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Dafür, dass wir in Deutschland den größten und finanziell bestausgestatteten Fernsehmarkt Europas haben, müssen wir ganz schön unter TV-Eigenproduktionen leiden, deren Großteil haarsträubend biederer Müll ist - einfallslos, langweilig, spießig und altherrenhumoristisch. Das Erschreckendste daran aber ist: Das deutsche TV-Publikum steht auch noch drauf! So sind keine eigenen Ideen notwendig, es kann ewig das Gleiche wiedergekäut werden. Innovative ausländische Produktionen haben es regelmäßig schwer hier, ein größeres Publikum zu finden. Also bringt man sie am besten erst gar nicht oder spielt sie einfach selber nach.

Die Palette reicht vom hochpeinlichen Möchtegern-„Lost“-Abklatsch namens „Verschollen“ bis zur überaus gelungenen Reinkarnation des hinterfotzigen Chefs aus dem britischen „Office“ als „Stromberg“. Und dann war „West Wing“ an der Reihe, die in den Staaten höchst erfolgreiche Politserie mit Martin Sheen als US-Präsident. Wir bekamen zwar lediglich die öffentlich-rechtlich gebremste Version „Kanzleramt“ auf den Schirm, sodass sie nicht gerade hochdramatisch und actionreich geraten ist. Auf der anderen Seite ist sie aber hervorragend recherchiert und intelligent umgesetzt. Damit ist die Serie ausreichend glaubwürdig geworden. Und humorvoll ist sie dazu.

Der Zuschauer gewinnt einen intimen Blick in das politische Alltagsgeschäft der fiktiven Bundesregierung unter Bundeskanzler Andreas Weyer. Im „Kanzleramt“ müssen typische unbequeme, aber notwendige pragmatische Entscheidungen getroffen werden, unangenehme Staatsbesuche und Regierungskrisen bewältigt, politische Händel abgeschlossen, die unvermeidlichen Parteiintrigen, Machtkämpfe und Ränkespiele durchgestanden werden. Unrealistisch schnell und leichthändig werden die Probleme zwar gelöst, dennoch wird trotz dieses Zugeständnisses an die Konsumfreudigkeit des Zuschauers genügend Realismus geschaffen, indem bei tatsächlich passierten Ereignissen Anleihen genommen wurden, die für die Serie geschickt abgewandelt und verdichtet wurden. Dafür waren Autor und Regisseur Hans-Christoph Blumenberg („Deutschlandspiel“) und der erfahrene Polit-Journalist Martin Süskind als Co-Autor genau die Richtigen.

Auch das Privatleben der Protagonisten ist ein Thema und wird vielleicht etwas zu stark betont, zumal oft kein Bezug zu der Persönlichkeit und den Beweggründen des jeweiligen Charakters hergestellt wird. Manche der Figuren schrammen nur knapp am Klischee vorbei und einige Dialoge wirken ziemlich gestelzt, aber das soll verziehen werden, da es nie billig abgenudelt wirkt. Übrigens wird bewusst offen gelassen, welche Farbe diese Regierung hat (der übliche Mut der Öffentlich-Rechtlichen) - aber dass der juvenile, gutmenschelnde Kanzler Weyer CDU-Mitglied sein soll, würde ihm wohl niemand abnehmen.

Dass die Figuren gut rüberkommen -wenn auch nicht allzu stark in die Tiefe der Charaktere eingedrungen wird-, liegt immerhin an etwas originär Deutschem: an der reichhaltigen Auswahl an guten Schauspielern, aus der man schöpfen kann. Im „Kanzleramt“ treffen sich so bekannte und gute Darsteller wie Robert Atzorn, Herbert Knaup und schließlich Klaus J. Behrendt als Bundeskanzler.

„Kanzleramt“ versucht außerdem in Teilen vorsichtig, amerikanische Serien-Spielereien wie Split Screen und Cliffhanger einzusetzen. Das wirkt natürlich auffallend bemüht modern und für den versierten Serienfan nicht gerade originell, bringt aber dennoch wohltuende Abwechslung ins deutsche Fernsehen, das dem amerikanischen Standard ansonsten um mindestens ein Jahrzehnt hinterherhinkt. Weiterer Pluspunkt ist die detailgetreue Nachstellung des architektonischen Innern des wahren Kanzlersamts.

Mit „Kanzleramt“ haben wir also keinen harten Politthrill wie etwa in „24“ (Wer hätte das auch erwartet?), jedoch eine leichte und trotzdem für deutsche Verhältnisse überdurchschnittlich anspruchsvolle und unterhaltsame Serie – warum nur gibt’s bloß nicht mehr davon?

6,5 von 10 Punkten.

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