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Seit etlichen Jahren nun schon stellen Comic-Adaptionen ein Standbein für Hollywoods renommierte Studios dar und weil der Gross des Publikums dem auch nicht überdrüssig wird, können wir uns auf eine Fortsetzung dieses Trends gefasst machen, bis er sich selbst begräbt. Regisseur Robert Rodriguez, der Anfang der Neunziger dank seines günstigen Debüts „El Mariachi“ der Einladung Hollywoods folgte und dort mit „Desperado“ den gleichen Film mit viel Geld nochmal drehen konnte, hatte seinen Ruf als Kultfilmemacher nicht zuletzt dank „From Dusk Till Dawn“, den er zusammen mit seinem Freund Quentin Tarantino („Pulp Fiction“, „Kill Bill“) arrangierte, weg. Seine Bekehrung zum Kommerz, die „Spy Kids“ – Trilogie und sein unsäglicher „Once Upon a Time in Mexico“, der schludrig misslungene Abschluss seiner „El Mariachi“ – Reihe, rief alsbald Stimmen auf den Plan, die behaupteten, dass Rodriguez sein Pulver verschossen habe. Mit „Sin City“ beweist er nun allen das Gegenteil, nämlich, dass er nach wie vor ein innovativer Regisseur ist.

Dass Rodriguez extrem gut mit seinen Budgets haushalten kann, ist bekannt. Schließlich übernimmt er den Posten des Kameramanns, Cutters und Komponisten meist selbst und kann so mehr als nur ein Auge auf eine möglichst kostenbewusste Post-Production seiner Filme werfen. So verwundert es auch kaum, dass er für „Sin City“ gerade mal 40 Millionen Dollar benötigte.

Die beeindruckende Starriege riss sich um die Rollen, um entweder dabei zu sein oder bedankte sich für das in sie gesetzte Vertrauen. Ein passendes Beispiels ist in dieser Hinsicht Mickey Rourke („Year of the Dragon“, „Nine 1/2 Weeks“), der bekanntlich längst auf einem absteigenden Ast, ja vor dem Aus der Karriere, stand und nun, wenn meist auch nur in Nebenrollen dank Leuten wie Tony Scott („Top Gun“, „Man on Fire“) oder eben auch Rodriguez seinen zweiten Frühling erlebt und zu alter Stärke aufläuft. Die Gagen dürften jedenfalls einen verschwindend geringen Teil des finanziellen Rahmens geschluckt haben und da tut es doch mal gut zu wissen, dass sich Darsteller auch noch für Projekte begeistern können, die nicht nur mit dicken Geldbündeln winken. Diese Tatsache spiegelt sich auch in deren Leistungen wieder. Neben Rourke fällt besonders Bruce Willis („Die Hard“, „The Last Boy Scout“) positiv auf. Der Rest stellt freilich ebenfalls eine Bank dar, jetzt aber jeden einzeln zu kritisieren, würde den Rahmen sprengen.

„Sin City“ ist nicht nur der ungewöhnlichste Film des Kinojahres 2005, sondern, zumindest in visueller Hinsicht, wohl auch des bisherigen, noch jungen Jahrtausends. Der Zugang gestaltet sich für den Mainstream schwierig, denn der Film ist gegen die Trends gebürstet und eigentlich immer noch ein Zelluloid gewordener Comic. Nur die Sprechblasen fehlen. Erst mit der unabdingbaren Aufgeschlossenheit und der Bereitschaft sich auf zwei völlig unkonventionelle Stunden einzulassen, wird der Zugang zu diesem Sündenpfuhl, genannt Basin City, gewährt. Denn sich dem Film anzunähern, ohne die bekannten Sehgewohnheiten abzulegen, würde sich als ungemein schwierig, wenn nicht unmöglich herausstellen. Der Film spielte beeindruckende 75 Millionen Dollar, also fast das doppelte seines Budgets, an den amerikanischen Kinokassen wieder ein und dürfte auch auf DVD ein Renner werden, aber trotzdem bleibt er schwierig goutierbar für Unaufgeschlossene.

