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Regisseur Chris Nahon („Kiss of the Dragon”) gehört zu den talentierten Erben, die im Grunde nun die Früchte von Luc Besson („Léon“, „The Fifth Element“) ernten. Der stellte sich nämlich in den Neunzigern mit französischen Produktionen der internationalen Konkurrenz und bestand sogar vor Hollywood. Die französische Filmwirtschaft war wieder jemand und veröffentlichte Filme, zu denen der Rest Europas neidisch aufblickte. Blockbuster-Kino made in Europe war nirgends in so technischer Versiertheit möglich und talentierte Regisseure gab es dazu auch noch. Dies hat inzwischen auch Hollywood erkannt und wirbt nach Kräften fleißig ab, um sie in Amerika in den meisten Fällen leider schnell zu verheizen. Dafür wartet dort drüben aber Ruhm und mehr Geld, weswegen sich dort wohl auch bald talentierte Filmemacher wie Gérard Pirès („Riders“, „Sky Fighters“) oder eben Chris Nahon, die bisher noch zuhause ausharren, wiederfinden werden.

Der Name Jean-Christophe Grangé steht für spannende Bestseller, aber auch leider für überfrachtete, leicht konfuse Geschichten. Wer „Vidocq“ oder speziell „Die purpurnen Flüsse“ gelesen und dazu auch die Filme gesehen hat, weiß was ich meine. Dieser Umstand gereicht leider auch „Das Imperium der Wölfe“ zum Nachteil, wobei man schon bemerken muss, dass Grangé immerhin Mathieu Kassovitz die Tür nach Hollywood öffnete.
Dennoch wäre auch hier ein weniger komplizierter konstruierter Plot von Vorteil gewesen. Vielleicht verderben aber auch einfach zu viele Köche den Brei. Wenn man sich mal anschaut, wer alles am Drehbuch werkelte, lässt diese Vermutung den Schluss zumindest zu.

Wenigstens inszenatorisch macht Chris Nahon indes alles richtig. Denn er hat Talent und seine Vergangenheit sieht man dem Film an. Als ehemaliger Werbe- und Musikvideo-Regisseur setzt er auf eine ungeheuer stilvolle Inszenierung, die sich näher betrachtet natürlich erneut nur als geschickte Kopie der Phantasien eines David Fincher („Se7en“, „Fight Club“) entpuppt. Auch in „Das Imperium der Wölfe“ gibt es zufällig ein ermittelndes Cop-Duo unterschiedlicher Naturen.

Das Interessante daran ist eigentlich, dass Jean Renos Jean-Louis Schiffer dem Charakter ziemlich nahe kommt, den Grangé schon für „Die purpurnen Flüsse“ schrieb, der für die filmische Adaption aber stark abgeändert worden ist. Schiffer kann man als die verkommene Hardcore – Variante von Pierre Niemans, die aus dem aktiven Polizeidienst aussteigen musste, bezeichnen. Erneut ist Reno hier der unumstößliche Star, der mit seinem Charisma alle anderen an die Wand spielt.
Darunter hat vor allem der junge, blasse Jocelyn Quivrin zu leiden, weil sein Kommissar Paul Nerteaux nicht nur eine chronisch unterentwickelte Figur bleibt, der man einmal lediglich alibihaft Tiefe (der Mord an seiner Mutter in Kindheitstagen) andichten möchte, sondern seine darstellerischen Qualitäten sich auch in Grenzen halten.
So, wie Reno hier sichtlich hingebungsvoll als abgebrühter Ex-Cop mit ultraharten Methoden und der dafür nötigen Brechstange durch das Türkenviertel streunt und mit Methoden fernab jeder Gesetzgebung Informationen erzwingt, steht man als Zuschauer schon mal leicht ungläubig daneben, wenn er wie aus der Pistole geschossen Gewalt als zungenlösendes Argument verschlossene Mundwerke benutzt. Und auch Paul Nerteaux, der gegen alle Empfehlungen seiner Kollegen lieber mit dem schwarzen Schaf loszieht, anstatt eine Kommission zu gründen, muss zunächst angesichts dieser rüden Methoden überrascht schlucken.

Die von Nahon kreierte Atmosphäre trägt dazu überdies einiges zum gelungenen Szenario bei. Der düstere Schmuddellook mit ständigem Regen, grauem Himmel und nächtlichen Gewittern aber ohne Sonne lässt Paris als eine unwirtliche Stadt dastehen, die so dampfend und beizeiten unwirklich den Zuschauer gefangen nimmt und nicht wieder loslässt. Vornehmlich bewegt sich das Duo auf der Suche nach Antworten durch eisige Leichenhallen, spärlich beleuchtete, dreckige Gassen, Hinterhöfe, Läden, U-Bahn-Schächte, Kanäle und bizarre Clubs, so dass das türkische Viertel geradezu zu einem düsteren Gomorra transformiert wird. In dieser Hinsicht muss Nahon sich wirklich keine Vorwürfe gefallen lassen.

