Es ist ein herrlicher Charakterzug von Jackie Chan, dass er selbst nach seinem definitiven Durchbruch in Hollywood stets wieder nach Hongkong zurückgeblickt hat, um auch dort weiterhin Filme zu drehen - und dies nicht nur einmal, sondern in etwa genauso oft wie in den Vereinigten Staaten. Der Karriereverlauf des kleinen Superstars gebietet diese Gesten natürlich - wie schwer ist es gewesen, endlich in Amerika Fuß zu fassen, endlich dorthin zu gelangen, wo mit Buster Keaton seine schauspielerischen Wurzeln lagen. Wie oft hat er Amerika nach erfolglosen Versuchen wieder den Rücken kehren müssen, und wie oft konnte er sich in Hongkong wieder vollends rehabilitieren. Jackie Chan hat dem Hongkong-Kino alles zu verdanken, keine Frage - die Kunst ist aber, dies zu erkennen. Und das tut er. Man mag von dem Chinesen als Schauspieler halten, was man will - alleine dieser Wesenszug macht ihn als Menschen grundsympathisch.
Nun ist Jackie mit dem Jahrtausendwechsel auch schon ziemlich in die Jahre gekommen, und was seine Spezialität, die Martial Arts betrifft, sind inzwischen keine neuen Quantensprünge mehr zu erwarten. Den Höhepunkt hatte er Mitte der Neunziger mit “Drunken Master II” erreicht. Nun galt es, das Eisen noch zu schmieden, solange es noch heiß war. Jackie ist zweifellos bis zum heutigen Tag noch für ein paar heiße Tänze gut gewesen. Während sich seine Rollen in absehbarer Zukunft bereits etwas auf das fortschreitende Alter abstimmen (Der letztjährige “The Myth” versucht, historische Stoffe zu verarbeiten und mit “Kung Fu Panda” wird Chan für 2008 Synchronsprecherarbeit übernehmen), konnte er in den letzten zehn Jahren voll und ganz auf Actioncomedy setzen - mit der klaren Betonung auf “Action”.
Daraus ergibt sich nun eine schematische Gleichheit all dieser Filme, der auch “Spion wider Willen” unterliegt. Ob nun mit oder wie hier ohne Buddy, Chans Figur heißt nicht nur in den meisten Fällen “Jackie”, sie scheint auch immer die gleichen Charaktereigenschaften zu besitzen. Unterschiede sind nur formeller Art. Ist Jackie in “Mr. Nice Guy” noch ein Fernsehkoch, so arbeitet er hier in einem Geschäft für Sportartikel. Summa summarum kommt das aber aufs Gleiche heraus: Jackie spielt einen stinknormalen Kerl, einen Jedermann, der mehr zufällig als gewollt plötzlich mitten in eine Kriminalgeschichte reingezogen wird, der er nur durch seine akrobatischen Fähigkeiten (hier: als Junge im Waisenhaus gelernt zur Selbstverteidigung) entkommen kann. Nicht der Plot, sondern dessen Variationen sind es, die jeden einzelnen Film ausmachen und für die Chan-Fans in Massen in die Kinosäle und die Videotheken stürmen. Anspruch? Nevermind.
Teddy Chans Regie wirkt allerdings deutlich amerikanischer als diejenige seiner Hongkong-Pendants. Den chinesischen Soundtrack (für mich eines der wenigen eher ungemochten Elemente aus Chans Hongkong-Filmen) muss hier kein Neo-Chan-Fan befürchten, er wurde gegen einen akustisch angenehmeren, allerdings auch deutlich klischeehafteren Orientaltrack mit koreanischen und türkischen Elementen (die beiden Hauptaustragungsorte des Films) ersetzt. Der Vorspann besteht aus stylishen Schnitten mit Szenenelementen von vorweggenommenen Jackie-Kämpfen, die Optik ist dem kompletten Film über auf Hochglanz poliert, Stunts glänzen weniger durch Handarbeit denn durch Visuals und Special Effects und Kamerafahrten bewegen sich von der Dynamik her auf höchstem Hollywood-Niveau. Wäre der Cast mit US-Schauspielern abgedeckt, könnte man hier durchaus einen nahtlosen US-Film vermuten.
In diesem Zusammenhang hervorzuheben sind die herrlich eingefangenen Originalschauplätze, die dem ganzen Film ein multikulturelles Flair verleihen und beinahe, wäre die Grundstimmung nicht so anders konstruiert, einem Bond-Film gleichkäme. So zieht es Jackie nach Hongkong, Istanbul und Seoul / Südkorea. Der optische Bildwert ist nahezu gigantisch und ein Hauptargument für den Film, denn so gut wie jedes Bild ist es wert, betrachtet zu werden, was handlungstechnische Defizite, die zweifellos vorhanden sind, beinahe vollkommen egalisiert. Das betrifft nicht nur die Außenaufnahmen, sondern auch jegliche Dreharbeiten in Innenräumen. Ob Bank, Hotelzimmer oder türkisches Bad, Abwechslung ist reichlich vorhanden, und selbst wenn nichts von Belang passiert, bleibt man am Geschehen dran.