Frank Miller hütete „seine“ Stadt seit etlichen Jahren. Dies ist nun die erste Verfilmung eines seiner Comics und die erlaubte er auch nur, weil mit Rodriguez ein ausgemachter Fan sich daran versuchen wollte, mit ihm gemeinsam eine würdige Umsetzung zu schaffen. Ein Drehbuch existierte hierfür nie, man nahm sich die Comics als Storyboard-Vorlage und drehte drauf los. Das Ergebnis ist der Trip in eine andere Welt, die wohl akkurateste Comic-Adaption der Filmgeschichte.

„Sin City“, komplett in einer düsteren Schwarz/Weiß-Optik gehalten, ist in eine immer währende Nacht getaucht und wird vom Regen durchnässt, nicht unähnlich des Film Noir, von dem man sich offensichtlich teilweise inspirieren ließ. Nur blutrot, goldgelb und zarte Blau- und Grüntöne bilden zeitweise ein Kontrastmittel zur düsteren Optik.
In dieser Welt, herrschen Amoral und Pragmatismus. Wer am schnellsten und skrupellosesten handelt, überlebt, wer nicht, der geht drauf. Die wenigen, die Philanthropen, die sich noch im Dienst von Gesetz & Ordnung stellen, sind desillusioniert, wissen, dass sie auf verlorenem Posten stehen und opfern sich für die Unschuldigen. Eine harte, kalte, bittere, aber ehrliche und praktische Welt, in der die Dinge ohne Umschweife von zumeist ihren niederen, zeitweise animalischen Instinkten folgenden Subjekten angepackt werden.

Drei Geschichten, die sich zwar an wenigen Schauplätzen überschneiden, aber ansonsten nichts weiter miteinander zu tun haben, servieren Miller und Rodriguez uns:
„The Hard Goodbye“ erzählt von Marv (Mickey Rourke), einem gewaltbereiten Hünen mit dem Herz am rechten Fleck, der sich nicht zuletzt dank seines abstoßendem Äußerem nach Liebe und Zuneigung sucht. Die findet er in Goldie (Jaime King), doch nur kurz, denn sie wird ermordet und nun läuft dieses Monster von einem Menschen durch die Gassen, um den Mörder zu finden und seiner gerechten Strafe zuzuführen.
„The Big Fat Kill“ handelt von Dwight (Clive Owen, „King Arthur“, „Closer“), der, als ein widerlicher jedoch angesehener Cop im Nuttenviertel abgeschlachtet wird, einen Krieg zwischen den angriffslustigen Freudenmädchen und der Polizei verhindern muss und deswegen irgendwie die Leichen verschwinden lassen will.
Die beide Geschichten einrahmende dritte Storyline „That Yellow Bastard“ gefiel mir persönlich am Besten und zeigt den herzkranken, resignierten und in seinem Innersten sehr melancholischen Cop Hartigan (Bruce Willis) bei seinen verzweifelten Versuchen die Stadt von Frauenschändern zu säubern. Seine Methoden die Jungs zu überzeugen sind... Nun ja... eigen *gg*. Wer den Film schon gesehen hat, weiß was ich meine.
Der vierte Schauplatz „Booze Broars & Bullets“ um den von Josh Hartnett („The Faculty“, „Pearl Harbor“) gespielten Killer spielt nur eine minimale Rolle, weil nur ein- und ausgangs erwähnt. Macht im Grunde Hunger auf „Sin City 2“. ;)

Aus den drei Plots kann sich freilich jeder seinen Favoriten auswählen, grundsätzlich haben sie aber, abseits dessen, dass sie aufgrund der warnenden Laufzeit stringent erzählt werden, alle etwas gemeinsam. Sie strotzen nur so vor radikalem Zynismus, Blut, und explizit dargestellten Gewaltorgien. Dialoge spielen hier nur eine sekundäre Rolle. Das Meiste spielt sich im Kopf der jeweiligen Hauptfigur als ein Mix aus spontanen Gedankengängen und erzählenden, inneren Monologen ab – ähnlich der „Max Payne“ – Spiele (Wer im übrigen deren Szenario mochte, dürfte es hier ebenfalls einfach haben). Eine große Portion pechschwarzer Humor geht im übrigen mit diesen einher. Besonders Hartigans Episode ist in dieser Hinsicht hervorzuheben, denn sie transportiert auf diese Weise viele Informationen über seinen Charakter.

