Ein Film für hoffnungslose Romantiker. Hier gibt es noch Männer, die für die Liebe ihres Lebens ans Äußerste gehen, und wenn dem ein paar Gliedmaßen anderer Leute im Weg sind, dann ab dafür, im wahrsten Sinne...
Daß SIN CITY immer und immer wieder auf den Gewaltgehalt reduziert wird, ist jammerschade. Frank Millers Kultcomic, eine style-gewordene Hommage an die Noir-Krimis von Mickey Spillane, beeindruckte nämlich auch hauptsächlich durch die atmosphärische Geschlossenheit, in der sich das Drama entfaltete.
Sin City, das ist Gotham hoch 5, hier wird man nie das Licht der Sonne erblicken. Die Männer sind durch die Bank an Leber und Seele erkrankt, die Frauen abhängig von Drogen und Geld, das Gesetz hat schon vor langer Zeit den Blick abgewandt, und das Wetter ist eine Katastrophe. Natürlich bekommt unsere Gesellschaft hier den Spiegel vorgehalten, doch der Spiegel ist tiefschwarz. Er wird uns nie ein heiteres Bild präsentieren, sondern ausschließlich Abgründe. Überzeichnung. Immer noch eine Kunstwelt, nur eine höchst unangenehme. Selbst schuld, wer in dieser Stadt verloren geht. Und das tut jeder.
Und wenn es an einem solchen Ort brutal und dreckig zugeht, ist das wohl nur konsequent. Wer da noch überrascht ist, sollte sich fragen, was er von diesem Film erwartet hat. Blumen? Bienen? Nein, hier wird einfach nur der Vorlage treugeblieben, und wer dies als Schaulaufen der Grausamkeiten interpretiert, bitteschön, aber es gibt einiges zu entdecken unter dieser blutroten Oberfläche. Hier wird immer noch "nur" eine Geschichte erzählt, und die bietet einige denkwürdige Charaktere.
Zum Beispiel Marv, einen Schläger aus dem Bilderbuch, im Gesicht und im Inneren gezeichnet vom Krieg (diese Information entnehme ich dem Comic, im Film wird das meines Erachtens nie direkt angesprochen). Er fristet sein trostloses Leben in den Kneipen der Stadt und hält seinen Kumpels gelegentlich mit den Fäusten den Rücken frei. Er ist ein Aussätziger der Gesellschaft, nicht einmal die Nutten lassen ihn an sich ran. Bis auf Goldie. Die Wunderschöne. Goldie mit dem Engelsduft. Marv wähnt sich mit ihr im Himmel, wird aber jäh dort herausgerissen, als er seinen Engel nach der gemeinsamen Liebesnacht ermordet neben sich auffindet. Und ab diesem Moment rutscht er in Ereignisse, die kennzeichnend für den Comic und dessen kongeniale Filmumsetzung sind. Rausch, Verrat, Gewalt, Tod. Sehr viel Tod. Und immer wieder dazwischen die Liebe. In all ihren Formen. Und wir müssen erkennen, die Schönheit der Seele ist es, die zählt, bei aller Deformation der Hülle. Vor allem in so einem Fleischwolf von einer Stadt.
Dem Team hinter dieser filmischen Raserei kann man nur gratulieren: Frank Miller für das perfekte Hinüberretten seiner Schwarz/Weiß-Panels in bewegte Bilder, die bei allem Stilwillen nie zum Selbstzweck verkommen.
Und Robert Rodriguez für seine Entscheidung, diesen Film gemeinsam mit Miller und unabhängig mit seiner kleinen Firma zu produzieren, der Gefahr der Vorlagenverwässerung entgehend. Seiner digitalen Fingerübung IRGENDWANN IN MEXIKO sei hiermit verziehen. Auch Quentin Tarantinos Auto-Szene wird seinem Namen gerecht.
Doch an vorderster Front steht ein Ensemble, das wohl seinesgleichen sucht. Allesamt große Namen, und doch merkt man sofort, dass hier nicht nach selbigen gecastet wurde. Ob nun Mickey Rourke als Berufszyniker Marv, Bruce Willis als im Doppelsinne herzkranker Cop oder Clive Owen als rachsüchtiger Gauner, hier findet jeder Part der Vorlage seine Entsprechung in Fleisch und Blut. Das gilt ebenso für die Ladies (Rosario Dawson, Brittany Murphy, Jessica Alba, Devon Aoki, um Himmels Willen, zuviel der Sünde!) und auch für die Schurken. Benicio del Toro spielt sich hier als Jackie Boy förmlich in Rage (nicht einmal der Tod hält ihn ab!), Nick Stahl darf ein Dreckschwein par excellence verkörpern (immer ein dankbares Ding für Schauspieler; mal so richtig vom Publikum gehasst zu werden), und Elijah Wood lädt seine großen Frodo-Augen bis zum Platzen mit Wahnsinn auf. Grandios. Und dann erst die weiteren Nebenrollen... aber das führt zu weit.
Go see it!
Wir haben hier also eine Comic-Umsetzung, die der Vorlage nicht nur nahe kommt, sondern sie schon quasi überschneidet, eine episodische, nicht-chronologische Erzählstruktur, die einige nette Kniffe beinhaltet (Beispiel Strassenschild), trotz langer Laufzeit niemals dramaturgischen Leerlauf, ein Ensemble, das die Leinwand förmlich abfackelt, ein Regie-Duo-Trio, das mit seinem Stil unsere Ansprüche an modernes Filmemachen und Comic-Verfilmungen im Speziellen in die Höhe schraubt und im Kern die älteste Geschichte der Welt, auf aufregende Art neu präsentiert, unter Rückbesinnung auf die Wurzeln des Genres.
So etwas nennt man dann wohl Meilenstein.