Review

Als seinen „weißesten“ Film hat man Spike Lee’s „Summer of Sam“ bezeichnet, aber in diese Richtung muß man das Boot erst gar nicht steuern, wenn man dieser Nachzeichnung des langen, heißen Sommers von 1977 etwas abgewinnen will.

Es ist kein nostalgischer Rückblick in alte Zeiten, sondern eine Mischung aus ganz persönlicher Rückschau auf die Fakten und dem Drama, daß sich aus der Situation für die fiktiven Figuren ergibt. Lee mischt dabei alles gut durch. Zuvorderst steht natürlich die Angst vor dem „Son of Sam“, David Berkowitz, der sich als Killer mit der .44er einen Namen machte und vorzugsweise Pärchen oder brünette Frauen erschoß. Gleichzeitig spielen die Yankees in den World Series, ist es brütend heiß, gibt es den legendären Stromausfall und noch dazu einige Rassenunruhen in Harlem und anderen Stadtteilen. Punk dämmert am Horizont heran, die neue Welt ist mal wieder im Umbruch.
In dieser Atmosphäre dumpfen Brütens und erhitzter Gemüter ist Lees Geschichte angesiedelt, in der die bestehenden Figuren ihren Halt verlieren.
Da ist der zwar verheiratete, aber promiskuitiv lebende Frisör Vinny, dessen aufgesetzter Katholizismus seine Frau in eine Art Heilige verwandelt, während er selbst herumhurt. Als er um ein Haar Opfer des Killers wird, gerät seine Welt langsam aber sicher aus den Fugen, weil er sich ändern will, ohne seine Fehler sich selbst einzugestehen. Während dessen erwacht seine Frau Dionna langsam aber sicher zu eigenem Leben, als sie sich bemüht, ihre eigenen Wünsche von Liebe und Sexualität mit ihrem Mann umzusetzen.
Vinnies Kumpel Richie dagegen hat sich dem Punk verschrieben, der genauso aufgesetzt wirkt, wie Vinnies bemühtes Halten der Disco-Ära. Sich selbst eine neue Philosophie schnitzend, beginnt er ein Verhältnis ausgerechnet mit der als Schlampe verschrienen Ruby, während er den Zwiespalt zwischen Attitüde und wahrer Existenz durch Stripteasetänze oder auch mal eine homosexuelle Nummer ausgleicht. Dieser Realität verweigert er sich jedoch genauso.
Und mittendrin kochen die Emotionen, suchen Polizisten die Killer und bitten die lokale Mafia um Hilfe, deren geistig nicht sehr weit entwickelte Schergen natürlich ihre Agressionen auf „die Anderen“ fokussieren.

In „Summer of Sam“ passiert nicht wirklich viel, es ist eine Reihe von Szenen aus einem simplen, aber legendären Sommer, in dem sich die Figuren langsam, fast unmerklich verändern, Abgesang und Neubeginn zugleich.
Lee versagt sich der bequemen Lösung, irgendwelche Ziele für seine Figuren zu finden, die noch im Rahmen dieses Films erreichbar wären. Die Veränderung an sich scheint ihn zu interessieren, die Art, wie eine Reihe von äußerlichen Einflüssen mehrere Existenzen verändern kann.
Natürlich haben die Figuren ihr Schicksal selbst in der Hand, aber eigentlich sind sie schon viel zu eingefahren in alten Schemata, um nur von einer Titanenhand des Schicksals aufgerüttelt werden zu können.

Das Ergebnis ist außerordentlich bewegend und endet in einem Eklat, ohne daß die weiteren Lebenswege der Figuren über diesen Moment hinaus betrachtet würden. Die Geschichte ist wie eine Klammer: als Berkowitz verhaftet wird, die Yankees gewinnen und der Sommer endet, endet auch diese Geschichte. Ein Augenblick aus dem Gefüge der Zeit.
Gleichzeitig ist es natürlich auch wieder typisch Lee (der hier selbst in der Rolle eines tatsächlichen Journalisten agiert), wenn er die unterdrückten Frustrationen, Agressionen und rassistischen Resentiments als Antrieb allen Übels brandmarkt.

Der legendäre New Yorker Journalist Jimmy Breslin, an den der Killer damals seine Briefe richtete, ist sich dann nicht zu schade, selbst die Klammer zu setzen und beschließt den Film mit dem legendären Satz: „Es gibt 8 Millionen Geschichten in dieser Stadt, dies war eine davon.“, praktisch ein Zitat der nicht minder legendären Serie „Naked City“ aus der Nachkriegszeit.

„Summer of Sam“, der den vielmals zitierten Serienkillerplot eigentlich nur in kurzen Inserts zwischenschaltet, ist ein Charakterdrama reinsten Wassers, manchmal etwas überladen wirkend, wie ein guter Scorsese, aber dann immer genauso nah an seinen Figuren. Man muß ihn sich erarbeiten, denn die Frustrationen und verfehlte Kommunikation der Figuren machen es dem Publikum nicht gerade einfach. Aber man muß ja nicht immer den gängigen Schemata folgen. (8,5/10)

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