Tja, Sin City ist wohl einer der wenigen wirklich authentischen Comicverfilmungen der letzten Jahre. Es tut gut zu sehen, dass es doch noch Regisseure gibt, die auch versuchen, die Intentionen des Autors der Originalcomics zu transportieren.
Gehen wir zuerste einmal auf die Schauspieler ein: Erste Sahne! Jeder spielt seine Rolle glaubwürdig bis furchteinflössend. Obwohl aufgrund des episodenartigen Aufbaus des Films jeder nur eine relative kurze Spielzeit besitzt, fliessen hier neben expliziten Gewaltdarstellungen auch unter die Haut gehende Charakterschilderungen mit ein. Egal ob Rutger Hauer, Bruce Willis, mein Favour Mickey Rourke oder Elijah Woods – bei jeder noch so kleinen Nebenrolle wurde auf die Qualität geachtet, keiner spielt seine Rolle flach oder 08/15. Ich habe gehört, dass dies auch ohne die Zahlung von unvorstellbar hohen Gagen passiert ist – schön zu sehen, dass sich die Schauspielerelite noch ein wenig Idealismus bewahrt hat.
Auffallend ist dabei der Erzählerstil aus der Ich-Perspektive. Wäre dies ein Buch, dann wären die Unkenrufe wahrscheinlich zahlreich, weil diese Art des Erzählens bekanntermassen einen besonders authentischen Schreibstil erfordert, will man nicht schnell auf das Niveau von Groschenromanen sinken. Das klappt aber hier ausgezeichnet, man merkt, dass sich ein Großteil der Geschichte – auch in den Comics - in den Köpfen der Protagonisten abspielt. Hut ab vor den Schauspielern und dem Drehbuchautor, denn ohne die erstklassigen Dialoge der Darsteller wäre hier viel an Atmosphäre verloren gegangen!
Kommen wir nun zum Visuellen: Selten habe ich so eine stimmige Atmosphäre in einer Comicverfilmung gesehen. Es knistert förmlich vor Spannung. Vielleicht sollte einmal klargestellt werden, dass es sich hier NICHT um einen richtigen Actionstreifen handelt, sondern eher um einen skurrilen Genremix aus allen möglichen Genres, wie z. B. Psycho(thriller), Noir, eine Prise Horror, eine Spur Action, ein wenig Gore. Der Film ist grösstenteils in Schwarz-Weiss gehalten, was der düsteren Atmosphäre des Films (der übrigens nur nachts spielt) noch weiter zuträglich ist. Nur wenige Elemente wurden coloriert: In einigen Stellen wurde nur das Blut Geld eingefärbt, oder die Haut einer Person, manchmal auch nur kleine Details wie die Augen. Genial, denn auf diese Weise wirken selbst brutalste Szenen auf eine seltsame Weise distanziert oder entschärft – auf der anderen Seite wird aber auch erreicht, dass man seinen Fokus auf diese farblich „markierten“ Stellen konzentriert, was der Entschärferei widerspricht.
Der Soundtrack ist stimmig und groovt. Er erreicht nicht ganz die Qualität von Bild und Darstellern, ist aber trotzdem noch zu einen der besseren Soundtracks zu zählen. Er unterstreicht die Handlung in den wichtigen Szenen und vermittelt auf eine unterschwellige Weise die Härte und die Verzweiflung des Szenarios.
Die Geschichten sind düster und zeigen gnadenlos die Abgründe unserer heutigen Gesellschaft auf – man könnte sagen Noir trifft auf Cyberpunk im Anfangsstadium. Die Charaktere haben ihre Schwächen und ihre Stärken – keine grossartigen Beschönigungen, kein Verstecken hinter einer Pseudomoral wie Pazifismus oder Gerechtigkeit. Hier geht es um Rache, Wut, Verzweiflung und Mord – und nebenbei vielleicht noch um die mehr oder weniger kleinen Fünkchen Hoffnung der Charaktere. Trotz ihrer Kompromißlosigkeit und ihrer grausamen Härte sind einem die Charaktere trotzdem symphatisch, kann man ja nur zu gut verstehen, welcher Zwiespalt in ihnen vorherrscht.
Es mag vielleicht hart sein, diese Themen in geballter Aussagekraft vor den Latz geknallt zu bekommen, aber wenn man ehrlich ist, kennt man alle diese Themen nur zu gut. Es ist ein Summarium des menschlichen Wesens und vermittelt folgende Botschaft:
Jeder ist sich selbst der nächste, und niemand schenkt Dir etwas im Leben. Gerechtigkeit ist nur für diejenigen, die auch die Mittel haben um sie sich leisten zu können…
Es ist – glaube ich – der erste Film, der von mir die volle Punktzahl erhalten hat. Er ist rundum gelungen und ich lechze schon förmlich nach einer (hoffentlich adäquaten) Fortsetzung, was aufgrund des hohen Standards dieses ersten Teils aber nicht einfach sein wird. Hätte man Spiderman und Co. nicht zu verwaschenen Leinwandhelden umgeformt, und hätte man die Stories nicht auf Teufel komm raus zu 08/15-Hollywood-Schrott umgeschrieben, dann hätte dieses - an sich faszinierende - Film-Genre diesen Knaller gar nicht gebraucht.
Wärend die restlichen Verfilmungen zwanghaft versuchen, ihren ab-12-Jahren Status zu halten, und deswegen lieber Details entschärfen, herauskürzen oder umformulieren, haben sich Rodriguez, Miller und Terentino einen Dreck um kommerzielle Argumente gekümmert. Es war anscheinend ihr Ansatz, den Comic mit all seinen Ecken und Kanten so original wie möglich umzusetzen – und wer den Film gesehen hat, weiss, dass dies auch gelungen ist.
Punkte: 10 von 10. (Eigentlich 11, aber ich will mal auf dem Teppich bleiben…)