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Luis Buñuel („Pesthauch des Dschungels“), spanischer, als Meister des surrealistischen Films geltender Autorenfilmer, lieferte mit der Satire „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“ im Jahre 1972 seinen drittletzten Spielfilm – einer seiner besten, sagen viele. Er wurde spanisch-französisch-italienisch koproduziert, von Jean-Claude Carrière mitgeschrieben und für diverse Auszeichnungen nominiert, von denen er u.a. den Oscar für den besten fremdsprachigen Film gewann.

Szenen aus der Bourgeoisie: Botschafter Don Rafael Acosta (Fernando Rey, „French Connection“), sein Freund Thévenot (Paul Frankeur, „Die Milchstraße“), Thévenots Frau Simone (Delphine Seyrig, „Blut an den Lippen“) und Simones Schwester Florence (Bulle Ogier, „Der Salamander“) besuchen die Sénéchals (Stéphane Audran, „Neun im Fadenkreuz“ und Jean-Pierre Cassel, „Der Riss“), die eine Einladung zum gemeinsamen Essen ausgesprochen hatten. Unangenehmerweise haben diese sich jedoch offenbar im Datum geirrt: Monsieur Senechal ist gar nicht da und seine Frau hat nichts vorbereitet. Kurzerhand sucht man ein Restaurant auf, bekommt jedoch auch dort nichts zu essen, denn der Besitzer ist gestorben, sein Leichnam befindet sich aufgebahrt in einem Nebenraum. Das Essen wird verschoben und ein neuer Termin vereinbart. Doch ein ums andere Mal entfällt aufgrund von skurrilen Zwischenfällen der Gaumenschmaus…

Dies ist einer der Running Gags des Films, ein anderer sind von Geräuschen überlagerte und damit unverständliche Begründungen. Der Filmaufbau ist episodisch, alle männlichen Hauptpersonen werden sequenziell abgehandelt. Alle drei haben Dreck am Stecken, den sie hinter ihrer bürgerlichen Fassade zu verbergen versuchen – was der Titel wohl mit „diskretem Charme“ meint. Alle drei sind in Rauschgiftschmuggel verwickelt und Acosta entpuppt sich nicht nur als Nebenbuhler Thévenots, der seinem Freund schließlich Hörner aufsetzt, sondern auch als korrupter Botschafter der Militärdiktatur des (fiktionalen) lateinamerikanischen Staats Miranda, deren Verbrechen er kleinredet oder verleugnet.

Die Buñuel-typisch surreale Note erhält „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“, indem sich jede Sequenz als entlarvender Alptraum je eines der Männer herausstellt bzw. die gesamte Handlung als ausgedehnter Traum Acostas, der die Träume der anderen sowie gar die visualisierten Rückblenden einer weiteren Figur enthält: die Spukgeschichten des Lieutenants. Verbunden werden die Episoden durch Szenen, in denen die Gruppe eine Straße entlanggeht – was auch immer Buñuel damit auszudrücken versucht.

Buñuels Abrechnung mit der Bourgeoisie, ihrer aufgesetzten, heuchlerischen Etikette und ihrer willigen Zusammenarbeit mit Faschisten verzichtet weitestgehend auf eine echte Dramaturgie, präsentiert seine Gags leider meist ohne wirkliche Pointe und innerhalb einer zwar präzisen und ökonomischen, jedoch arg nüchternen Mise en Scène. So ist man dann mehr bei Freuds Psychoanalyse – langatmig und irgendwie witzlos – denn bei einer garstigen Verächtlichmachung der Bourgeoisie, die auf zum Auslachen animierende Weise der Lächerlichkeit preisgegeben würde.

Mit seinem Hang zum Surrealismus bleibt Buñuel zudem übermäßig diffus, was mit dem Faschismus in seiner spanischen Heimat zu tun gehabt haben kann, dem Film aber gewissermaßen das angedeihen lässt, was er an seinen Figuren kritisiert: einen bürgerlichen „diskreten Charme“. Bedenkt man, dass Buñuel selbst dem Bürgertum entstammt (und erst später Kommunist wurde), schwingt bei der Rezeption des Films unterschwellig mit, er sei für ein ebensolches Publikum gedreht worden, für eines, das sich selbst in den Figuren wiedererkennt – und nicht für die breite Masse, die sich über diese lustig machen möchte.

Apropos diffus: Der Handlungsort wird nie genannt, angeblich soll es sich jedoch nicht um Frankreich handeln. Weshalb er dann mit französischen Schauspieler(inne)n besetzt wurde, die französische Rollen spielen, bleibt ein Mysterium…

So richtig gepackt hat mich „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“ seiner Thematik, mit der man bei mir offene Türen einrennt, zum Trotz leider nicht, weshalb ich mich mit einer diskreten Durchschnittsnote aus der Affäre ziehe.

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