Der Mensch ist ein soziales Wesen. Er besitzt nicht nur die Fähigkeit zum sozialen Handeln, sondern auch die Notwendigkeit dazu - das A und O der soziologischen Lehre.
Ein anderes wichtiges Charaktermerkmal des Menschen ist weniger wissenschaftlich als vielmehr eine Auffassung von seinem Grundwesen: In jedem Menschen mag etwas Gutes stecken, aber auch etwas Böses. Nicht jeder mag diese Auffassung teilen, aber wohl doch die meisten, denn sich vor dem Fremden und Unbekannten zu schützen, das wird uns im Rahmen der Erziehung eingebläut. Und einer der berühmtesten Sätze diesbezüglich lautet: Steige niemals in das Auto eines Fremden.
Was das sogenannte “Hitchhiking”, also das Trampen betrifft, wurde dieser Grundsatz unserer Kindererziehung zugleich mit der umgekehrten Formel in eine Gleichung gesetzt: Lasse niemals einen Hitchhiker, einen Tramper, in dein Auto einsteigen. Aus soziologischer Sicht ist das ein interessanter Sachverhalt, denn wenngleich unser Wesen uns lehrt, das Leben in einer Gruppe von Menschen zu meistern anstatt alleine, so gibt es doch Vorbehalte gegenüber Fremden: Man weiß nicht, wer sie sind, kennt nicht ihre Vorgeschichte und kann ihr Verhalten dementsprechend nicht abschätzen. Der Urinstinkt in uns lässt unmittelbar die Alarmglocken läuten, denn jederzeit könnte das uns unbekannte Gegenüber irrationale Verhaltensweisen zeigen.
Dieses Dilemma zwischen dem menschlichen Angewiesensein auf andere und der Angst vor Unbekanntem macht sich “The Hitcher” zur Grundlage, um ein erschreckendes Wüstenhighwayszenario zu konstruieren, das sich der Angst vor dem Beobachtetwerden bedient. Im kompletten Gegenstück eines Settings für Klaustrophobie wird die ebene Fläche im Nirgendwo zu einer riesigen Präsentationsplattform, wo der Horizont Augen hat. Und dieses Gefühl, dass die Hauptfigur Jim Halsey (C. Thomas Howell) zu jeder Zeit dem mysteriösen John Ryder (Rutger Hauer) ausgeliefert ist, macht “Hitcher” bis heute zum intensivsten Erlebnis, das im entsprechenden Subgenre zu finden ist.
Denn trotz gelegentlicher dramaturgischer Zurechtbiegungen gelingt es Regisseur Robert Harmon, einer banalen Situation, nämlich der Kommunikation zwischen zwei Menschen, derart viel Grauen zu entlocken, dass die Story sich in nicht nachvollziehbarer Irrationalität weiterstrickt, so dass der irgendwann obligatorische Satz des Opfers “Wieso tun Sie mir das an?” dem Zuschauer selbst im Gedächtnis herumspukt. Vorausgesetzt, dies wäre eine wahre Geschichte, was wäre die Motivation des Täters? Wieso sollte man so etwas tun? Wieso?
Hier käme normalerweise bereits ein Täterprofil in Betracht und damit die schauspielerische Leistung Rutger Hauers, doch dafür ist es noch zu früh. Zunächst kündigt sich das Grauen, wie bereits angesprochen, auf leisen Sohlen an, nämlich im Rahmen “normaler” menschlicher Interaktionen. So ist es keine plötzliche Eingebung, die Jim dazu ermuntert anzuhalten und einen wildfremden Mann in sein Auto (und dabei ist es nicht mal sein eigenes) einsteigen zu lassen, bei Regenfall und Donner, also begleitet von allen bösen Zeichen und Warnhinweisen, die man sich nur vorstellen kann. Der erste an den Fremden gerichtete Satz lautet: “Meine Mutter hat mich immer gewarnt, das zu tun” - offenkundig ein Witz, ein Eisbrecher, der gleichzeitig versucht, etwas Menschliches (ein Lächeln?) in dieser Schattenfigur (Hauer in einem klatschnassen, langen Mantel) zu entdecken, und der schlussendlich über das innere Gefühlsleben Jims eine wichtige Information preisgibt: Er macht es nicht gerne, es macht ihm nicht Spaß, den Fremden mitzunehmen. Aber es ist für ihn eine Notwendigkeit, denn er weiß, dass die Kommunikation mit einem anderen Menschen ihn wachhalten wird.
