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Wenn Tragödie und Komödie eins werden

Eigentlich wollte die verpeilte Hausfrau Rosalba Barletta (Licia Maglietta) nur mal schnell aufs Klo. Als sie aus der Autobahnraststätte tritt und zurück zu ihren Reisebus will, ist dieser verschwunden. Mitsamt ihrer Familie. Doch statt brav auf die Rückkehr des Busses zu warten, reist Rosalba per Autostopp nach Venedig. Dort beginnt sie in einer kleinen Gärtnerei zu arbeiten, befreundet sich mit der naiven Masseurin Grazia (Marina Massironi) und verliebt sich in den depressiven Kellner Fernando Girasole (Bruno Ganz). Doch die Idylle kann nicht ewig andauern. Denn ihr Mann hetzt einen Privatdetektiv (Giuseppe Battiston) auf sie; dieser nimmt bald schon die Spur auf.

Brot & Tulpen (2000, Originaltitel Pane e tulipani) von Silvio Soldini ist leichtfüssig und erfrischend wie ein Frühlingswind. Verschmitzt, charmant, sparsam ernst, durch und durch unterhaltsam. Der Film wird getragen von einer überragenden Performance: Licia Maglietta als Rosalba spielt sich in Windeseile in die Herzen des Publikums. Sie ist ein liebenswürdiger Tollpatsch, eine leise Karikatur auf die biedere Hausfrau und zugleich eine Seele auf der Suche nach sich selbst. Maglietta vereint das Tragische und Satirische spielerisch in sich. Eine Figur wahrlich zum Verlieben. Und wer verliebt sich in sie? Fernando, wunderbar naturalistisch gespielt von niemand Geringerem als Bruno Ganz (Der Untergang). Ganz ist der Anker zu Magliettas luftigem Wesen. Ehrenvoll dramatisch kommt er daher, als hätte er sich aus einem Ingmar-Bergman-Film in eine Romcom verirrt. Der Kontrast ist schlagend. Am liebsten würde man Fernando knuddeln und ihm sagen: »Alles wird gut.«

Denn bei einem Film wie diesem weiss man nie so recht, ob wirklich alles gut wird. Zwar bedient er sich den Tropen des Feelgood-Movies, schraubt sie aber auf subtile Weise ins Ironische. Der schwarze Humor wirkt deshalb nirgends als Fremdkörper, denn auch er wird von der allumfassenden, humanistischen Ironie umfangen. Dass Fernando mehrmals durch purer Zufall vom Selbstmord bewahrt wird, ist so lebensbejahend wie tragisch. An keiner Stelle spielt Soldini Tragik und Komödie gegeneinander aus. Es geht ihm um eine Synthese. Brot & Tulpen ist ein Meisterstück der Tragikomödie, das die Romantik gleichzeitig verklärt und verlacht. Ein Film auch, der sich selbst genug ist, eine innere Ruhe und ein Zentrum hat, das man nur selten auf der Leinwand findet.

Keine Stelle wirkt forciert, selbst die surrealen Traumszenen kommen entwaffnend selbstverständlich daher. Selten wühlt eine so positive Charakterentwicklung so tiefe Gefühle auf: Als Zuschauer dürfen wir beobachten, wie Rosalba zu sich selbst findet, zu einem zweiten Leben erblüht. Dieses Erwachen gipfelt in den wahrhaft magischen Moment, in der Rosalba vor ihrer Freundin Grazia Akkordeon spielt – langsam und schüchtern erst, dann immer schneller und bestimmter, als würde sie die tristen Jahre als Hausfrau von sich abspielen. Ja, in diesen Szenen merkt man, dass es sich bei Brot & Tulpen um ein ganz besonderes Stück Kino handelt; nämlich ein einzigartiges, das es in dieser Konstellation nie wieder geben wird. Die Magie liegt im Casting: Hier passt jede Rolle wie angegossen.

Mehr lässt sich zu diesem wundersamen Streifen nicht sagen. Ihn zu erklären würde ihm nicht gerecht; er ist filmische Poesie. Eine echte, einfache, ehrliche Freude.

10/10

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