Dieses Review enthält wohl Spoiler, also Obacht!
Seit mehr als einem Jahrzehnt existiert Sin City als Meisterwerk des abwegigeren Comics und wird seitdem mehr oder weniger stetig erweitert und um neue Charaktere bereichert. Viele Jahre war eine Hollywoodverfilmung undenkbar, schließlich hegt Frank Miller einen Hass auf die Traumfabrik, wurden seine Drehbücher zu RoboCop 2 und 3 doch ziemlich missbraucht und verändert. Nie würde er seine Schöpfung in die Hände dieser Aasgeier fallen lassen. Doch dann traf er auf Robert Rodriguez, begeisterter Anhänger der Comics und ebenfalls nicht bereit sich irgendwelchen Hollywoodkonventionen zu unterwerfen. Rodriguez lud ihn in seine Troublemaker Studios ein, dreht eine Testsequenz mit Josh Hartnett (die nun auch im fertigen Film als Einleitungssequenz zu bestaunen ist), Miller war begeistert, das Projekt geboren. Miller durfte sogar auf dem Regiestuhl Platz nehmen, damit sicher gestellt war, dass er bis zum Schluss die Kontrolle über sein Werk behielt.
Entstanden ist aus dieser Zusammenarbeit die werkgetreueste Comicverfilmung aller Zeiten, denn Rodriguez hat sich nicht die „Mühe“ gemacht, das Comic zu adaptieren oder ein Storyboard zu entwerfen, der Comic selbst war die unfehlbare Heilige Schrift, nach der sich jeder Dialog, jede Einstellung zu richten hatte. Wer die Comics kennt, bekommt also nichts wirklich Neues geboten und kann prinzipiell beim Film mitsprechen, doch es ist faszinierend, diesen Sündenpfuhl und die in ihm hausenden Kreaturen in Bewegung zu sehen, gerade bei Rodriguez’ aufregendem Stil: Abgesehen von fulminanten Kamerafahrten gibt es fast nichts, was es nicht im Comic schon gibt; die Originalzeichnungen wurden am Computer nachgezeichnet und als Hintergrund in den Film eingefügt, was ihm eine ganz besondere Optik gibt. Sogar der Regen ist teilweise animiert, und in manchen Szene agieren selbst die Darsteller nur als Silhouetten. Eine weitere Besonderheit sind die gelegentlichen Farbtupfer wie die goldene Kleidung Nancys oder der gelbe Bastard, die das karge Schwarz-Weiß durchbrechen; nicht wirklich neu, aber sehr stilvoll eingesetzt.
Die Charaktere um die sich die Handlungen (genau genommen wurden drei Storylines – „Sin City“, „The Big, Fat Kill“ und „That Yellow Bastard“ - als Vorbild genommen) drehen, sind allesamt Menschen, die in einer Gesellschaft, in der es den Arschlöchern am besten geht, noch letzte Reste von Aufrichtigkeit und Menschlichkeit aufblitzen lassen. Da ist Marv (gespielt von Mickey Rourke, der seine abgewrackte Art perfekt verkörpert), ein Schläger und Säufer, dem nach nur einer gemeinsamen Nacht das einzige genommen wird, das in der Lage war, ihm Hoffnung zu geben und der bereit ist, für seine Rache zur Hölle zu fahren. Dwight (mit routinierter Coolness: Clive Owen), der wenn es hart auf hart kommt, für seine Freunde, die Huren aus dem alten Stadtteil (unter anderem Rosario Dawson), einsteht (auch wenn das im Klartext bedeutet, eine ganze Menge Menschen zu töten). Hartigan (Bruce Willis), einer der wenigen wirklich ehrlichen Cops, der in seinem hohen Alter noch mal ordentlich auf den Putz hauen muss um seine große Liebe (sehr sexy: Jessica Alba) vor dem Tod zu bewahren. Ihnen gegenüber stehen kranke Gestalten wie der Kannibale Kevin (niemand geringerer als der kleine Hobbit Elijah Wood), Kardinal Roark (Rutger Hauer in einer kleinen aber feinen Rolle) oder der pädophile gelbe Bastard (Nick Stahl). Wichtig ist, dass die „Helden“ alles, was sie tun, für sich selbst tun, die Welt wird hier sicherlich nicht gerettet, denn das ist inmitten dieser Korruption überhaupt nicht möglich. Besonders deutlich wird dies am Ende, wenn Hartigan klar wird, dass der einzige Weg, Nancys Sicherheit zu gewährleisten in seinem Selbstmord besteht. Es gibt in Sin City keine Gerechtigkeit.
Doch machen wir uns nichts vor: Bei aller Menschlichkeit und Ambivalenz, die Charaktere sind nicht wirklich tief, und das gleiche kann die Handlung auch nicht von sich behaupten. Sin City ist und bleibt Pulp, aber so was von verdammt guter und dreckiger Pulp, dass er einfach auf ganzer Linie funktioniert. Oneliner, wie sie wohl nur ein Frank Miller schreiben kann („She didn’t quite chop his head off – she turned him into a Pez dispenser.“), Gewaltexzesse, die meist comichaft überzeichnet sind, Männer, die einfach nicht sterben wollen, ganz gleich wie viel Kugeln man in sie pumpt. Dieser Film ist ein einziger Bilderrausch, den man mit eigenen Augen gesehen haben muss, extrem kurzweilig und unterhaltsam, ein gewalttätiger, überstilisierter und –ästhetisierter Hurrikan von einem Film, hypermodern und visuell bahnbrechend.