Review

Es sind diese kleinen, fast unmerklichen Gesten und Hinweise, die Hitchcocks Filme ausmachen und die das wiederholte Ansehen so vergnüglich machen, gerade wenn dem Betrachter die kommenden Ereignisse schon bekannt sind.

So auch in dem Moment, in dem wir das Paar Adamson (William Devane) und Fran (Karen Black) in ihrem Auto beobachten, nachdem sie gerade erfolgreich eine Entführung abgeschlossen haben. Triumpfierend hält Adamson den wertvollen Diamanten in die Höhe, noch ganz berauscht von seinem perfekt durchgeführten Plan, während bei ihr langsam die Anspannung nachlässt und sie sich die blonde Perücke vom Kopf nimmt, so dass ihr dunkelbraunes Haar wieder hervorkommt. Sie macht eine erleichterte Bemerkung über die verschwundene große, blonde Frau, die die Polizei jetzt suchen wird, aber für ihn ist diese Frau noch nicht erledigt. Obwohl gerade erst im Besitz eines wertvollen Schmuckstücks, denkt er schon an das nächste Objekt der Begierde, während sie ganz schwach das Gesicht verzieht.

Wir sind in den 70er Jahren angekommen und vielleicht liegt es an dieser Sonderstellung, dass Hitchcocks letzter Film zu unrecht schwächer eingeordnet wird. Doch es sind nicht die Farben und Ausstattungsdetails, die diesen Effekt erzielen, sondern die Art, wie er seine Geschichte erzählt. Im Mittelpunkt stehen zwei Paare, die ganz offensichtlich schon eine längere Beziehung führen, ohne das sie auf die Idee kämen, dieses Zusammenleben zu legitimieren. Aus der heutigen Sicht mag das kaum auffallen, aber Mitte der 70er Jahre war diese Konstellation noch äußerst modern und hatte gerade in den USA noch einen anrüchigen Anstrich. Erkennbar ist das auch daran, dass selbst Adamsons langjährige Mitarbeiterin in seinem Juwelierladen seine Freundin Fran nicht kennt.

Genau so deutlich wird auch, dass Hitchcock diese "moderne Lebensform" mit einem recht sarkastischen Blick betrachtete und sie keineswegs als bessere Alternative zur veralteten Lebensform der Ehe ansah, als welche sie damals gerne verkauft wurde. Genüsslich betont er die sexuellen Aktivitäten der Paare, die zwar immer freizügig eingefordert und benannt werden, aber genauso dem Verschleiss des Alltags zum Opfer fallen ,wie man das üblicherweise dem Eheleben nachsagt. "Das Familiengrab" nimmt in dieser Hinsicht eine Ausnahmestellung in Hitchcocks Werk ein, denn es verzichtet vollkommen auf amouröse Verstrickungen. Obwohl in keinem seiner Filme so freizügig über Sex gesprochen wurde ( außer vielleicht noch in "Frenzy" , aber da eher in seiner krankhaften Form), ist "Das Familiengrab" sein am wenigsten erotischer Film geworden. Und das, obwohl beide Hauptdarstellerinnen (insbesondere Karen Black) sehr sexy sind.

Doch hier sind beide Paare hauptsächlich mit ihrem Berufsleben beschäftigt - besser gesagt mit Betrug. Während Adamson und Fran im großen Stil arbeiten, sind Blanche (Barbara Harris) und George (Bruce Dern) kleine Betrüger. Blanche arbeitet als Spiritistin und gaukelt älteren Frauen vor, dass sie mit ihren schon verstorbenen Verwandten Kontakt im Jenseits aufnimmt. Da frei nach Hitchcock so ziemlich Jeder irgendwelche "Leichen" im Keller hat, ergeben sich dort natürlich immer mal wieder Anlässe, das vorhandene schlechte Gewissen auszunutzen. Als Blanche der schwerreichen Mrs.Clay (Edith Atwater) begegnet, scheint sich ein goßes Ding zu ergeben. Diese hatte den unehelichen Sohn ihrer Schwester verstossen und sehnt sich jetzt nach einem legitimen Erben.

Blanche schickt ihren Freund George, einen verhinderten Schauspieler und aktiven Taxifahrer in die Spur, der den vermissten inzwischen etwa 40-jährigen Mann suchen soll. Doch dabei stösst er auf unerwartete Schwierigkeiten und ahnt noch nicht, dass er sich und seine Freundin mit dieser Suche in Lebensgefahr bringt...

Natürlich trifft es der Originaltitel "Familiy Plot" (Familienverschwörung) viel besser als das profane "Familiengrab", denn Hitchcock zieht hier eine wunderbar verzahnte, aber immer nachvollziehbare Story auf, die ein herrlich genau beobachtetes Panoptikum des damaligen Wandels in der Gesellschaft ergibt, ohne das er jemals seinen ironischen Blick verliert. Alleine das er den Bogen des Plots von einer Zeit spannt, in der ein Baby noch aus gesellschaftlichen Gründen verstossen wurde, bis hin zu der genauen Beobachtung des Zusammenlebens "moderner Paare", denen Gesetze nur noch wenig bedeuten, ist einfach köstlich und das ausgerechnet eine "gute Tat" dieses Konstrukt auseinanderbrechen lässt, verdeutlicht, wie komplex Hitchcock diese Konstellation erfasst hat.

Leider ist es gerade diese Stärke ,die zur Unterschätzung seines letzten Films beigetragen hat. Fälschlicherweise wird auch "Das Familiengrab" als Komödie eingeordnet, weil der Meister sein seziererisches Tuen von leichter Hand gestaltet hat. Selbst in den wenigen Suspense-Momenten leistet er sich noch ironische Seitenhiebe, so als Blanche ständig vor George herumturnt, als dieser versucht den manipulierten Wagen auf der Strasse zu halten.

Vielleicht ist es eine gewisse Altersweisheit, denn Hitchcock verliert hier seinen finsteren Blick, den er noch in "Frenzy" hatte, aber deshalb ist "Das Familiengrab" nicht weniger genau in seiner Beschreibung der menschlichen Abgründe - nur einfach lässiger und vergnüglicher (9/10).

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