreten Bezug auf ein von der französischen Polizei begangenes Massaker in den 60ern. Solche Andeutungen bleiben unkonkret, jedoch zwingt der Handlungsverlauf zur Analogie. Die verdrängte Schuld einer sich sicher fühlenden Gesellschaft kann sich auch in brennenden Autos manifestieren. Michael Haneke hinterfragt jene gern geglaubte Sicherheit und analysiert mit nüchterner Präzision den Umgang mit Schuld. Allerdings serviert er kein überschaubares Denkmodell, sondern verbirgt seine Inhalte in einem ruhigen Film, der vollste Konzentration erfordert. Die Belohnung ist ein tiefsinniges Kunstwerk, dessen akzentuiert in einigen Szenen eingesetzte Drastik und Eindringlichkeit noch lange nachhallt.

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