Hinter der gelungenen Umsetzung hinkt leider der am Ende einfach viel zu überladene und konstruierte Plot her. Denn der ambitionierte Kommissar Paul Nerteaux ermittelt in einer Mordserie, die junge Türkinnen mit entstellten Gesichtern, aufgeschlitzten Brüsten und zertrümmerten Füßen betrifft, glaubt an einen Serienmörder und beginnt sich bei seinen Ermittlungen gegen den Rat seiner Kollegen auf Schiffer einzulassen, der sich bestens in dem Milieu auskennt, weil er es Jahre fest in seiner Hand hielt. Deshalb lautet sein Spitzname auch der Eiserne.

Als wäre diese Geschichte, obwohl sie bei genauer Betrachtung tatsächlich lediglich „Se7en“ kopieren würde, nicht genug, läuft parallel dazu ein zweiter Plot ab, der Anna Heymes (sonst eine Frau mit Biss: Arly Jover, „Blade“, „Vampires: Los Muertos“) behandelt und sich später in den Fall mit einklinkt. Die verheiratete Frau leidet angeblich an Gedächtnisschwund und albtraumhaften Wahnvorstellungen, wird von ihrem lieben Ehemann umsorgt, entdeckt aber, dass sie nicht krank ist sondern eine Gesichtsoperation nebst Gehirnwäsche hinter sich hat. Ihr Leben war lediglich Fassade, denn sie ist nicht mehr als ein Versuchskaninchen. Dahinter steckt ein geheimes Regierungsexperiment. Panisch nach dieser schockierenden Erkenntnis flüchtend, versucht sie ihre ursprüngliche Identität wiederzufinden.
Zu allem Überfluss verfolgt sie auch noch ein eiskaltes Killerkommando aus Istanbul, das auch die Wege von Schiffer und Nerteaux kreuzt, weil die Anna wiederum als Zeugin in einem Mordfall suchen. Und das ist noch die simple Wiedergabe des Inhalts, der sich am Ende bis in die türkische Walachei erstreckt.

Mir persönlich gefällt „Das Imperium der Wölfe“ trotz des Wirrwarrs immer noch ziemlich gut, aber ein weniger verfahrener Plot ohne Verschwörungstheorien und geheime Experimente hätte dem Film sichtlich gut getan. Denn die Ermittlungen der beiden verlaufen ziemlich spannend und nur mühsam erfahren die beiden mehr darüber, was hinter der Sache steckt. Dass die beiden gegensätzlichen Charaktere dabei zusammenrasseln ist genauso garantiert, wie regelmäßige Actionszenen, die trotz eines hektischen Schnitts noch gut anzuschauen sind und ein paar wirklich herbe Momente bereithalten. Das Attentat eines Mordkommandos in der Sauna und der verlustreiche Shootout zum Schluss liefern genug Gunplay und ebenso knackige Explosionen, während Paul Nerteaux in einem kurzen Einzelkampf zwischendurch das gesamte Interieur zerlegen und seine Martial Arts – Kenntnisse an den Mann bringen kann – blutige Momente inklusive.

Über ein mangelndes Tempo braucht man sich während dessen nie zu beschweren, denn Chris Nahon bleibt in diesen knapp zwei Stunden hart am Gas, so dass zwar auch die Konfusität des Geschehens fröhlich mitsteigert wird, aber immerhin keine Verschnaufpause zugelassen wird, die mit der starken Atmosphäre brechen könnte. Diverse hilflose, im Kontext der Handlung auch zu kompliziert hineingeschriebene Figuren wie die Psychiaterin Mathilde Urano (Laura Morante, „Das Zimmer meines Sohnes“, „Der Obrist und die Tänzerin“) offenbaren leider immer wieder die Hilflosigkeit des Drehbuchs. Das doppelte Spiel des undurchschaubaren Schiffer, garantiert dafür aber Twists und Spannung bis zum Schluss. Nur verabschiedet sich die Logik leider schon früher.

Deshalb kann man mit „Das Imperium der Wölfe“ sicherlich hart ins Gericht gehen, wenn sich im letzten Drittel die Ereignisse überschlagen und Grangé clever sein will, indem er ohne Netz und doppelten Boden Haken schlägt, bis ein wüster Shootout dann doch schlicht aber blutig die Fronten klären muss, damit dem Zuschauer angesichts der vielen Handlungsfäden nachträglich nicht doch noch Sicherungen durchglühen.
Ich bleibe jedenfalls nach Sichtung von „Das Imperium der Wölfe“ dabei, dass auch angesichts dieses Films Frankreich zwar viele versierte Regisseure, aber dafür umso weniger talentierte Drehbuchautoren beheimatet. Sonst wäre deren Blockbuster-Kino schon viel weiter.


Fazit:
Beim Stemmen des einfach völlig überladenen Drehbuchs verhebt sich Chris Nahon leider ein wenig. Jean Renos bestechende Performance ist allerdings schon ein wichtiger Grund sich „Das Imperium der Wölfe“ anzuschauen, denn er spielt alle an die Wand. Nahons versierte Inszenierung garantiert darüber hinaus über eine packende Atmosphäre, während sich die harten Actioneinlagen ebenfalls sehen lassen können. Zum Schluss löst sich zwar alles in Wohlgefallen auf, aber trotzdem bleibt ein fahler Nachgeschmack angesichts so verzettelter Handlungsstränge. Weniger wäre hier mir gewesen und trotzdem gefiel mir der Film ziemlich gut.

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