Sin City, ein Film wie ein Gedicht.
Ein düsteres, brutales und schonungsloses Gedicht.
Nichts bleibt dem Zuschauer erspart. Die Bildsprache ist so einzigartig wie die gesamte Machart. Die gesamte Cinematographie wird neu definiert. Hinzu kommt eine Schauspielerriege der absoluten Spitzenklasse.
Aus all dem komponiert Regessuer Robert Rodriguez eine einzige Orgie des Film Noir. Ja, genau das. Noir und zwar at its best! Jeder Chararkter, jeder Dialog, jeder Oneliner, die gesamte handlung, all das könnte geradezu aus einer lexikalischen Definition zum Thema Noir entspringen.
Die Comics von Frank Miller waren Noir, so wie viele Comics dieser Tage. Comics in denen es nicht um Superhelden geht, in denen es nicht kunterbunt zugeht, in denen keine sprechenden Tiere rumlaufen. Eben Comics für Erwachsene. Und genau das ist "Sin City".
Der Film Sin City ist genauso Noir, weil er seine gezeichnete Vorlage eins zu eins auf die Leinwand umsetzt. Nichts wird hinzugedichtet. jede Eintstellung entspricht auf das exakteste der gezeichneten Vorlage, ja selbst jedes Wort. Um solch ein Werk zu realisieren bedarf es allerdings modernster Technik: Der Film ist nahezu vollständig am Computer entstanden. Es ist ein Kunstwelt, genauso wie der Comic und folgt genauso wie dieser den Leitfäden einer düsteren Ästhetisierung von Gewalt.
Doch anders als George Lucas poppig-buntes Knallbonbon, genannt "Revenge of the Sith", zeigt Rodriguez mit "Sin City" das moderne Computereffekte auch etwas anderes sein können, als bloßes Muskelspiel der Filmemacher, nämlich Mittel zum Zweck. Denn ohne diese Form der Umsetzung, nämlich alles ganz genauso auf die Leinwand zu übertragen wie Miller es gezeichnet hat, hätte dieser niemals seine Zustimmung gegeben, aus Angst Hollywood würde sein Werk verschandeln.
So aber stehen die Effekte nicht im Vordergrund, sie treten zurück, der Betrachter gewöhnt sich an die düstere Optik, und es wird das wichtig was wichtig sein muss: Die Story.
Eigentlich sind es ja drei Storys oder Episoden aus denen dieses Filmgedicht besteht. Die Erste ist gleichzeitig auch die Letzte; ihre Handlung umrahmt die Handlungen der anderen beiden Episoden, ausserdem spielt sie zeitversetzt, die Story is also durchzogen von Tarantinesken Kniffen a la "Pulp Fiction". Tarantino hat bei einer kurzen Szene sogar Regie geführt, als "Special Guest Director". Kein Wunder, sind Tarantino und Rodriguez doch befreundet, und ich behaupte jetzt einfach mal das Tarantino für Rodriguuz neben einem Freund auch und vor allem einen Mentor dartstellt. Das merkt und fühlt man dem Film förmlich an bzw. ab. Und das fühlt sich gut an!
Und es ist darüberhinaus auch stimmig. Immerhin werden Comics von manchen Menschen als Schund, als "Pulp" bezeichnet, früher vielleicht mehr als heute, aber die Artverwandheit des Aufbaus der Storylines lässt sich nicht leugnen, auch wenn "Sin City" groteskere, surrealere Züge annimmt als "Pulp Fiction" dies jemals getan hätte, sowohl inhaltlich als auch inszenatorisch.
Die Wirkung der zum Leben erweckten Comicbilder auf den einfachen Betrachter ist fatal, schockierend. Derjenige aber, der die krasse Ästhetik des Noir-Comics zu schätzen weiß, wird seine helle Freude haben, ich selbst hatte ein Aha-Erlebnis, wenn es nach mir ginge könnten alle Filme in Schwarz-Weiss sein, solange sie der Stilistik von "Sin City" folgen.
Ich möchte jetzt nicht weiter auf die Details der einzelnen Episoden eingehen oder die lange Liste der mitwirkenden Stars niederschreiben, dass wurde in den anderen Reviews schon zur Genüge getan. Ich möchte lieber noch ein wenig auf die Motivik der Gewalt eingehen. Viele Leute empfinden diesen Film als sehr gewalttätig und er hat natürlich seine Schockmomente die über die normale Hollywood-Ballerei hinausgehen. ABER: Ich bestreite das der Film gewaltverherrlichend ist. Was von einem Menschen auf Papier gezeichnet werden kann wird bestimmt durch sein Können und seine Fantasie. Sein Können mag vielleicht begrenzt sein (was hier gewiss nicht der Fall ist), aber seine Fantasie ist grenzenlos. So auch hier. Jedes schockierende Bild wurde von Menschen erdacht und verwirklicht. Die Gewalt in "SIn City" ist ein Stilmittel, dass die gesamte Szenerie abgrenzen soll von der augenscheinlichen Realität. Die Charaktere profitieren nicht von ihren Gewalttaten, sie verbessern nichts, im Gegenteil. Marv wird im Film für seine Morde sogar hingerichtet. Zwar ist das System das ihn verurteilt hochgradig korrupt, die Strafe aber mehr als gerechtfertigt.
Wer meint diese Bilder seien nur entstanden, um gewaltgeiles Publikum anzulocken der irrt. Natürlich steckt zu einem gewissen Grad die Methodik der PR dahinter, aber nicht sie ist hier der erste Zweck. Sie sind eben ein Teil des Comics, jede Einstellung auf der Leinwand entspricht einem Comicframe. Das ist eher als Werktreue zu bezeichnen als als PR-Geilheit.
Was "Sin City" zeigt ist eine Vision. Eine Vision von einem urbanem Albtraum, der an vielen Orten der Welt bereits Wirklichkeit ist. Das Lebens selbst schreibt sehr viel grausamere Geschichten, als "Sin City" es tut. "Sin City" rüttelt auf, man reagiert mit Ablehnung, mit Negierung. Die kühl-brutale Comicwelt Frank Millers ist ein Zerrbild unserer Welt, aber in jedem Zerrbild steckt Wahrheit.
Über diese Fragen habe ich nachgedacht, nachdem ich "Sin City" gesehen hab und ich finde es sehr gut, wenn ein Film eine solche Reaktion bei mir auslöst, denn wenn er dies bei mir tut, tut er dies bestimmt auch bei anderen Menschen.
Zum Abschluss noch eines: Es wird oft gesagt, dass "Sin City" ein reiner Männerfilm ist. Dazu möchte ich anmerken das ich von einer Freundin auf den Film angeprochen wurde. Ich hab ihn mir mit ihr angeschaut und sie war begeistert. Das ist nun endlich einmal echte Emanzipation.
Ich werde ihn mir auf jeden Fall noch einige Male ansehen, ob im Kino oder DVD.
Kann es für einen solchen Film eine andere Wertung geben als eine 10? Hmm, ich würde sagen das geht schon noch.