Nun kann ich auf Rutger Hauer zu sprechen kommen, denn in den folgenden Momenten wird ihm schauspielerisches Talent abverlangt, das seine Darstellung des John Ryder für ihn persönlich zu einem Meilenstein seiner Karriere machte. Regisseur Harmon spielt mit dem Zuschauer, denn Ryder - so sein ganz offensichtlich nicht bürgerlicher Name - ist nicht offenkundig ein Monster, obwohl er im ersten Moment wie eines wirkt. Dann jedoch hellt sich sein Gesicht und schließlich auch sein Gemüt, er spricht wie ein Mann, der einfach nur eine Mitfahrgelegenheit sucht - doch immer wieder schleichen sich Momente der Unsicherheit ein, ob dieser Mann wirklich harmlos ist. Bis John Ryder seinem Opfer ausgerechnet auf dem Höhepunkt seiner Menschlichkeit - mitten in ein Gelächter von beiden hinein - seine wahre Natur offenbart.
Nicht nur in dieser Introduktion, aber speziell hier zeigt Hauer das duale Wesen seines Schauspiels, das ihn über weite Strecken immer wieder begleitet hat. Nicht einmal ansatzweise vermag es der Zuschauer, in die wirren, aber für sich betrachtet doch rationalen Gedankengänge seiner Figur hineinzusehen, und so ist es vor allem dem diabolisch aufspielenden Hauer zu verdanken, dass der Film so funktioniert, wie er funktioniert.
Der zweite Garant neben Hauer ist die Art und Weise, wie das Highway-Setting eingefangen wird, das sogleich zum eigenständigen Akteur aufsteigt. Nun ist es vor allem eine Frage dessen, wie sich die Handlung in diesem offenen Feld weiterentwickelt. Schließlich sollte man meinen, dass dadurch, dass der Hauptfigur alle Himmelsrichtungen freistehen, sich auch Handlungsoptionen offenbaren, die etwa ein Michael Myers-Opfer nicht hat. So hat C. Thomas Howells Charakter mehrfach die Möglichkeit zur Interaktion mit Dritten, kommt in Kontakt mit einer Restaurantangestellten (Jennifer Jason Leigh, die kurz darauf selbst zum Teil des Spiels wird), gar mit der Polizei. Einzig und allein in der Eröffnungsszene ist die Situation wirklich klaustrophobischer Art, nur hier gilt es, dem unmittelbaren Handlungsspielraum des Killers zu entkommen.
Ansonsten jedoch gleicht die Situation derjenigen einer Maus, die sich nicht etwa - wie im klassischen Slasherfilm - in einem Labyrinth befindet, sondern unter einer riesigen Käseglocke, wo sie sich zwar überall hin bewegen kann, dabei aber doch immer unter Beobachtung und vor allem Kontrolle der Experimentatoren bleibt. Und so gestaltet sich die Situation auch hier. Der Killer muss die Maus nicht auf Teufel komm raus einfangen. Er kann sie auch rennen lassen, denn er weiß ja, dass sie, wo immer sie hinläuft, stets unter der Kuppel bleibt.
Für das “Hitcher”-Szenario hat dies nun äußerst intensive Momente zur Folge, die sich der konventionelle Psychokiller-Film so wegen logischer Hürden nicht erlauben könnte. Nicht so hier: Gleich mehrfach treffen sich Jim Halsey und John Ryder in der Wüste und stehen sich Auge in Auge gegenüber, bevor der stets dominierende Ryder einfach wieder geht, ohne auch nur den Versuch zu unternehmen, sein Opfer zu töten. Statt dessen spielt er mit ihm. Die Motivation, und auch das hatten wir schon, bleibt stets im Nebel verborgen, und bis zum Ende erfahren wir nie den Grund für den Psychoterror, den Ryder veranstaltet, was das Ganze nur noch faszinierender und abstoßender zugleich macht.
