Was 1999 den Wachowski-Wichten mit "The Matrix" gelungen war, hat nun auch Robert Rodriquez (From Dusk Till Dawn) hinbekommen. Denn mit "Sin City" läuft er George Lucas' Finale der "Star Wars"-Prequel-Trilogy den Rang des innovativsten Blockbusters von 2005 ab. Auch Spielbergs groß angekündigter Flop "Krieg der Welten" oder "Batman Returns" kommen gegen die comicgetreue Verfilmung von Frank Millers Kult-Comic nicht an. Ob es für "Sin City" irgendwelche Oscars regnen wird, kann man jetzt noch nicht sagen, und neu erfunden wurde das Kino mit dem Film auch nicht wirklich. Nur die Messlate für qualitativ hochwertiges Entertainment-Kino wurde höher gelegt. Und im Gegensatz zu den effekteüberladenen Fortsetzungen von dem 99er Erfolg "The Matrix" lebt "Sin City" von den Figuren und nicht von den Effekten.
Willkommen in Sin City, einem finsteren Sumpf aus Verbrechen, Vergeltung, Gewalt und gebrochenen Herzen. Hier sucht Marv (Mickey Rourke), ein einsamer Wolf mit Quadratschädel und Bärenkräften, den Mörder seiner Geliebten Goldie (Jaime King). Hier verbündet sich der ehemalige Fotograf Dwight (Clive Owen) mit den Huren der Stadt, um den korrupten Cop und Psychopathen Jackie Boy (Benicio Del Toro) auszuschalten. Und hier versucht der altersmüde Cop John Hartigan (Bruce Willis) seine große Liebe Nancy (Jessica Alba) aus den Klauen des perversen Junior Roark (Nick Stahl) zu befreien.
"Sin City" erzählt die Geschichte von drei Männern, die jeweils mit zahlreichen prominenten Gesichtern besetzt wurden. In der ersten Story "The Hard Goodbye" erlebt Mickey Rourke (Domino) mit Abstand eines der besten Comebacks des Jahres und ist als Muskelberg Marv kaum wiederzuerkennen. Hier kann vor allem auch Elijah Wood (Faculty) als eiskalter sowie nahezu emotionsloser Kannibale überraschen, was man so von dem sonst so freundlichen "Frodo"-Darsteller nicht erwartet hätte. Hinter ihm und dem von Altstar Rutger Hauer (Hitcher, der Highwaykiller) gespielten Kardinal Roark ist Marv her. Als Marvs Geliebte Goldie und deren Zwillingsschwester Wendy ist in dieser Story Jaime King (Bulletproof Monk) zu erleben sowie die "Spy Kids"-erprobte Carla Gugino (The One) als Bewährungshelferin. Story Nummer 2 ist "The Big Fat Kill" mit Clive Owen (King Arthur) in der lokalen Hauptrolle, die den von Rosario Dawson (Alexander) angeführten Prostituierten von Old Town beisteht. Zu den besagten Nutten gehört auch die lautlose Killerin Miho, welche von Devon Aoki (2 Fast 2 Furious) dargestellt wird. Als Owens Gegenpart entpuppt sich hier Benicio Del Toro (Way of the Gun), der einen prima Psycho-Cop abgibt. Hinzu kommt noch Brittany Murphy (Phoenix) als sexy Kellnerin, bei der sämtliche Storylines von "Sin City" einmal vorbeilaufen. Die letzte Episode heißt "The Yellow Bastard" in der Bruce Willis (Hostage) als müder Cop die knackige Jessica Alba (Honey) vor dem missgebildeten Senatoren-Sohn Rourke Jr. rettet, der von Nick Stahl (Terminator 3) gemimt wird. In einer Nebenrolle macht dann noch Michael Madsen (Bloodrayne) einen ordentlichen Job.
