Einen ganz besonders penetrierenden Blick für das versteckte China, die dunklen Geheimnisse im Schatten der gegenwärtigen China-Hysterie, das vergessene China, das dennoch parallel zu aktuell ausgerufenen Trends und Kampagnen fortexistiert, gestattete sich Fruit Chan mit seinem aktuellen Geniestreich DUMPLINGS (den es sowohl in einer knapp hundertminütigen Langfassung als auch als Teil von THREE ... EXTREMES, der Fortsetzung des panasiatischen Horroranthologie von Applause Pictures, zu sehen gibt). Seit seinem kornigen Debüt ?Made in Hong Kong? hat sich Fruit Chan zu einer sicheren Referenzgröße des Hongkong-Kinos entwickelt. Er steht für einen raren, auch durch ein dickeres Budget nicht korrumpierbaren Indie-Gestus, und gilt als unerbittlicher Satiriker, mit dem rechten Gespür für die Inszenierung der in die Unsichtbarkeit gedrängten Underdogs in ihren Wohnghettos am Rande seiner Heimatstadt. Auch für DUMPLINGS taucht er tief unter die Oberfläche Hongkongs aus glanzpoliertem Stahl und Glas, hinab in die Niederungen der verkommenen Vorstädte in den New Territories, wo eine vorgeblich auf ewig junge Hexe aus dem unausrottbaren Aberglauben und dem Jugendwahn ihrer Klientinnen ein erkleckliches Kapital schlägt. Sie serviert ganz besondere nordchinesische Teigtaschen, die sogenannten Jiaozi, die der Genießerin ihre Jugend zurückgeben sollen, zubereitet nach einer geheimen Rezeptur, welche die Klientinnen besser nicht erfragen ? das würde die Übelkeit erregende Ahnung in eine unerträgliche Gewissheit steigern. Denn ihre wichtigste Zutat besorgt sich die geschäftstüchtige Zauberin aus einer Klinik in Shenzhen, just über die immer durchlässiger werdende Grenze zum Mainland. Dort werden illegal Abtreibungen vorgenommen. Abgetrieben werden aber immer nur weibliche Embryonen. Um einen größeren, schnelleren Effekt zu erzielen, bestätigt die Hexe ihrer ungeduldigen Kundin, dem gealterten Star Miriam Yeung, müsse ein männliches Embryo her ? doch das sei teuer und fast unmöglich zu bekommen. Der Zufall spielt den Komplizinnen jedoch in die Hände, als bei der Hexe ? die in ihrer siffigen Küche auch heimlich selbst Schwangerschaftsabbrüche vornimmt ? eine Mutter mit ihrer bereits fortgeschritten schwangeren Tochter aufkreuzt. Während das Mädchen auf dem Heimweg im Bus verblutet, verschlingt Frau Yeung erst heißhungrig, dann bewusst genießend, die mit zartrosa Embryo-Gehacktem gefüllten Dumplings. Die Wirkung zeigt sich nun sehr deutlich, und die zickigen Freundinnen der Diva beneiden sie kräftig um ihre Rejuvenation ... dann bemerken sie jedoch einen widerlich fischigen Gestank. Ein Nebeneffekt der schlimmen Diät, der daher rührt ? und das hatte die Hexe wohlweißlich verschwiegen ? dass der Erzeuger des Knaben auch der Vater des Mädchens war.
Unerbittlich schleift Fruit Chan diese an für sich schon beinahe bespiellose Schauermär durch einen kalten, grimmigen Realismus, spickt seine Inszenierung mit Referenzen auf den düsteren Schatz in Pandoras Büchse der urbanen Legenden, die ? erst einmal entfesselt ? sich so hartnäckig festsetzten, nicht weil sie wahr sind, sondern weil sie sich prächtig aus Vorurteilen und Partikularitäten auf dem vorzüglichen Nährboden des Heimlichen düngen. (Ergo beruft sich die Geschichte, so wahrscheinlich sie auch scheinen mag, schlimmstenfalls auf eine Ausnahme ... hahaha)