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In einem Land, kurz nach dem Ende einer Militärdiktatur, lebt Paulina (Sigourney Weaver) zusammen mit ihrem Lebensgefährten Gerardo Escobar (Stuart Wilson) irgendwo zurückgezogen in der Einsamkeit. Escobar wurde vom neuen Präsidenten des Landes die Aufgabe anvertraut die Grausamkeiten der Diktatur aufzuarbeiten. An diesem Abend hat Escobar eine Panne und wird von einem entfernt lebenden Nachbarn, Dr. Roberto Miranda (Ben Kingsley), nach Hause gefahren. Paulina meint in Miranda den Mann wiederzuerkennen der sie während der Diktatur gefoltert hat, und sorgt dafür, dass er das Haus nicht mehr verlassen kann. Was sie von Miranda will ist nichts anderes als ein detailliertes Schuldeingeständnis, dass und wie er sie während zweier Monate gefoltert und vergewaltigt hat. Aber Miranda behauptet dass er unschuldig sei.

Die Hölle, das sind die Anderen? Nicht hier, hier ist die Hölle in den Personen selber. Vor allem in Paulina, die grausam misshandelt wurde, und nun eine Möglichkeit sieht Rache zu nehmen. Sie will nicht den Tod des vermeintlichen Folterknechts, sondern sie will ihn demütigen, so wie er sie gedemütigt hat. Insofern erst mal eine nachvollziehbare Denkweise, aber was ist wenn Miranda doch unschuldig ist? Im Film wird knapp geantwortet „If he’s really innocent, then he’s fucked.“ Und eigentlich sollte man an der Stelle zurückzucken. Tut man aber nicht, weil gerade vorher Paulina erzählt wie sie gefoltert wurde. Und wie auch in SIEBEN ist der Kopf das ausschlaggebende Element. Empfindsamen Gemütern wird hier schlecht, und wegschauen geht nicht, weil das Grauen allein in der Vorstellung stattfindet und nicht auf der Leinwand. Somit gibt Polanski auch ein Statement über alle Arten der Gewalt und der Grausamkeit ab, ein Statement, hinter dem er, der so oft unter Gewalt gelitten hat, wohl hundertprozentig stehen dürfte. Nämlich die Aussage, dass Gewalt immer Scheiße ist.

Aber auch Gerardo Escobar, der beim flüchtigen Zusehen so blass wirkt neben den unbeschreiblich aufspielenden Weaver und Kingsley, auch Escobar hat so seine Probleme. Er hat zugesagt die Leitung eines Komitees zu übernehmen zur Aufarbeitung und Verfolgung der Gräueltaten. Man kann sich vorstellen, wie dieser gutmütige, bürokratisch wirkende Mann Aussagen aufnimmt, abnickt, und Statements vor der Presse abgibt. In dieser Nacht aber wird er konfrontiert mit bewussten oder unbewussten Lügen, mit bitteren Vorwürfen die in seine eigene Vergangenheit zurückgreifen, mit Hass, auch mit Liebe, und man merkt sehr deutlich warum der Präsident auf diesen Mann setzt: Weil er schwach ist und die Wahrheit niemals aufdecken würde. Zwar war er selber im Widerstand gegen die Diktatur zugange, sagt aber von sich selber, dass er den Folterungen keinen Tag widerstanden hätte. Er glaubt seiner Frau aufs Wort, und wenn diese 2 Minuten später das Gegenteil behauptet, und das gut verargumentiert, dann glaubt er ihr wieder. Ein böser Seitenhieb auf bürokratisch initiierten Humanismus: Wenn der Humanismus nicht aus den Menschen kommt, dann taugt er nichts! Und nur wenn der Humanismus auch mit dem aktiv gelebten Willen einhergeht diesen auch zu leben, nur dann kann er auch funktionieren, da ansonsten immer die Lügen und die Bosheiten die Überhand gewinnen.

Last but not least Dr. Miranda. Der Folterknecht, oder auch nicht. Ein Doktor, der geschworen hat Leben zu erhalten, und der mit seiner Familie in Ruhe leben möchte. Mal gesetzt den Fall er hätte tatsächlich gefoltert: Was treibt so einen Menschen an? Warum wird ein Arzt zum sadistischen Scheusal? Wieso wird ein verheirateter Mann zu einem berufsmäßigen Vergewaltiger?
Und gesetzt den Fall er hat nicht gefoltert und er wäre unschuldig: Mach das mal jemandem klar, der vor Dir steht, mit einer Pistole auf Dich zielt und ein Geständnis haben will, koste was es wolle. Und der die Grenze dessen was ihm angetan wurde, nur mit Mühe nicht selbst überschreitet. Ein berührendes und hochinteressantes Psychogramm eines Menschen in einer Extremsituation.

Und was bei einem durchschnittlichen Regisseur leicht zu einem zähen Kaugummi hätte werden können, das wird bei Polanski zu einem spannenden Thriller, der sowohl durch die fantastischen Schauspieler wie auch die hervorragenden Dialoge lebt. Allein Sigourney Weaver zuzuschauen ist umwerfend. Ich frage mich allen Ernstes, wie jemand, der sich so in einen geschundenen und gequälten Menschen hineinversetzen kann, wie der nach dem Ende der Dreharbeiten eigentlich wieder „normal“ werden kann. Eine psychische Hochleistung, vor der ich tiefsten Respekt habe. Als Gegenstück Ben Kingsley, der um sein Leben und seine Würde reden muss, überzeugen muss, und der doch immer ein klein wenig zwielichtig wirkt. Bei der Erstsichtung ist nie so ganz klar ob er oder ob er nicht. Eine Ambivalenz, die Kingsley perfekt ausdrückt, und den Zuschauer stetig zwischen Abscheu und Mitleid schwanken lässt.

DER TOD UND DAS MÄDCHEN zeigt, dass spannendes Thrillerkino auch ohne Explosionen und Schießereien funktionieren kann, und dass drei Personen und ein Haus vollkommen ausreichen, um die Weltsicht des Zuschauers zu erschüttern. Und dies ist das Wort, welches den Film in Summe auch gut beschreibt:  Er ist in all seiner Grausamkeit und Bitterkeit, aber auch in seiner Brillanz, erschütternd. Die Wahrheiten, die hier ausgesprochen werden, graben sich genauso in die Seele des Zuschauers, wie die Leistungen der Darsteller und das Können der Autoren. Was aber am meisten nachhängt und beschäftigt, das sind die Bilder, die Sigourney Weaver in ihren Monologen weckt. Die Bilder eines zerstörten Körpers und einer deformierten Seele. Bilder, von denen wir alle genau wissen, dass sie der Realität entsprechen. Nur dass sie im Film nicht ignoriert werden können.

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