"Der diskrete Charme der Bourgeoisie" ist Bunuels schönster Film aus den 70er Jahren - vielleicht sein schönster Film überhaupt. Das Star-gespickte (Michel Piccoli, Fernando Rey, Delphine Seyrig, Bulle Ogier, Milena Vukotic) Werk variiert das Thema von Bunuels zehn Jahre zuvor entstandenem "El angel exterminador" - kam dort eine gehobene Gesellschaft nach dem Essen nicht mehr aus dem Anwesen heraus, so geht es hier um den immer wieder scheiternden Versuch einiger Vertreter der Bourgeoisie überhaupt zum Essen zu kommen.
Äußerst geschickt baut Bunuel dabei seine satirische, stellenweise bitterböse Komödie auf: Zuerst verdirbt eine im Restaurant aufgebahrte Leiche des Besitzers den Appetit der Gäste, ein erneutes Treffen kommt ersteinmal nicht zustande als der geplante Zeitpunkt für die meisten nicht einzuhalten ist. Das nächste Treffen wird vereitelt als sich die Gastgeber für eine schnelle Nummer in den Garten zurückziehen und die (mit Drogen dealenden) Gäste eine Razzia als Grund für die "Flucht" vermuten und lieber auch das Weite suchen. Mehr und mehr werden die Gründe für die vereitelten Treffen - die Bunuel bloß inszeniert um das gehobene Bürgertum in seinen schlechten Eigenschaften zu entlarven - obskurer und bizarrer und immer wieder sieht man die Gesellschaft zwischendurch eine lange Landstraße entlangschreiten (ein seltsames, immer wieder auftauchendes Bild, das zwischen den einzelnen Episoden steht und der krampfhaften Suche nach dem ungestörten Dinner nochmals stärkeren Ausdruck verleiht): Ein Treffen wird von einer hereinbrechenden Kompanie Soldaten gestört, im Restaurant sind urplötzlich die Zutaten ausgegangen und schließlich entpuppen sich gebratene Hähnchen als Plastikhähnchen, der Essraum als Bühne eines Theaters und das gesamte Treffen als böser Albtraum. Zu guter letzt werden die - besonders von Fernando Rey - gefürchteten Teroristen aktiv und schießen die Gesellschaft gerade zu Beginn der Mahlzeit zusammen... Rey überlebt zwar, da er sich unter dem Tisch versteckt wird aber bei dem Versuch nach einer Keule zu greifen entdeckt und ebenfalls niedergestreckt - allerdings handelt es sich auch diesmal bloß um eine Traumsequenz.
Wie auch der kurz darauf entstandene "Fantome de la liberte" (1974) und Bunuels letzter Film "Cet obscur objet du desir" (1977) - in dem Fernando Rey den ganzen Film über versucht mit einer jungen Frau zu schlafen, aber ständig sein Bemühen behindert wird bis er schließlich mit ihr einem der durch den Film laufenden Terrorakte zum Opfer fällt - könnte auch dieses Werk bis in alle Ewigkeit fortlaufen. Bunuels bösartige Darstellung der dekadenten Gesellschaft die etwa die unzulänglichen Trinkgewohnheiten eines Bediensteten vorführt und sich dann verständnisvoll gibt ("Es gibt leider niemanden, der dem einfachen Mann aus dem Volk das gewisse Raffinement beibringt...") oder mit Kokain handelt und sich über "dreiste" Übergriffe auf mit Drogen handelnde Diplomaten empört und zugleich auf Partys voller Empörung den angebotenen Joint ablehnt liefert konstant eine bissige Pointe nach der nächsten. Zwischendurch gibt es auch ein paar seichtere Albernheiten (wie die Geschichte mit dem "Eumel") aber der Film unterhält ununterbrochen und die surrealistischen Elemente wie die spitzzüngigen Angriffe auf die von Bunuel verhassten bürgerlichen Ideale bieten noch zusätzlich positive Überraschungen.
10/10