Review

Wer will da noch nach Venedig?


Aldo Lados „Chi l'ha vista morire" ist mal ein ziemlich grimmiger und ernster Vertreter aus den gelben Gefilden italienischen Genrekinos, der mit den sonstigen, oftmals unterhaltsam und trashigen Beispielen herzlich wenig zu tun hat, obwohl er doch recht eindeutig die Topoi des Subgenres bedient. Die Tatsache, dass hier ein Kindermörder sein Unwesen treibt, verleiht „The Child - Die Stadt wird zum Alptraum" eine düstere und tragische Note, die ich bisher nur in wenigen Gialli vorgefunden habe. Allerdings geht Lado einen anderen und einfacheren Weg als beispielsweise Lucio Fulci in „Don't Torture a Duckling", der ja eine intensivere Studie dörflicher Strukturen darstellt. Lados Film generiert aus seiner bedrückenderen Thematik zwar eine düstere Atmosphäre, bleibt aber in der Ausarbeitung der psychologischen Auswirkungen auf die Eltern des ermordeten Mädchens recht oberflächlich und bietet dem Zuschauer daneben weniger analysierende Perspektiven. 


Der Figurenpool bietet eine Handvoll Verdächtiger, die sich um Umfeld der Hauptfigur bewegen und bettet sie in einen recht übersichtlichen Plot ein, der nur wenige Haken schlägt und dem Zuschauer so auch kaum etwas abverlangt. Dafür findet Lado mit seinem Team zahlreiche gelungen inszenierte Setpieces, die immer wieder ein vernebeltes und vollkommen trostlos wirkendes Venedig zeigen, nachdem der Mord an dem Mädchen Roberta zu einem veränderten Tonfall im Film führt. Sehen wir im ersten Viertel noch die allseits gerühmte Schönheit der Lagunenstadt, die mit dem glücklichen Miteinander von Vater und Tochter Hand in Hand geht, treffen wir dann recht häufig auf verfallene Gebäude und bewegen uns mehr in der Nacht durch die Stadt, so dass die Strahlkraft der Gebäude vom Dunkel verschluckt wird. Stimmungsvoll ist „The Child" also auf jeden Fall.

Die Mordszenen werden sehr zurückhaltend umgesetzt, was angesichts der kindlichen Opfer auch vollkommen angemessen ist und exploitative Elemente treten hinter dem Drama zurück, was dem Film in seiner Gesamtheit dann auch gut zu Gesicht steht. Allerdings lässt der Film einer Erwähnung nach Wellensittiche die Augen einer Leiche auspicken, womit er sich zwischendurch seiner Genrezugehörigkeit offenbar zu versichern scheint.

Die Darsteller machen ihre Sache soweit gut, wobei George Lazenby als vom Verlust geplagter Vater mit seiner heruntergehungerten Gestalt eine wirklich gute Figur macht. Mit seiner, oft unterschätzten, Darstellung in „Im Geheimdienst ihrer Majestät" hat seine Leistung hier wirklich gar nichts mehr zu tun und auch wenn Lado sich mehr auf die Verfolgung des Mörders als auf die Trauer der Eltern konzentriert, lässt Lazenby in einigen Momenten doch die emotionale Erschütterung sichtbar werden.

Anita Strindberg hat weniger zu tun und wird im Film zur Nebenfigur degradiert, was weniger an ihrer Leistung als vielmehr am Drehbuch liegt, das ihr einfach zu wenig Screentime und Handlung zugesteht. Hier wäre leicht mehr möglich gewesen.
Adolfo Celi als undurchsichtiger und schmieriger Kunstmäzen mit dunklem Geheimnis spielt diese Rolle auf Autopilot und man fragt sich, ober der auch andere Sachen spielen könnte. Die anderen Schauspieler sagten mir nichts und es schaffte auch niemand, mich dazu zu bewegen, mir seinen oder ihren Namen zu merken.

Ein ganz großes Highlight bietet hier der Score von Ennio Morricone, der in gefühlt jedem der Stücke einen Kinderchor einsetzt, wodurch die morbide und tragische Note des Films anfangs angedeutet und später dann voll und ganz ausgelebt wird. Unter Morricones Werken im Giallo-Bereich ist dies hier definitv einer der bemerkenswertesten.


Fazit

Aldo Lado ist mit „The Child - Die Stadt wird zum Alptraum" ein aus dem Genre heraustechender Film gelungen, der seine ernste Thematik sehr konzentriert verfolgt und auch recht unterhaltsam geraten ist, wenngleich das Finale keine wirkliche Entladung einer sich permanent steigernden Spannungskurve darstellt. Die Kameraarbeit von Franco Di Giacomo serviert uns Venedig von seiner weniger strahlenden Seite und Morricone veredelt die Mörderhatz mit sehr ungewöhnlichen Kompositionen. Die Schauspieler machen ihre Sache dabei überdurchschnittlich gut und so ist dies ein gelungener Giallo, der in der Entwicklung seiner Geschichte vielleicht den ein oder anderen interessanten Nebenschauplatz hätte aufmachen können. Da sowas ja aber auch schiefgehen kann, bin ich auch so mit „Chi l'ha vista morire" zufrieden und erfreue mich an der Klasse, die der Film insgesamt ausstrahlt. Der letzte Ruf des Zeitungsredakteurs hätte allerdings nicht mehr sein müssen, da dies wie der verzweifelte Versuch eines Happy Ends wirkt, das nicht so recht zu diesem Kriminaldrama passen will.     

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