Einschränkend ist zu erwähnen, dass solche (auch aus einer gewissen Unverbrauchtheit heraus) vor Spannung knisternden Momente für sich gesprochen durch diese einmalige Konstellation zwar plausibel sind, die Art und Weise, wie sie zustande kommen, jedoch hin und wieder zum Grübeln verleitet. Es erscheint jedenfalls manchmal etwas kurios, dass Ryder sein auserkorenes Opfer immer und immer wieder aufspürt und stets zu wissen scheint, was es treibt. Das Drehbuch stellt die Logik an diesen Stellen jedenfalls auf eine harte Probe; ein Umstand, der leider nicht zu leugnen ist. Aber zugleich ist dies natürlich auch förderlich für die Grundwirkung des Films, denn nur durch das plötzliche und meist unerwartete stetige Auftauchen des Hitchers kommt überhaupt das Gefühl seiner Allgegenwart zur Geltung.
Weiterhin gelingt es dem Regisseur, die Lage der Hauptfigur von Minute zu Minute aussichtsloser erscheinen zu lassen. Je mehr Jim Halsey unternimmt, desto weiter manövriert er sich in eine Schieflage. Auch dies geschieht wieder durch den Einbezug dritter Parteien, allen voran Jennifer Jason Leighs Restaurantangestellte Nash, die wiederum Jims Notwendigkeit zu sozialem Handeln personifiziert - Das Filmende zeigt dann auch wieder die Schizophrenie dieses menschlichen Bedürfnisses.
Auch das Pacing steigt mit zunehmender Laufzeit fast unmerklich an, um mittendrin gar in einem Actionfilm zu münden. Schießereien sind ebenso inbegriffen wie Autoverfolgungsjagden und Explosionen. Doch schadet diese Maßnahme nicht etwa, sondern sie fördert noch zusätzlich das Adrenalin, zumal sämtliche Actionszenen stets einem surrealen Touch unterliegen. Denn ob nun kurz nach der Schießerei in der Polizeistation plötzlich das Gefängnisgitter offen ist und ein deutscher Schäferhund in Zeitlupe durch die leeren Gänge läuft oder ob Jim am Ende selbst irrationale Handlungsmuster annimmt, um dem Grauen auf seine Art ein Ende zu setzen, Dynamik erreicht die Action hier nicht durch ein genreinternes Wettrüsten, sondern durch eine zweckhafte Anlehnung an die leicht surreale Bildsprache.
“The Hitcher” erschafft dank eines hervorragenden Rutger Hauer und seines Auftretens in der unangenehm weitflächig erscheinenden Wüstenlandschaft eine wahre Thrill-Atmosphäre, die davon lebt, dass man zusieht, wie Howells Jim Halsey ziellos durch die Landschaft rennt, ohne dabei auch nur einen Millimeter vorwärts zu kommen. In der Folge entsteht eine Art Spielcharakter, denn indem John Ryder sein Opfer gewähren lässt, gesteht er ihm Versuche zu, sich selbst aus der Situation zu befreien - wohlwissend, dass ihm dies nicht gelingen wird. Allerdings zeigt die letzte Viertelstunde bei Ryder Tendenzen einer Todessehnsucht, die jedoch so vage bleibt wie seine Motivation, zu töten, im Generellen. Durch all diese Aspekte erhält “Hitcher” automatisch einen surrealen Touch, denn Surrealismus tritt immer dort auf, wo irrationale Verhaltensweisen den Platz der rationalen einnehmen. Harmons Film ist sicherlich der König unter seinen Genre-Artgenossen, wenngleich das Drehbuch zeitweise mit logischen Zurechtbiegungen zu kämpfen hat und Thomas Howells Charakter zum Ende hin eine gewisse Affinität zum Einzelkämpferstatus preisgibt und dadurch sein Identifikationspotenzial ein Stück weit verliert.