Als Ablösung der Teenieslasherwelle der späten 90ziger ist die Sprache der Horrorfilme seit den Erfolgen von „Saw“ und „House of 1000 Corpses“ wieder rauer geworden und wo die graphische Gewalt schon zu abgenutzt und ausgereizt erscheint, bedient man sich wieder psychologischer Mittel um den Zuschauer zu ängstigen und zu schocken. Der Psychoterror ist wieder „in“ und sein neuester Emporkömmling ist David Slade’s Regiedebüt „Hard Candy“.
Erzählt wird die Geschichte eines 14-jährigen Mädchens, welches sich nach wenigen Wochen Flirterei via Internet entschließt, sich mit ihrem Chatpartner, dem 32-jährigen Fotographen Jeff, persönlich in einem Café zu treffen. Nach kurzem Plausch fahren die beiden dann zu Jeff nach Hause, es wird geredet, getrunken und gelacht. Doch schon bald entwickelt sich der Abend zu einem ungeahnten Horrortrip...
„Hard Candy“ ist angenehmerweise endlich mal wieder ein waschechtes, äußerlich minimalistisches Kammerspiel, welches mit einem Minimum an Drehorten und mit insgesamt fünf, die meiste Zeit über aber gerade einmal mit zwei Schauspielern auskommt. Ein solch dialoglastiger Film kann natürlich nur funktionieren, wenn er neben einem guten Drehbuch auch über fähige Schauspieler verfügt. Und genau das ist glücklicherweise auch der Fall.
Patrick Wilson kann in seiner Rolle des charmanten, zeitweilend verzweifelten und schwer einschätzbaren Fotographen eindeutig überzeugen. Besonders aber seine Gegenspielerin, die junge Ellen Page, ist eine absolute Bereicherung für den Film und meistert ihre Rolle des zunächst nervösen, überdurchschnittlich reifen und später noch schwerer einzuschätzenden Teenagers mit Bravour.
Und genau im letzten Punkt, der Uneinschätzbarkeit beider Figuren liegt eine große Stärke von „Hard Candy“. Das Drehbuch schlägt ständig neue Haken und wechselt die Rollen von Symphatie- und Antipathieträger immer wieder zwischen beiden aus, sodass der Film ein konstant hohes Spannungslevel halten kann. Und obwohl der Zuschauer eigentlich keinen Tropfen Blut zu sehen bekommt, ist „Hard Candy“ in seinen stärksten Szenen dermaßen fies und derb, dass man sich kaum noch traut überhaupt hinzusehen. Denn gerade weil sich fast alle Gewalt im Off abspielt, da die (fantastisch geführte) Kamera immer ein Stück zu weit über dem Geschehen steht oder im entscheidenden zur Seite schwenkt, kann der Film zeitweise enorm fesseln und beinhaltet gar eine der wohl fiesesten Szenen der Filmgeschichte, ähnlich intensiv wie die Spritzenszene in „Saw 2“.
Dass sich „Hard Candy“ trotz der vielen Pluspunkte letztlich doch nicht zur Oberklasse der Psychothriller-Kammerspiele, wie Polanski’s „Der Tod und das Mädchen“ zählen darf, liegt am unausgereiften Drehbuch, speziell in der Endphase des Films. Das Finale punktet zwar mit einer optisch genial gefilmten Szene, enttäuscht aber mit einer löchrigen und zum Teil hervorsehbaren Auflösung. Genau hier wäre noch einmal ein kräftiger Storytwist notwendig gewesen, der den Zuschauer nach diesen schweißtreibenden anderthalb Stunden mit offenem Mund zurück lässt. Stattdessen bleiben wichtige Fragen offen und der Abschluss wirkt unbefriedigend. Und die Tatsache, dass David Slade ein stark tabuisiertes, ernstes Thema lediglich oberflächlich als Mittel zur Spannungserzeugung ausnutzt, statt sich mit ihm irgendwie näher zu beschäftigen drückt dem Film zudem einen moralisch zweifelhaften Stempel auf.
Wer sich davon nicht stören lässt, darf sich zumindest auf einen der sicher spannendsten Thriller der letzten Jahre freuen. Vor allem Männern sind schweißnasse Hände garantiert. 8/10