Review

"Sin City" - ein Film von Robert Rodriguez, einem Regisseur mit vielen Gesichtern. Seine Filmografie ist kontrastreich, reicht vom splattrigen "From Dusk Till Dawn" über die actionbetonte "El Mariachi"-Reihe bis hin zur kinderfreundlichen "Spy Kids"-Trilogie. Und nun "Sin City", etwas ganz anderes, etwas Einmaliges; nicht nur in der Schaffenschronologie des Robert Rodriguez, nein, einmalig in der Filmgeschichte, das heißhungrig ersehnte Highlight fernab des Mainstreamkinos. "Sin City" - der lebendig gewordene Comic.

Nie war eine Comicadaption detailgetreuer. Jahrelang hütete sich Frank Miller, die Rechte an seinem Werk zu verkaufen. Es war die Angst, Hollywood würde alles ruinieren. Doch dann kam Rodriguez. Er soll seinen Laptop einfach aufgeklappt und Miller einige Probesequenzen gezeigt haben. Der Schöpfer des "Sin City"-Universums war sofort überzeugt. Das Ergebnis der Zusammenarbeit ist die zum Leben erweckte, verruchte Welt der gezeichneten Vorlagen. Die Comics dienten dabei als Storyboards. Reale Schauspieler in nachträglich digital eingefügten Kulissen. Und was für ein Ensemble sich da gefunden hat, in größeren wie in kleineren Rollen: Jessica Alba, Bruce Willis, Mickey Rourke, Brittany Murphy, Benicio Del Toro, Clive Owen, Michael Madsen, Nick Stahl, Elijah Wood, Josh Hartnett, Rutger Hauer, Powers Boothe - nur einige bloße Namen, aber du lässt sie dir auf der Zunge zergehen.

Die Anforderungen sind hoch. Bis auf eine Bar wird lediglich vor grüner Wand agiert. Doch es gelingt jedem Darsteller, und sei es in einem noch so kurzen Auftritt, die Überzeichnung seiner Figur zur Geltung zu bringen. Symbolträchtige Extreme soweit das Auge reicht: Leidenschaftliche Frauen und ausdruckslose Kampfamazonen, moralische Männer und emotionslose Killer. In Sin City wandeln nur noch wenige gute Seelen, dort regiert das Böse und das abgrundtief Böse. Verbrechen, Mord, Korruption und Prostitution stehen auf der Tagesordnung in der Stadt, die eigentlich den Namen Basin City trägt. Jedoch wird sie nur noch Sin City genannt, ist zum urbanen Albtraum herangereift. Ein Moloch der Gewalt, eine Stadt der Sünde, eine faszinierende Stadt der Sünde. Du kannst die Sünde förmlich riechen, willst dich ihren Fängen entziehen, aber du kannst es nicht.

Die Episoden ziehen in den Bann: Die erste Geschichte ummantelt zwei weitere und beginnt mit Hartigan (Bruce Willis), einem kurz vor der Rente stehenden Cop. Die Pumpe macht es nicht mehr lange, das spürt Hartigan. Er ist ein Idealist, ein scharfsinniger Mann, der gegen die Windmühlen des Verbrechens kämpft und weiß, dass es aussichtslos ist. Doch kein unschuldiges Leben verdient es, im Stich gelassen zu werden. Sein Partner Bob (Michael Madsen) würde es tun, Hartigan niemals. Ein alter Mann stirbt, ein junges Mädchen lebt - das wäre ein fairer Tausch. Hartigans Mission: Einen Kinderschänder zur Strecke zu bringen. Da gibt es keine Skrupel, keine gerechte Justiz, nur die Wut, die zum Richter wird. Zum Teufel, "Hassen kannst du dich später", sagt Hartigan. "Hassen kannst du dich später..."

Für den Kampf gegen den Abschaum werden die Gefühle ausgeblendet. - Gefühle? Etwas, das auf den ersten Blick niemand in dem grobschlächtigen Marv (Mickey Rourke) auch nur erahnen würde. Für seine Widersacher kennt der entstellte Kampfkoloss keine Gnade, kein Mitleid. Aber da ist die Rache, danach dürstet es ihn. Rache zu nehmen an dem Mörder von Goldie (Jaime King). Sein Weg führt ihn zum stets beängstigend erfreut blickenden Kevin (Elijah Wood), einer Ausgeburt der Hölle, einem Kannibalen, der nie eine Miene verzieht, mit seinen weiß reflektierenden Brillengläsern aussieht wie die Phantomkarikatur eines Computerfreaks von nebenan. Goldie war der einzige Mensch in Marvs Leben, der ihm Zuneigung entgegenbrachte. Marv liebte sie.

Die Liebe ist ein Gefühl, bei dem man am stärksten zweifeln würde, dass es in Sin City existiert. Aber Liebe ist das Element, das alle drei Episoden emotional zusammenführt. Hartigan liebt Nancy, das kleine Mädchen von damals, wenn auch nur wie eine Tochter. Marv liebte Goldie, seine Göttin. Erst unscheinbar, dann jedoch deutlich in Erscheinung tretend bestimmt die Liebe auch das Ende der dritten Episode. Dwight (Clive Owen), ein Mann mit Anstand und Ehre und Durchsetzungsvermögen, küsst Gail (Rosario Dawson), die schlagfertige Anführerin der Prostituierten im Rotlichtviertel der Stadt. Aber Liebe ist nicht gleich Liebe. Für Dwight ist es Leidenschaft und Temperament, für Marv Geborgenheit und menschliche Nähe, und für Hartigan, der selbst in der erwachsen gewordenen Nancy immer noch das kleine Mädchen von damals sieht, ist es das väterliche Gefühl der Besorgnis.

Ja, es existieren warme Emotionen in Sin City. Sie bilden den Kontrast zur allgegenwärtigen Härte, zur digitalen Kühle. Schwarzweiß, melancholisch sind die Bilder. Aber vereinzelt mischen sich wiederum kontrastreiche Komponenten dazu, kleine Farbtupfer: Tiefrotes Blut, goldblondes Haar oder blaue Augen - alle so intensiv und auffallend wie leuchtende Neonfarben im Schwarzlicht. Im Hintergrund lauern fortwährend abgeklärte Klänge, die außergewöhnliche Optik ist windschnittig und stilisiert. Und als Zugabe schließlich gibt es noch eine für einen symbolischen Dollar von Quentin Tarantino als Gastregisseur gedrehte Szene - die bizarre Autofahrt mit Clive Owen und Benicio Del Toro.

Wenn du "Sin City" siehst, fühlst du die Stadt der Sünde. Du siehst Abschaum und Helden, brutale Helden. Du siehst Männer ohne Gefühle und Männer, die sie nur selten offenbaren. Du siehst eine Vielfalt an skurrilen Figuren, die alle mehr Leben als Katzen haben. Du siehst sadistische und nihilistische Gewaltorgien, cool inszeniert, die sarkastisch und zynisch kommentiert werden. - Du findest Gefallen daran. Aber was soll's. Hassen kannst du dich später...

Details
Ähnliche Filme