Review
von Leimbacher-Mario
Kriechende Fäulnis
Mit "Blue Velvet" trifft sich David Lynch ziemlich genau in der Mitte seines eigenen, ganz speziellen Kosmos - zugänglich und doch absurd, surreal und doch greifbar, abstrakt und doch noch nachvollziehbar genug. Hinter der leuchtenden Fassade einer amerikanischen Kleinstadt kommt ein junger Mann durch ein von ihm gefundenes Menschenohr hinter die Fassade, in ein Mysterium voller Angst und Dunkelheit... Wie die Rossellini Blue Velvet singt ist ikonisch, wie sie nackt auf dem Rasen steht noch immer verstörend. Wie Dennis Hopper explodiert toppt das noch und Lynchs Bilder sind von hypnotischer Schönheit. All das macht diesen antiurbanen Alptraum zu einem Trip in die Nacht, bei dem man manchmal den Boden, sprich das Interesse, verliert, dessen Magie man sich aber dennoch nie ganz entziehen kann.
Erzählt wird zwar noch eine recht klare Geschichte, doch im Verlauf bilden sich immer mehr Risse, es bröckelt und rumort. Man blickt in den Abgrund und das Schwarz unserer Seelen. Warum muss es solch zerstörerisches Böses auf der Welt geben? Tja, das ist die Eine-Million-Euro-Frage. Viel wichtiger ist, sich gegen die Dunkelheit zu stellen und nicht an ihr zu zerbrechen. Genauso wie an diesem Film. Erotisch, gewalttätig, nachhaltig verstörend. Nicht immer einfach, aber was ist das schon im Leben. Hopper ist eine alles fickende Naturgewalt, der man nicht nur nachts nicht draußen begegnen will. Der Rossellini ebenso wenig. Egal wie sexy und verletztlich sie ist. Der Soundtrack wiegt und würgt einen zugleich, die Bilder haben eine ominöse Kraft und die komplette Komposition hat das Potenzial sich für lange Zeit im Kopf fest zu setzen. Ein paar Metaphern weniger und ein paar Aktionen mehr hätten vor allem im letzten Drittel meiner Meinung aber gut getan. Doch eine einfache Auflösung wäre nicht Lynch. Kino des Unterbewussten.
Fazit: eine trügerische Idylle, ein Meister bei der Arbeit, ein Rätsel mit Kante - der Abgrund ist manchmal nur einen Kleiderschrank entfernt... Ein echter amerikanischer Alptraum.