Hin und wieder bewegt man sich am Rande der Geschmacklosigkeit, wenn sadistische Charakterzüge ungeahnte Ausmaße annehmen, aber es bleibt noch geradeso im Rahmen. Wie erwähnt, für den Zartbesaiteten ist „Sin City“ sowieso nichts, denn zimperlich agiert hier niemand. Blutige, Körper durchfetzende Shootouts, Priestermord und Folter gehen hier nämlich noch als harmlos durch. Zigaretten, Medikamente und Alkohol stellen das täglich Brot dar. Das weibliche Publikum dürfte den Film vermutlich lieben. Außer Huren, Nutten, Stripperinnen, Tänzerinnen und Bardamen scheint es keine Jobs für Frauen in „Sin City“ zu geben.

Stellt sich die Faszination nicht schnell ein, stumpft man ab. Man muss sich wirklich von Anfang an, ohne Vorbehalte, von „Sin City“ gefangen nehmen lassen, denn so schrecklich viel Spannung gibt der Stoff nicht mehr, Dramaturgie auch nur mit Abstrichen. Das liegt allerdings schon in der Natur des Comics. Der Film, im übrigen nicht chronologisch erzählt, wechselt zwischen seinen drei Geschichten und hat allein schon deswegen keinen klassischen Ablauf. Zu kompliziert wird es zwar nie, aber man wird hin und wieder aus der Handlung geworfen, woraus kurzfristige Atmosphärebrüche resultieren. Man findet sich aber schnell wieder zurecht. Die immer menschenfeindlichere Züge annehmenden Bestrafungen und Kämpfe sorgen derweil mit zunehmender Laufzeit für Abstumpfung, weil es nach Köpfungen, Kastrationen und Kannibalismus irgendwann keine Blood & Gore – Steigerung mehr geben kann. Auch die sexuelle Freizügigkeit vergibt irgendwann keine neuen Impulse mehr. Soll hier aber ein zu vernachlässigendes Manko sein. Schließlich fußen die Comics auch auf diesen Motiven.


Fazit:
Mit „Sin City“ stellen Robert Rodriguez und Frank Miller einen unkonventionellen und damit auch gleich politisch unkorrekten, provokativen Beitrag zur Comicwelle, der die Regeln durchbricht. Visuell extravagant und auf seine eigene Art ästhetisch, sind die gut zwei Stunden eine unglaublich, fesselnde Erfahrung und nebenbei auch das perfekte Beispiel, wie man Schauspieler vor Greenscreens spielen lässt (Wer erinnert sich nicht mit Grausen an „Sky Captain and the World of Tomorrow“?). Die extremen, drastischen Gewaltausbrüche sind ein Stilmittel und entsprechen den Comics. Schauspielerisch beeindruckt hier zudem der engagierte Großteil (u.a. auch altgediente Recken wie Rutger Hauer und Powers Boothe, neben den gegen sein Image besetzten Elijah Wood als Kannibalen) . Man kann, wenn man es drauf anlegt, inhaltlich viele Ansatzpunkte zur Kritik finden, doch dann hat man das Ligaziel verfehlt. Für sich stehend ganz große Klasse und das bisherige Highlight im Kinojahr 2005 – wenn höchstwahrscheinlich zum Großteil auch nur für uns Männer. Oder um es mit den Worten Mr. Spocks zu sagen: Fascinating!

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