Für Yim Hos WEST LAKE MOMENT sind die Schatten chinesischer Vergangenheit völlig unerheblich. Mit den Stars Zhou Xun und Chen Kun inszenierte er ein leichtes Romantikdrama, das – so der etablierte Hongkong Regisseur ausdrücklich – den Nerv der jungen, urbanen Generation des Festlandes treffen sollte. Wahrscheinlich ist seine Dramaturgie genau deshalb so verwirrt wie diese Generation Konsument – eine sich zwischen unergründeten Gefühlen und deren glitzernden Abbildern oberflächlich durch eine lebenslange Einkaufstour strauchelnde Jugend, die nicht weiß, was sie will, außer vielleicht die schicke Fälschung eines Louis Vuitton Handtäschchens und Unbekannten über die Webcam zuwinken.
Natürlich lassen solche gehässigen Pauschalisierungen immer noch Raum für Charaktere wie Xiao Yu und Ah Qin, die am Ufer des West Sees in Hangzhou in mehr oder minder tiefsinnigen Gesprächen zwar nicht dem Sinn des Lebens auf den Grund gehen, aber – und das ist natürlich viel wichtiger – ihre Zuneigung füreinander erkennen. Ihre Zweifel prägen den Fortgang der Handlung. Beide sind liiert. Sie unterhält ein Cafe am West See – an diesem Mekka der chinesischen Liebenden, an diesem in sanften Wellen an die Ufer schlagenden Herz aller romantischen Inspirationen (was man mit dem Geruch dieser Kloake in der Nase heuer nur schwer nachvollziehen mag) – und sie hat einen amerikanischen Boyfriend.
Auch Ah Qin, ein Drehbuchautor aus Beijing, hat seine Dame und seine Karriere. Tausend Kilometer nördlich.
Yim Ho kam nun, sicher auch eine Reminiszenz an den märchenhaften Charakter des Erfolgsfilms „Baober in Love“, auf die hübsche Idee, die Konflikte in der Brust Xiao Yus in einer nervigen Feen-Göre zu manifestieren, die Xiao Yu mit ihrem naiven, betont emotionalen Geplapper auf jeder Denkreise begleitet. Mit ihr kann Xiao Yu ausdiskutieren, welcher Bube besser zu ihr passt. Und selbstredend mag das Mädchen in ihr den arroganten Amerikaner nicht, und schwärmt für den nett quasselnden Ah Qin.
Dieser bekommt in der fernen Hauptstadt solche Schützenhilfe nicht. Man muss seine Unentschlossenheit aus der zunehmenden Distanz zu seiner Verlobten, seinen verklärten, ständig abwesenden Blicken und – nach der Trennung – seiner Gleichgültigkeit gegenüber seiner offensichtlichen Verwahrlosung lesen. Diesen Entwicklungen seiner Protagonisten versagt Yim Ho in beiden Fällen jedoch die Klimax, was verwirrend und äußerst unbefriedigend für den Zuschauer ist. Vor allem den Bruch zwischen Xiao Yu und ihrem Freund hat er über dessen überzeichnet unsympathische Aura gar antizipieren lassen. Es kommt zu keiner kathartischen Offenbarung, die den Eifer nachvollziehbar macht, mit den sich beide Protagonisten in einen Chatroom stürzen, um ihr Liebesleid ins Netz hinaus zu jammern. Hier verneigt sich Yim Ho dann etwas zu tief vor auch im Mainland immens populärem Romantikstoff aus Korea und Japan – ergo „Love Letter“, „A Man who Went to Mars“, Who @re You?“ und „Asako in Ruby Shoes“ etc. pp. Ohne die wahre Identität der Chatroom-Avatare zunächst zu durchschauen, gestehen sich die heimlich und so unglücklich Verliebten gegenseitig ihre intensiven Gefühle. Ein Happy End mit einem deutlichen Hauch Magie und gleichsam der intendierte Appeal für Chinas Jugend, deren Verständnis von Kultur und Unterhaltung fast ausschließlich nur noch Online-Aktivitäten einschließt – und natürlich kann das erklären, warum die Pointe so unglaublich schlicht ausgefallen ist.
Yim Ho gilt seit seinem mehrfach preisgekrönten „Red Dust“ (und im Westen spätestens seit der Banana Yoshimoto-Verfilmung „Kitchen“) als einer der herausragendsten Hongkong-Regisseure. Indes verstärkt auch WEST LAKE MOMENT bei mir nur den Eindruck, dass es einmal mehr die bestechenden Bilder seines Stamm-Kinematografen Poon Hang Sang sind, die sich heilsam über die Inszenierung legen. Meister Poon lässt alles viel, viel schöner ausschauen, als es tatsächlich ist, die Szenerie des West Sees eingeschlossen.