Der Film Noir zeigt sich von seiner hässlichsten Seite
Basin City ist ein Sündenpfuhl, wo die Bösen regieren und die Lauteren leiden. So etwa der Polizist John Hartigan (Bruce Willis), der kurz vor seiner Pensionierung ein kleines Mädchen namens Nancy vor einem Vergewaltiger rettet und damit den Zorn eines mächtigen Politikers auf sich zieht. Oder der hässliche Schläger Marv (Mickey Rourke), der eine wilde Nacht mit einer Prostituierten verbringt, nur um sie am nächsten Morgen tot aufzufinden – und seither auf Rache brennt. Oder wie Dwight McCarthy (Clive Owen), der das Rotlichtmillieu Basin Citys aus den Fängen der korrupten Polizei retten muss.
Mit Sin City brachte Robert Rodriguez 2005 Frank Millers düsteres Comic-Universum auf die Leinwand. Dafür holte er den Zeichner höchstpersönlich als Co-Regisseur ins Boot. Das Resultat war ein visuell herausragendes Konglomerat einzelner Episoden des Comics: That Yellow Bastard, The Hard Goodbye und The Big Fat Kill. Optisch ist der Film über alle Zweifel erhaben. Rodriguez und Miller haben es geschafft, den Look des Originalcomics 1:1 auf die Leinwand zu übertragen: krasse Schwarzweiss-Kontraste, grelle Farbspritzer und extreme Perspektiven.
Hat man sich an diesen Schauwerten satt gesehen, muss man sich allerdings mit den drei Handlungssträngen des Filmes auseinandersetzen. Und diese sind unfassbar krude, folgen allesamt demselben Muster. Ein harter Mann wird zum Aussenseiter gestempelt und muss gegen die Mächtigen Basin Citys (Politik, Klerus, Polizei) antreten. In unzähligen Voice-Overs lassen die drei Hauptfiguren Weisheiten vom Stapel, die fernab von authentisch und tiefgründig sind. Eloquent sind die Worte zwar, aber sie zielen stets auf plumpe Effekte ab. Hinzu kommt, dass die drei Geschichten einer problematischen Weltsicht frönen. Sin City suhlt sich in machoiden Rachephantasien; die Frau ist stets die Person, die von harten Männern gerettet werden muss – es sei denn, sie ist eine schwertschwingende japanische Prostituierte.
Der unverhohlene Chauvinismus und die Brutalo-Ästhetik werden erträglicher, wenn man Sin City als Karikatur des Film Noirs liest. Aber auch aus dieser Perspektive ist der Film nicht sehr ergiebig. Rodriguez und Miller schrauben den Zynismus des Film Noirs so sehr nach oben, bis er in Nihilismus umschlägt. Der romantischen Heldenfigur bleiben sie dennoch verpflichtet, was ein Paradox ergibt. Auf der einen Seite eine durch und durch sündhafte Welt. Auf der anderen Seite der coole Anti-Held, der trotz allem das Richtige tut. Dieses »Richtige« geht jedoch nicht über das Motto »Auge um Auge, Zahn um Zahn« hinaus. Letztlich flüchten Rodriguez und Miller in kitschige Aufopferungs-Mythen (That Yellow Bastard) oder in Gewaltorgien (The Big Fat Kill), die Quentin Tarantino in seinen besten Momenten (Pulp Fiction, Kill Bill) noch ironisch zu brechen verstand.
An Ironie ist bei Sin City nicht zu denken: Zu tief stecken Rodriguez und Miller in ihrer kleinen Welt drin. Mit Haut und Haar unterwerfen sie sich der Logik dieser Welt. Das hat schon was. Der Film entwickelt einen Sog, der durchaus mitreisst. Besonders die Horror-Elemente funktionieren. Sie evozieren eine Hoffnungslosigkeit, die gut zur Grundstimmung der Geschichten passt. Leider sind die beiden Co-Regisseure zu erpicht darauf, die Kamera-Einstellungen möglichst brillant zu gestalten. Vom ersten Bild an ist klar, dass wir es hier mit einem detailliert durchkomponierten Stil zu tun haben – einem Stil, der gefallen will. Dieses Verkünstelte betrügt die Atmosphäre, die der Film eigentlich vermitteln will. Hochglanzbilder dienen letztlich der Unterhaltung, auch wenn das Gezeigte grässlich ist.
Trotz beachtlichem Star-Aufgebot und beeindruckender Technik bleibt Sin City ein Blendwerk, das allenfalls als hässlich überzeichnete Fratze des Film Noirs interessant ist. Dabei darf jedoch nicht vergessen gehen, dass der Film Noir der Vierziger auch progressive und komplexe Züge annehmen konnte; man denke an Howard Hawks’ The Big Sleep (1946). Demgegenüber ist Sin City unerträglich platt und öde.
3/10