Gerade habe ich erst die Besprechung über Jess Francos träumerisches Meisterwerk MANSION OF THE LIVING DEAD beendet, da kommt mir, fast aus der gleichen Zeit, wieder so ein entrückt-idyllischer Film unter, der fast genauso mit den Ebenen aus Traum und Realität spielt. SINFONÍA ERÓTICA scheint dabei ein wenig wie das Atemholen vor der Zeit der Golden Films-Ära zu sein, sind hier doch viele Aspekte bereits vorhanden, die in den kommenden Jahren in Francos Filmen eine Rolle spielen werden. Die idyllischen Schwenks über das Meer, lang ausgespielte und dunkel-kraftvolle Sexszenen, die sehr intensiv sowohl für die Darsteller wie auch für den Zuschauer schnell auch mal an den Nerven zerren können, und natürlich eben diese Nicht-Unterscheidung zwischen den verschiedenen Welten.
Die Marquise Martine Bressac kommt nach drei Jahren Klinikaufenthalt wieder zurück in das Schloss ihres Mannes. Was Martine in das Krankenhaus gebracht hat können wir spätestens dann erahnen, wenn wir ihren Göttergatten Armando im frivolen Spiel mit einem anderen Mann sehen, dem mit einem erotischen und gleichzeitig brutalen Unterton versehenen Flor. Allerdings lernen wir auch recht bald, dass die Syphilis im Hause Bressac erblich ist, und Armando seine Göttergattin bereits vor langer Zeit angesteckt hat, was bei ihr zu einer gewissen geistigen Verwirrung in Tateinheit mit grenzen- und zügelloser Geilheit einhergeht. Parallel zu dieser Geschichte allerdings finden Armando und Flor gerade eine bewusstlose Nonne, die offensichtlich aus einem Konvent geflüchtet ist und sich dabei schwer verletzt hat. Zwischen den Beinen. Es ist natürlich klar was die beiden Lüstlinge mit dem Mädchen als allererstes anstellen, aber auch Martine will ihre Lust ausleben …
Martine ist in ihren Armando zwar immer noch verliebt, der aber zieht es vor sie zu ignorieren („Ich bin Deine Frau, wenn Du es nicht vergessen hast.“ „Unglücklicherweise habe ich es nicht vergessen.“). Die Nonne, Norma, wird zur Bediensteten gemacht und bringt Martine nun, genauso wie es in Francis Lerois JE SUIS À PRENDRE aus dem Vorjahr geschieht, jeden Tag ein Glas Milch, welches mit einer luststeigernden Substanz versehen wurde. Denn der Arzt, der sich unter der Kontrolle Armandos befindet, hat attestiert, dass jede Aufregung Martine umbringen könnte. Und ja, dazu gehört auch ein sexueller Rausch. Was liegt also näher, als Martine so oft wie möglich geil zu machen? Denn Martine hat Geld, sehr viel Geld, und Armando, Flor und Norma könnten ein wenig Reichtum schon gut brauchen …
Das ganze klingt erstmal nach einem typischen Franco-Stoff, grundsätzlich basierend auf Ideen des Marquis de Sade, und mit ein wenig nackter Lina Romay und viel Hysterie gewürzt. Aber die Umsetzung zeigt sich dann doch ein wenig anders als erwartet: Der Score besteht zum großen Teil aus Franz Liszts Konzert Nr. 4 für Klavier und Orchester, öfters einmal unterbrochen von dissonanten Keyboardklängen, und wo der Klassikpart eine oft ruhige und wenngleich auch nicht immer passende edle Stimmung erzeugt, da brechen die Dissonanzen des Keyboards umso stärker ein und erzeugen ein deutliches Unwohlsein, einhergehend mit der Verwirrung und Desorientierung Martines. Denn es ist nicht immer klar, ob Martine gerade etwas Wirkliches erlebt, oder ob sie sich das nur einbildet. Oder träumt sie vielleicht nur? Ihr erster Sex mit Norma findet noch in deren Krankenbett statt, die unterlegten akustischen Verdopplungen deuten aber daraufhin, dass sie sich diesen Sex in Wirklichkeit möglicherweise nur einbilden könnte. Doch was ist mit der Gewalt, die Armando und Flor gegen sie anwenden? Die Bilder sind so unscharf, die Kamera ist so unentschieden, dass sogar diese Sequenz als Traum durchgehen könnte. Spätestens gegen Ende neigt dann sogar der Zuschauer zu der Frage, ob er nicht vielleicht einem Traumspiel zuschaut, einem Vexierspiel zwischen verschiedenen Ebenen, dessen einziges Ziel es ist, Lust und Schmerz auf bestechende und grausame Weise miteinander zu verbinden. Denn auch wenn Martine geistig eher zu den Weggetreteneren gehört, so liegt unsere Sympathie doch ganz klar bei ihr, und nicht bei den anderen, wesentlich degenerierteren Figuren.
