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Der Mensch mag den Planeten vorerst erobert haben, träumt aber regelmäßig Alpträume, in denen er den unterschiedlichsten Tiergattungen unterliegt. In den Anfängen des Tierhorror-Genres stand vor allem die meist religiös motivierte Separation von Mensch und Tier auf dem Spiel. Werwölfe, Mutanten und andere Kreuzungen des Menschen mit tierischer DNA stellten die Einzigartigkeit des Homo Sapiens besonders in den 30er und 40er Jahren in Frage; „The Wolf Man“ weckte das Tier im Manne, „Dracula“ verschmolz den Ruf eines Mannes auf mythologische Weise mit den Eigenschaften einer Fledermaus, „King Kong“ sprach dem Monströsen im Monster-Kino Gefühle zu. Der nicht-anthropologische Tierhorror-Film dagegen, der echte Tiervorkommen zur Bedrohung erklärte anstatt humanoider Mischwesen, setzte vor allem auf die Gnadenlosigkeit der Natur und erhob das Rache-Motiv auf eine abstrakte, unpersönliche Ebene, die wenig mit Gefühl, allerdings um so mehr mit ökologischem Ausgleich zu tun hatte. In den 50er Jahren waren es die Ängste vor der Atombombe, die sich hauptsächlich in meterhoch aufgeblasenes Krabbelgemüse entluden („Tarantula“, „Formicula“), in den Öko-Thrillern der 70er hingegen stemmten sich auf Vermehrungsstrategien setzende Tierarten weniger mit Körpervolumen denn vielmehr durch ihre zahlenmäßige Überlegenheit gegen die selbsternannte Krone der Schöpfung („Kingdom Of Spiders“, „Phase IV“).

Blickt man zurück, scheinen vor allem Haie, Spinnen und Reptilien das Genre-Bild zu bestimmen. Ratten fristen eher ein Schattendasein, damals wie heute. Dabei unterstehen sie allgemein dem wenig schmeichelhaften Ruf, unhygienisch zu sein und Krankheiten zu verbreiten, was sie als Betrachtungsgegenstand eigentlich prädestiniert. Ray Kellogg („The Killer Shrews“) und Ishir? Honda („U-4000 – Panik unter dem Ozean“) experimentierten bereits in den 50er bzw. 60er Jahren ein wenig mit den Nagetieren. In ihren Fällen handelt es sich aber eher um Mutationen mit Verwandtschaft zur gemeinen Ratte; insofern darf der mit echten, dressierten Tieren realisierte „Willard“ aus dem Jahr 1971 tatsächlich als erster bekannter Horrorfilm über Ratten durch die Ziellinie gehen.

Das „Horror“ gehört allerdings in diesem Fall kleingeschrieben. Über weite Strecken inszeniert Daniel Mann ganz ohne den bedrohlichen Tonfall und die klassischen Situationen eines Horrorfilms und lässt dabei eher so etwas wie ein gesellschaftliches Außenseiter-Drama entstehen. Der Regisseur ist in erster Linie daran interessiert, ein betont obskures Umfeld für den introvertierten Einzelgänger zu schaffen. Die alte Villa, die Willard (Bruce Davison) mit seiner Mutter (Elsa Lanchester, die Braut aus „Frankensteins Braut“) bewohnt, ist alt und leicht marode, doch im Film erstrahlt sie in kräftigen Braun-, Grün- und Orangetönen, die aussehen wie frisch gedruckt. Davisons blonder Schopf sorgt für weitere Farbtupfer, ebenso wie die in Signalfarben getauchten Kleider der Mutter und ihrer gesammelten Verwandt- und Bekanntschaft – Minzgrün, Veilchenrosa, Azurblau, passend zur dekorativen Tapete. Komponist Alex North kredenzt dazu leichtfüßige Melodien wie aus einem Disneyfilm, bloß mit einem verzerrten Twist, der die ganze Fröhlichkeit wunderbar auf links dreht. Es ist eine fast schon krankhaft bunte Welt, in der sich Willard zurechtfinden muss, bedrängt von der falschen Fröhlichkeit der Menschen um ihn herum, die sich in Wahrheit viehisch benehmen und keinen Deut Empathie in sich tragen. Der Leichenschmaus bei einer Beerdigung wird ohne jedes Benehmen im Stehen mit der bloßen Hand verschlungen, die Sekretärin lässt sich vor den Angestellten vom Chef begrapschen und kichert wie ein Schulmädchen.