Isoliert man den Plot, wird erwartungsgemäß dessen Banalität deutlich. Beginnend bei der Frage, wie die Drehbuchautoren nun Jackie aus seinem langweiligen Verkäuferleben bekommen; da muss dann ein Überfall in einem benachbarten Geschäft her, damit Jackie als rechtschaffener Bürger sogleich interveniert und gewisse Leute auf ihn aufmerksam werden. Erstaunlich ist die Tatsache, dass Jackie mehrmals von der Polizei in einer missverständlichen Situation gestellt wird und sogleich immer wieder ohne weitere Untersuchungen freigelassen wird - sei es nun sein Eingreifen in den anfänglichen Überfall, der Vorfall mit den Taxi-Dieben oder die Sache mit Yong (bildhübsch: Vivian Hsu).
Aber wer darauf schielt, ist sowieso am falschen Ort. Der Grund, weshalb man sich zu einem Jackie Chan-Film zusammenfindet, ist in etwa das, was nach der Flucht aus dem türkischen Bad so abläuft. Für unwissende Interessierte könnte man das Ganze vielleicht als “Nackt-Martial Arts mit Genitalien-Abdeck-Problematik im lockeren Flucht-Ambiente” zusammenfassen; in Wirklichkeit verbirgt sich dahinter eine der besten Action-Escape-Choreografien, die bislang in einem Chan-Film zu sehen waren. Besonders interessant war die Tatsache, dass die Martial Arts des Meisters nicht einmal besonders ausgeprägt zur Geltung kommen müssen, sondern ein Ideenreichtum hinter der ganzen Szene verborgen ist, die den Kämpfen den Druck nimmt. Man wird also eine Szene zu sehen bekommen, die genauso aufregend ist wie eine gute, rohe Kampfchoreografie, obwohl eine solche nur bedingt geboten wird.
Auch insgesamt glaubt man am Filmende, mehr von Chans Kampfkünsten gesehen zu haben, als man tatsächlich gesehen hat. Hinterher bleibt allerdings kein Gefühl des Betrugs, auch weil natürlich vom Hauptdarsteller dennoch viel körperliche Akrobatik gefordert wird. Statt dessen ist man von der Regie beeindruckt, die es wirklich schafft, den aufgeblasenen Inhalt und die gemäßigten Martial Arts mit Substanz zu füllen. Szenen wie der Kampf mit den Elektroschockern im Krankenhaus runden das diesbezüglich zufriedenstellende Ergebnis ab.
Die recht ausufernde Finalsequenz bedient dann noch den Actionanteil mit Bravour. Zwar bedient man sich hier munter bei “Speed”, aber gut geklaut ist ja bekanntlich besser als schlecht erfunden, und so vermag es dieser Höllenritt auf dem brennenden Tanklaster durchaus, mitzureißen, wenngleich man hier doch vor Knallerenden wie demjenigen von “Police Story III” kapitulieren muss. An Materialverschleiß mangelt es aber sicher nicht.
Etwas unentschlossen wirkt nun die Grundstimmung des Films. Hin und wieder mit komödiantischen Elementen aufgelockert, versinken diese allerdings in einer allgegenwärtigen Traurigkeit, die vom Tod und Elend verschiedener Darsteller getragen wird. Da möchte man gerne mal aus dieser unentschlossenen Spur ausreißen, doch dies wird dem Zuschauer leider nicht gewährt, so dass er zwischen Freudenhügel und Jammertal hin- und herwandert. Dabei hätte die Konzeption zweifellos für eine Bond-Parodie gereicht, besser jedenfalls als in “First Strike”, wo dies tatsächlich realisiert wurde.
Als westlichster der bis dahin erschienenen Hongkongfilme Chans weiß “Spion wider Willen” jedenfalls durchweg das Publikum bei der Stange zu halten. Das liegt klassischerweise weniger an einer ausgebufften Story als vielmehr an optischer Bildgewalt, schönen (und schön eingefangenen) Drehorten und einigen wirklich innovativen Ideen, was die inzwischen doch schon stark traktierten Actionszenen betrifft. Chan spult sein typisches Programm von der Zeit nach “Rush Hour” ab und gibt dem Volk, wonach es schreit - anspruchlose Unterhaltung mit dem Markenzeichen Jackie Chan. Solange der Vorrat hält.