Glücklicherweise hat sich Robert Rodriquez für die drei Episoden nicht bei Spezi Quentin Tarantino (Kill Bill) orientiert und "Sin City" in einem fast unüberschauberem Storyline-Salat ausufern lassen. Stattdessen erzählt er alle drei Geschichten konsequent hintereinander, wobei lediglich der Beginn von "The Yellow Bastard" nach den Credits kommt und danach "The Hard Goodbye" beginnt, während der Rest der Episode um Bruce Willis und Jessica Alba nach dem Ende von "The Big Fat Kill" fortgesetzt wird. Dank modernster Computer-Technik gelingt es Rodriquez, Co-Regisseur und "Sin City"-Erfinder Frank Miller (Daredevil) sowie Gast-Regisseur Quentin Tarantino "Sin City" eine comicgerechte Atmosphäre zu verpassen und den Film in edelstem Schwarzweiß-Look abspulen zu lassen, wo nur ab und zu Farben zum Vorschein kommen. Und im Gegensatz zum CGI-Overkill "Hulk" überfrachten die digitalen Effekte die Handlungen nicht, sondern unterstützen sie lediglich, wodurch "Sin City" stark an die düstere Atmosphäre des Film noir erinnert. Zwar ist "Sin City" auch auf seine Schauwerte aus, legt aber gleichzeitig viel Wert auf die unterschiedlichen Charaktere. In "Sin City" gibt es für Frauen anscheinend nur die Berufe der Kellnerin, Stripperin oder Nutte. Also eigentlich nichts für Feministinnen, wären da nicht solche Powerfrauen wie Gail und Miho, die nicht unbedingt auf männliche Hilfe angewiesen sind. Männer sind hingegen oftmals übermenschlich starke Figuren, die nicht sofort beim ersten tödlichen Treffer den Löffel abgeben. Gut, die meisten Männer in "Sin City" sind perverse Vergewaltiger, Verbrecher oder korrupte Stadtgrößen. Doch es gibt halt auch Ausnahmen wie die drei Männer Marv, Dwight und Hartigan, deren Geschichten hier erzählt werden. Allesamt haben sie in ihrem Leben versagt und suchen eine neue Chance, die sie für die Frauen Goldie/Wendy, Gail, Nancy einsetzen und bereit sind, bis zum Äußersten zu gehen. Und dies ufert dann auch oftmals (vor allem bei Marv) in brutalsten Gewalttaten aus. Denn davon hat "Sin City" recht viele, die mal derbe (z.B. was Marv mit dem Kannibalen Kevin veranstaltet), mal schnell und effektiv (Miho ist hier eine Göttin im Umgang mit Wurfstern und Katana-Schwert) und ein anders mal auch mit schwarzem Humor (der Pistolenschlitten in Raffertys Kopf) über die Bühne gezogen werden. Nun hat wohl jeder seine Lieblingscharakter in "Sin City". Zwar muss ich zugeben, die Comics nicht konsumiert zu haben, doch im Film gehören Dwight, Miho, Hartigan und Nancy schon jetzt zu meinen Lieblingen. Ein weiterer Hauptdarsteller des Films ist wohl die Stadt Sin City selbst, die an sich ein wahres Sündenmoloch und ein Ort ist, an dem man Urlaub machen kann, aber nicht bleiben will. Somit hat wohl jede real existierende Metropole dieser Welt etwas von Sin City.
"Sin City" ist eine der gelungensten Comicverfilmungen und Hommagen des Film noir seit langem. Auch mal schön zu sehen, dass es auch Comicfiguren gibt, die keine Superhelden sind, sondern, trotz übermenschlicher Körperkräfte, reale Menschen sein könnten, die in irgendeiner Stadt der Welt leben. Ich mag jetzt auch nicht weiter großartig über "Sin City" zu philosophieren, denn man muss den Film selbst gesehen haben, um dessen Faszination zu begreifen. Und Respekt an Robert Rodriquez, da er zu den wenigen gehören mag, der noch die Eier hat einen solchen, sich der aktuellen Hollywood-Norm wiedersetzenden, Film aus dem Boden zu heben.