Und überhaupt, dieser Chef. Ernest Borgnine ist der Hauptgarant dafür, dass eine solch überzeichnete Welt wie aus einer amerikanischen Vorstadt der 50er Jahre (deren pastellfarbene Töne sich der Film leiht) erst so gut funktioniert. Mit jungenhafter Freude gibt er einen Drecksack zum Besten, der nicht einfach nur Böses tut, sondern auch noch sichtbaren Spaß dabei hat. Es ist die Art schelmischer Darbietung, die grundsätzlich auch bei einem Sympathieträger funktionieren würde, nur dass sie in diesem Fall so sehr überdehnt wird, dass man kaum anders kann als die Figur aus tiefster Seele zu hassen – und Borgnine dafür zu lieben. Entsprechend ist schnell klar, worauf das Ganze hinausläuft: Der Chef muss büßen für sein Verhalten.

An dieser Stelle kommen dann die Ratten ins Spiel. Dresseur Moe Di Sesso beginnt mit einem kleinen Satz Tiere und verhilft der Dramaturgie zu einer Steigerung, indem er mit immer mehr Tieren jongliert, je weiter die Geschichte voranschreitet. Ob auf Davisons Schulter, in seiner Arbeitstasche oder hockend auf Holzbalken und Regalen, die Nager verteilen sich in bunter Vielfalt am Set und erobern nach und nach den Bildschirm, bis er regelrecht überquillt. Einige von ihnen sind klein wie Feldmäuse, andere fett wie Kaninchen, einige gefleckt, andere einheitlich grau. Kurze Schnitte auf einen Wurf Neugeborener reichen aus, um zu verdeutlichen, dass die Situation zunehmend außer Kontrolle gerät. Dass man auf den Einsatz echter Tiere setzte, lässt das Szenenbild retrospektiv betrachtet unheimlich lebendig wirken und verschafft ihm einen ästhetischen Vorteil gegenüber künstlichen Spezialeffekten, mit denen man zwar die gewünschte Wirkung präziser hätte ansteuern können, die aber in der Umsetzung mit Sicherheit steifer gewirkt hätte.

Im letzten Akt bleibt eine Dämonisierung durch Vermenschlichung zwar nicht ganz aus; die behutsam über die Laufzeit mit einer Persönlichkeit ausgestattete Anführer-Ratte „Ben“ etwa wird in einer langen Einstellung wie ein Kriegerkönig gefilmt, der seine ausströmenden Soldaten dirigiert. Allzu ausgeprägte Anthropomorphismen werden jedoch vermieden. Das behindert zwar die Wirkung des Horrors, doch dieser verbreitet sich ohnehin eher über den Subtext und steht im Dienst weiterführender Ziele. Als die Gäste einer Gartenparty beispielsweise kreischend auf die Tische springen, um sich vor einer Schar anstürmender Ratten in Sicherheit zu bringen, wird ihr grotesker Lebensstil zielsicher vorgeführt. Ähnlich verhält es sich mit dem Vergeltungsakt am Antagonisten, auf dessen Vollzug man nur zu gespannt wartet, sobald Willard zum ersten Mal bloßgestellt wird. Menschliche Ordnungsstrukturen spiegeln sich in der Rattendressur wider, die zu einem Hierarchiemodell innerhalb des Kapitalismus wird. Nicht ohne Grund bietet die Eröffnungsszene einen Einblick in den Arbeitsalltag in einer Gießerei; Produktion, Besitztum und Schuldnerschaft sind wichtige Themen des Films, die als Katalysatoren zur Verzweiflung des Jungen beitragen.

Vielleicht ist „Willard“ im Ton ein wenig zu mild, um zu den ganz großen Klassikern des Tierhorrorfilms aufzuschließen. Dennoch überzeugt er mit starken Darstellerleistungen, einer kräftigen Farbcodierung und einem dementsprechend ausgerichteten Gesellschaftsbild, über dem die Missgunst wie eine dunkle Regenwolke hängt. Nicht zuletzt sind es aber die faustgroßen Nebendarsteller, die man nicht mehr vergessen wird.

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