Review

„Sin City“ ist ein verführerischer, weil angenehm simpler, angenehm brutaler Film. Er führt uns in die Tiefen einer moralisch verkommenen Stadt, in der man nur überlebt, in dem man selbst zum Monster unter Monstern wird. Frank Millers Welt, von Robert Rodriguez minutiös auf Film gebannt, ist die gnadenlose Übersteigerung männlicher Fantasie; Männer wollen stark sein, Männer wollen cool sein. Männer wollen pädophilen Vergewaltigern die Eier von den Schwänzen reissen.

Tatsächlich kann bereits dies als recht genaue Inhaltsangabe durchgehen, denn neben all den nicht unbekannten Schauspielern gibt es nur eine, alles überragende Hauptdarstellerin: die Gewalt. Sie ist in jeder Szene präsent, erstreckt sich über den ganzen Film hinweg und weicht für niemanden, niemals. Die drei Handlungsstränge, entlehnt aus Millers Vorlage und in „Pulp Fiction“-Manier lose verwebt sind nichts weiter als ein inhaltsleeres Konstrukt. Gezielt, schonungslos und deswegen äusserst effektiv wird die Wut des Zuschauers geweckt. Wie in einem gut geölten, doch seelenlosen Uhrwerk treffen schwache Frauenfiguren auf muskelbepackte Antihelden, die ihre Magnums — so scheint es — nur für diesen einen Moment, den Moment der Rache poliert haben. Zu jedem Paar nämlich gesellt sich ein kompromisslos böser Antagonist. Auch hier wird bewusst auf Figurentiefe gepfiffen: Hauptsache Drecksau.

Plump präsentiert uns Millers Drehbuch Arschlöcher, die zu hassen gut tut. Diese kranken Psychos schüren unseren Zorn sosehr, dass wir am liebsten selbst in den Film steigen würden, um sie zu Brei zu schlagen. Entsprechend gross ist dann natürlich die Befriedigung, sie auf der Leinwand tot zu sehen. So macht „Sin City“ den Zuschauer zum sadistischen Voyeur, der Selbstjustiz erschreckend schnell gut zu heissen bereit ist. „Sin City“, die Stadt der Sünde, ist erlösend, weil sie nicht die komplexe Wahrheit wiedergibt, sondern eine simplifizierte Fantasie, in der mann Probleme mit den blossen Fäusten lösen kann. Das ultimative Böse ist greif- und zerstörbar. Das lässt uns aufatmen und grinsen vor Erleichterung und Schadenfreude. Eine tiefgründige Auseinandersetzung mit Gewalt und Tod freilich ist dies nicht, es ist Unterhaltungskino in seiner reinsten und plattesten Form. Die drei Episoden, die Miller uns präsentiert, sind weder originell noch spannend, ganz im Gegenteil: sie sind vorhersehbar und ertrinken schier in pseudophilosophischem Geschwafel.

„Sin City“ steht und fällt mit der Optik. Würde der Film nicht so endgeil aussehen, wäre er schnell enttarnt als inhaltsleere Farce. So aber wird die oberflächliche Story durch ebenso oberflächlich schöne Bilder negiert. Mit seinen handwerklich aufwendigen Kunstgriffen lässt Rodriguez den Zuschauer glauben, er würde etwas Gehaltvolles konsumieren, in Wahrheit ist es nur artifiziell, nicht kunstvoll, sondern künstlich. Den Zuschauer aber interessiert das nicht. Er lässt sich beeindrucken von den wahrhaft berauschenden Bildern, die sich selbstgefällig als poetisch verstanden wissen wollen. „Sin City“ belügt sich selbst. Es ist verkommener, wertloser Abschaum unter dem Deckmantel des schönen Scheins und der handwerklich geschickten Präsentation. Und doch sind wir alle bereit dazu, diese Lüge anzunehmen, denn sie ist befreiend. Es ist Fiktion in ihrer letzter Konsequenz, Fiktion, die uns das gibt, was wir uns in der Realität nicht zu nehmen wagen: Perversion. Ein Fest für die Sinne, eine Trauerfreier für die Pazifisten.

Ein geiler Film, kein Meilenstein, inhaltlich wertlos, aber geil.
 
7/10

Details
Ähnliche Filme