Zusatzinfos

von Stefan M

Interview Hitchcock/Truffaut

Truffaut: Wir sind nun im Jahre 1953 angelangt und bei “Dial M for Murder”.

Hitchcock: ... den wir schnell hinter uns bringen können, dazu gibt es nicht viel zu sagen.

Truffaut: Entschuldigen Sie, daß ich da nicht Ihrer Meinung bin, auch wenn es sich um eine Gelegenheitsarbeit handelt.

Hitchcock: Das war wieder einmal “run for cover”. Ich hatte einen Vertrag mit den Warner Bros. und arbeitete an einem Drehbuch mit dem Titel “Bramble Bush”. Das war die Geschichte eines Mannes, der einem anderen seinen Paß gestohlen hat, ohne zu wissen, daß der Inhaber des Passes wegen Mord gesucht wird. Ich habe eine Weile daran gesessen, und es wollte überhaupt nicht klappen. Dann hörte ich, daß Warner Bros. die Rechte eines Stückes gekauft hatten, das am Broadway sehr erfolgreich gewesen war, “Dial M for Murder”. Da habe ich sofort gesagt: “Das nehme ich!” Damit war ich auf Nummer sicher.

Truffaut: Sie haben das sehr schnell gedreht?

Hitchcock: In sechsunddreißig Tagen.

Truffaut: Ein interessanter Aspekt des Films ist, daß er in 3-D gedreht wurde. Leider haben wir ihn in Frankreich nur zweidimensional gesehen, weil die Kinobesitzer aus purer Faulheit an der Kasse die Brillen nicht verkaufen wollten.

Hitchcock: Der plastische Effekt ergab sich hauptsächlich in den Aufnahmen aus Untersicht. Ich hatte einen Graben bauen lassen, damit die Kamera häufig auf der Höhe des Fußbodens war. Davon abgesehen gab es kaum plastische Effekte.

Truffaut: Einmal mit dem Leuchter, dann mit einer Blumenvase und vor allem mit der Schere.

Hitchcock: Ja, wenn Grace Kelly nach einer Waffe sucht, um sich zu verteidigen. Und dann noch in der Szene mit dem Schlüssel, aber das war schon alles.

Truffaut: Sonst hält sich der Film genau an das Stück?

Hitchcock: Ja. Zu Filmen, die auf Stücken basieren, habe ich nämlich eine Theorie, die ich schon zur Stummfilmzeit anwandte. Viele Filmregisseure nehmen ein Stück und sagen: “Daraus mache ich einen Film.” Und dann machen sie das, was sie “Auflockern” nennen, das heißt, sie zerstören die Einheit der Handlung und gehen aus dem Dekor hinaus.

Truffaut: Der französische Ausdruck ist: das Stück “lüften”.

Hitchcock: Das wird meistens so gemacht. Im Stück kommt jemand an; es heißt, er sei im Taxi gekommen. Da zeigen die erwähnten Regisseure dann, wie das Taxi vorfährt. Die Leute steigen aus, bezahlen den Fahrer, gehen die Treppe hinauf, klopfen an die Tür, treten ein. Dann kommt eine lange Szene, die es auch im Stück gibt, bis eine der Personen von einer Reise berichtet. Die Gelegenheit wird benutzt, um uns mit einer Rückblende davon zu erzählen. Diese Regisseure vergessen ganz, daß die grundlegende Qualität des Stückes in seiner Konzentration besteht.

Truffaut: Genau das ist so schwierig für einen Regisseur, die ganze Handlung auf einen einzigen Ort zu konzentrieren. Allzu oft werden die Stücke dadurch zerstört, daß man sie in den Film überträgt.

Hitchcock: Das ist ein häufiger Irrtum. Meistens fügen solche Filme zur Zeit des Stückes zusätzlich einige Rollen hinzu, die völlig uninteressant und angeklatscht sind. Als ich “Dial M for Murder” gedreht habe, bin ich nur ganz kurz, zwei- oder dreimal, aus dem Dekor hinausgegangen, zum Beispiel, wenn der Kriminalbeamte etwas verifizieren muß. Ich hatte einen richtigen Fußboden anbringen lassen, daß man auch wirklich das Geräusch der Schritte hören konnte, das heißt, ich habe das Theaterhafte noch unterstrichen.

Truffaut: Deshalb haben Sie auch beim Ton von “Juno and the Paycock” und “Rope” [“Cocktail für eine Leiche”] am meisten Wert auf Realismus gelegt.

Hitchcock: Genau.

Truffaut: Aus demselben Grund haben Sie auch den Prozeß nicht gezeigt, sondern Einstellungen von Grace Kelly vor einem neutralen Grund und farbigen Lichtern, die hinter ihr rotieren.

Hitchcock: Es war intimer so, und die Einheit der Emotion blieb erhalten. Hätte ich einen Gerichtssaal bauen lassen, so hätten die Zuschauer gemeint, jetzt beginnt ein neuer Film, und hätten angefangen zu husten.

Zu den Farben. Mit Grace Kellys Garderobe haben wir interessante Experimente gemacht. Zu Beginn des Films ist sie in lebhaften und lustigen Farben gekleidet, und je finsterer die Handlung wird, umso dunkler werden ihre Kleider.

Truffaut: Ehe wir “Dial M for Murder” verlassen, über den wir gesprochen haben, als sei es einer Ihrer kleineren Filme, möchte ich doch sagen, daß das einer von denen ist, die ich mir am häufigsten ansehe und immer von neuem mit großem Vergnügen. Es ist ganz offensichtlich ein Dialogfilm, dennoch sind der Aufbau, der Rhythmus, die Führung der fünf Schauspieler so perfekt, daß man jedem Satz andächtig lauscht. Ich glaube, es ist ungeheuer schwer zu erreichen, daß der Zuschauer einem ununterbrochenen Dialog zuhört. Sie haben auch da etwas geschafft, das einfach scheint, aber in Wahrheit äußerst schwierig ist.

Hitchcock: Ich habe eben meine Arbeit getan, so gut ich konnte. Ich habe mich filmischer Mittel bedient, um eine Geschichte zu erzählen, die auf einem Theaterstück basiert. Die ganze Handlung von “Dial M for Murder” spielt in einem Salon, aber das ist ohne jede Bedeutung. Ich würde auch gern einen ganzen Film in einer Telefonzelle drehen.

Stellen wir uns doch mal ein Liebespaar in einer Telefonzelle vor. Ihre Hände berühren sich, ihre Münder treffen aufeinander, und zufällig schieben ihre Körper den Hörer von der Gabel. Jetzt, ohne daß das Paar es ahnt, kann das Telefonfräulein ihre intime Unterhaltung verfolgen. Das Drama ist um einen Schritt weitergekommen. Für das Publikum, das diese Bilder sieht, ist es wie der erste Abschnitt eines Romans oder als ob es einer Exposition auf dem Theater lauschte. So läßt eine Szene in einer Telefonzelle dem Filmregisseur dieselbe Freiheit wie das weiße Blatt dem Romancier.

Quelle: “Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?” von Francois Truffaut

Details
Ähnliche Filme