Mit dem schockierenden Horrordrama Dumplings - Delikate Versuchung schuf Hongkong-Regisseur Fruit Chan nicht nur den „Skandalfilm der Berlinale 2005“ sondern gleich noch so etwas wie eine groteske Satire auf den Jugendwahn der heutigen Zeit.
Die ehemalige Gynäkologin Mei (Bai Ling) ist zwar schon über sechzig, sieht aber aus wie dreißig und verhält sich auch so. Ihr Geheimnis: gefüllte Teigtaschen (auf englisch „dumplings“), die die Haut effektiver verjüngen als jedes handelsübliche Mittel. Denn die Füllung besteht aus etwas ganz besonderem: menschlichen Föten; Abtreibungsopfern, die Mei aus Krankenhäusern irgendwo auf dem Festland aufkauft. Auch nachdem die alternde Schauspielerin Qing Li (Miriam Yeung) davon erfährt, lässt sie sich nicht davon abstoßen und besucht Mei für diese teure Kost, um durch ihre neu gewonnene Jugend ihren Mann (Tony Leung Ka-Fai mit grauen Haaren), der jedem jungen Mädel hinterherzujagen scheint, zurückgewinnen zu können und macht sich bald schon von den Fötus-gefüllten Teigtaschen abhängig. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das Ganze aus dem Ruder zu laufen droht.
Diese groteske Spielfilm-Idee spielt geschickt mit der Fragestellung, wie weit man für ewige Jugend (und damit einhergehender Schönheit) wohl gehen würde, auch wenn man die Anklage dieses Jugendwahns nie weiter vertieft und man sich auf das Essen und Zerlegen von Föten beschränkt. Dabei ist der Film mehr Groteske als Horror und weit weniger dramatisch als man vielleicht angenommen hätte. Auch das FSK 18 ist völlig überzogen. Blutig wird es nämlich kaum und auch wenn man mal sieht, wie ein Fötus zerhackt wird, kann man dem Film das nicht ganz abnehmen. Zu rot, zu gummiartig, zu transparent die Konsistenz, wie ein aufgequollenes Gummibärchen. Der Ekel spielt sich hier vielmehr im Kopf der Zuschauer ab, die sich bewusst sind, dass nicht nur die „Köchin“ Mei sondern auch ihre Kundinnen vom Kannibalismus leben. Dabei spielt aber mit eine Rolle, wie phantasievoll bzw. abgestumpft der Zuschauer bereits ist. Auch ein zartbesaiteter Beobachter wird hier wohl mehr mitgenommen als einer, der schon Schlimmeres im Fernsehen gesehen hat. Zwar ist Dumplings - Delikate Versuchung sauber inszeniert und fesselt auch die Abgestumpfteren unter uns, ist am Ende aber dann doch mehr schockierendes Drama als alles andere.
Freilich hätte man die Gesellschaftskritik nicht nur andeuten sondern vertiefen können oder genauer darauf eingehen können, was z.B. weiter mit dem fünfzehnjährigen vergewaltigten Mädchen geschieht, an das Mei zwecks Abtreibung selbst Hand angelegt hat, anstatt nur rudimentär ihr Schicksal durch eine Busfahrt zu skizzieren. Das Ende hätte größer, fulminanter ausfallen können und nicht so rudimentär wie es vorliegend der Fall ist. Und trotzdem funktioniert der Film auch so. Wenn Dumplings - Delikate Versuchung so auch mehr die Schiene des Unterhaltungsfilms einschlägt als die des gesellschaftskritisierenden Mediums.
Trotz des bizarren Themas kommt Dumplings - Delikate Versuchung vor allem visuell (aber auch vom schönen Score her) sehr stilvoll daher, wohl um die fehlende Tiefe des Werks in ästhetischen Bildern zu verhüllen. Kein Wunder, wurde das Ganze doch von Wong Kar-Wais Lieblingskameramann Christopher Doyle in gewohnt schönen Einstellungen gefilmt, auch wenn die Bildkompositionen in Fruit Chans Werk kaum denen von Wong Kar-Wais Filmen das Wasser reichen können.
Bai Ling spielt als „Köchin“ mit besonderem Pfiff hingebungsvoll und überzeugend und auch Miriam „die Durchschnittsfrau von nebenan“ Yeung gibt hier als stilvolle alternde Diva ein ungewohnt tolles Bild ab—wenn man ihr die Wandlung zur jungen Frau auch nicht wirklich abnimmt, weil sie schon vor Genuss der Teigtaschen nicht unbedingt alt aussieht. Die Schuld daran kann man aber allein der Maske zuschreiben.
Insgesamt ist Dumplings - Delikate Versuchung ein guter, solider Film, der das ein oder andere Mal schockiert ohne den Bogen zu überspannen, immer fesselt und, trotz Ekelfaktor und ernster Thematik, immer unterhält ohne voyeuristisch oder reißerisch zu wirken. Er bindet den Zuschauer schon allein wegen der märchenhaften Inszenierung und einem straffen Handlungsverlauf von vorn bis hinten an den Film und ist mit nicht einmal 90 Minuten von der Länge genau richtig. Mal eine ganz andere Kost aus Hongkong!