Gerade die Verbindung zwischen Sex und Gewalt, beides mit großer Leidenschaft verbunden, ist auffällig. Wenn Martine im Rausch Norma fellatiert, ja fast vergewaltigt, dann schaut das fast so aus als ob sie Stücke aus der Vulva Normas herausbeißt, und wenn sich Martine gegen Ende selbst befriedigt, dann treten Armando und Flor mit der Ausstrahlung echter Droogies in den Raum. Ihre Aura ist hart und böse, und ihre Blicke verächtlich. Zu dieser Stimmung passend findet die Vergewaltigung Normas durch Armando und Flor gleich zu Beginn statt, nachdem sie von den beiden gefunden und in ein Bett im Schloss gebracht wurden – Norma hat Blut zwischen den Beinen und ist sichtlich verwirrt, und die beiden Männer drücken ihre Lippen auf Normas Mund und nehmen ihr sichtlich den Atem, während sie gleichzeitig permanent an den wunden Geschlechtsteilen Normas herummachen - Eine klare BDSM-Nummer.
Auf der andern Seite dann wieder Martine, die mit einem Blick wie ein waidwundes Reh durch das Schloss huscht, und irgendwie der personifizierte Schmerz ist. Kein Wunder dass Armando sie geheiratet hat, steht er doch offensichtlich darauf, Schmerz zuzufügen. Martine leidet wenn Armando da ist, sie leidet wenn er nicht da ist, und irgendwie scheint sich die ganze Welt gegen sie verschworen zu haben. Dass der Arzt, der einzige Mann dem sie vertraut, ein doppeltes Spiel spielt, schmerzt den Zuschauer dann umso mehr, genauso wie die Ermordung Wandas, Martines einziger weiblicher Vertrauten. Lina Romay legt unendlich viel Gefühl in ihr Spiel, und sie lässt ihre gesamte Sensibilität nach außen. Umso brachialer wirken dann ihre Masturbationsszenen, die nichts mehr haben von der Verletzlichkeit einer einsamen Frau, sondern die auf das abzielen, was Masturbation im Normalfall ja auch ist: Harter, nackter, verzweifelter Sex.
SINFONÍA ERÓTICA ist also letzten Endes eine Suche nach der Balance zwischen Zärtlichkeit und Gewalt, zwischen Lohn und Bestrafung, zwischen Liebe und Tod. Das geht soweit, dass sogar der Kutscher, der Wanda zum Arzt fährt, mit dem Namen Eros angesprochen wird, der aber just in diesem Moment sichtlich das Haus verlässt. Zugunsten des Todes? Die klassische Musik unterstreicht dabei den zärtlichen und oft aristokratischen Teil, während die Keyboardklänge die Aggression und das Brutale herausstreichen. Das Tempo des Films ist dabei grundlegend langsam, und fast wie in einem Traum bewegen die Figuren sich langsam von einer Szene zu anderen. Dem Innenraum des Schlosses selber mit seinem langen Treppenhaus kommt dabei die Aufgabe zu, zwischen dem Himmel (Martines Schlafgemach liegt im oberen Stockwerk) und der Hölle (Armandos Lustzimmer sind im Erdgeschoss zu finden) die Verbindung darzustellen. Die geradezu engelshaft dargestellte Martine muss also in die Hölle hinabsteigen, um ihre Lust stillen zu können –Ein gemeiner Einfall Francos, dem gegenüber die Ex-Nonne Norma steht, die als früheres Geschöpf des Himmels zuerst in die unteren Räume kommt, später dann aber als Sendbote des Bösen nach oben darf und Martine mit dem Gift versorgt.
Und wenn jetzt noch das Tempo ein ganz klein wenig höher wäre, wirklich nur ein bisschen, und wenn Musik und Handlung besser zusammenpassen würden, dann wäre ich mit diesem Film mehr als glücklich gewesen. Aber die Verbindung zwischen klassischer Musik und Sex hat Franco bei allem guten Willen nie richtig beherrscht (und wird sie am Ende seiner Karriere in CRYPT OF THE DAMNED dann so komplett versemmeln, dass der eh schon langweilige Film völlig den Bach runtergeht), und die Kameraführung, die in einigen Momenten an Sternstunden großartigen Kinos erinnert, ist an anderen Stellen so Franco-typisch verworren und unscharf, dass man am liebsten hingreifen und dem Mann die Kamera wegnehmen möchte. Trotzdem, der Gesamteindruck ist, wenn man für diese Art Film etwas übrig hat, sehr schön, und im Kino dürfte SINFONÍA ERÓTICA genau dieses sein: Ein sinfonisch-erotisches Gedicht voller Schmerz und Tod …