The Bourne Premonition
Ach das waren noch Zeiten, als man sich mit gespannter Erwartung in die Videothek seines Vertrauens aufmachte um alte und neue Filmperlen zu entdecken. Dort buhlten die Verleih- und Filmfirmen regaleweise mit knallbunt und reißerisch aufgemachten Covern um die Gunst des Kunden. Vor allem im Action- und Horrorbereich konnte man so reihenweise noch Ladenhüter, Kinoflops oder kostengünstig produzierte DTV-Ware gewinnbringend an den Mann bringen. Ein Paradies für den genrevernarrten B-Filmfreak. Neben der kompletten Werkschau von Videothekensuperstars wie Charles Bronson, Chuck Norris oder Jean Claude VanDamme, waren es vor allem Titel die schamlos mit angeblich sehr ähnlichen Blockbustern waren, die besonders viel Spaß versprachen.
Eine solche Wundertüte ist definitiv der vermeintliche SiFi-Thriller TIMEBOMB (1991), hierzulande unter seinem Arbeitstitel NAMELESS veröffentlicht. In den US-Kinos war der Produktion lediglich ein limitierter Kinostart vergönnt gewesen, so dass man alle Hoffnung auf einen zweiten DTV-Frühling setzte. Hauptdarsteller Michael Biehn war zwar nicht „Nameless“, aber verglichen mit dem Bekanntheitsgrad seiner Filme (u.a. ALIENS (1986), THE ABYSS (1989)) beinahe schon ein Geheimtipp. Also gingen die findigen Werbestrategen her und verpassten NAMELESS den knalligen Untertitel TOTAL TERMINATOR. Das war ein doppelter Geniestreich, denn erstens war Michael Biehn kein geringerer als Arnolds Widersacher im Ur-
TERMINATOR (1984) und zweitens suggerierte man damit eine Nähe zu den beiden größten SiFi-Actionhits der vergangenen zwei Jahre:
TOTAL RECALL (1990) und TERMINATOR 2 (1991). Und da man einen Titel eventuell auch überlesen konnte, durften sich auch die Grafikdesigner austoben. So ziert das VHS-Cover ein halb Mensch, halb Maschine -Konterfei Biehns, bei dem die Nähe zur VHS-Variante des ersten Terminator-Films auch dem begriffsstutzigsten Filmnerd in die Linse springt.
Und die Rechnung ging auf. NAMELESS entwickelte sich zu einem der populärsten Video-Titel der frühen 1990er und das, obwohl er mit den zitierten Schwarzenegger-Hits nicht das geringste zu tun hat. Biehn ist kein Cyborg, er mischt nicht den Mars auf und Science-Fiction-Elemente finden sich eher am Rande. Der Film des israelischen Multitalents Avi Nesher (hier Regie und Skript) ist in erster Linie ein lupenreiner Paranoia-Thriller im Actiongewand. Er kommt dabei den düsteren Selbstfindungstrips eines Jason Bourne deutlich näher als dem thematisch ebenfalls verwandten und nur ein Jahr später releasten VanDamme/Lundgren-Kracher UNIVERSAL SOLDIER (1992).
Avi Nesher wollte hier nach eigenem Bekunden seine persönlichen Erfahrungen mit der Ausbildungspraxis der israelischen Armee verarbeiten, bei der die höchst fragwürdige Kombination aus knallharter Drill und fiesem Psychoterror das Mittel der Wahl zur elitesoldatischen Optimierung war. Diese „aufklärerische“ Mission war Nesher sogar eine Halbierung des Budgets wert, denn Produzentin Raffaella De Laurentiis (Tochter von Dino) favorisierte eigentlich einen zugkräftigen Actionnamen für die Hauptrolle (Van Damme oder Norris standen auf dem Wunschzettel), aber Nesher wollte unbedingt Michael Biehn. Der hatte ihn vor allem in James Cameron THE ABYSS schwer beeindruckt, als er glaubhaft einen langsam dem Wahnsinn verfallenden U-Boot-Kommandanten mimte. Außerdem hatte sich seit Bruce Willis Siegeszug mit
DIE HARD (1988) ein etwas anderer, vor allem menschlicherer Actionheld etabliert, der die unzerstörbaren Kampfmaschinen langsam anachronistisch wirken ließ.
Allen hehren Ambitionen zum Trotz - und die sind ja nicht selten bloße Lippenbekenntnisse - ist NAMELESS natürlich in erster Linie ein Action-Vehikel. Die mentale Extremsituation des Helden ist mehr Handlungsmotor und Action-Auslöser, als Antrieb für eine fundierte Auseinandersetzung mit den Untiefen der menschlichen Psyche vor dem Hintergrund fragwürdiger Praktiken. Allerdings macht Biehn seine Sache als CIA-Killermaschine mit langsam nachlassender Amnesie ausgezeichnet. Als der unscheinbare Uhrmacher Eddy Kay nach und nach seine alten Fähigkeiten wieder entdeckt, kommen auch die Erinnerungen an den brutalen Brainwash-Drill seiner Ausbildung zurück. Zu diesem psychischen Ausnahmezustand gesellt sich dann auch noch eine sehr reale existentielle Bedrohung, denn Kays ehemalige Vorgesetzte setzen alles dann, den für tot Gehaltenen endgültig aus dem Weg zu räumen. Biehn gibt den labilen Paranoiker jedenfalls sehr glaubhaft und man muss fast schmunzeln wenn man sich VanDamme oder Norris in derselben Rolle vorstellt.
Das permanente auf der Flucht-Szenario erfordert wiederum ganz andere Qualitäten, aber auch da muss sich die James Cameron-Muse Biehn nicht vor den beiden Kampfsportassen verstecken. Normalo Matt Damon mutierte auch mit ein paar Wochen Intensivtraining zum furchteinflößenden Killer-Agenten. Einen vergleichbaren Crashkurs ließ Nesher auch Biehn absolvieren, der im Nahkampf ähnlich kompromisslos und endgültig zuschlägt. Ansonsten muss er vor allem viel rennen und springen, aber dafür hatte er ja schon als Kyle Reese ausgiebig Gelegenheit zum Training gehabt. Insgesamt kommt der Genrefreund jedenfalls durchaus auf seine Kosten. Budgetbedingt steht die körperliche Auseinandersetzung und Anstrengung natürlich im Vordergrund, aber ein paar Autostunts und Explosionen bekommt man dennoch als Bonus. Langweilig wird’s so nie, auch weil die Schlagzahl in der spannungsärmeren zweiten Filmhälfte zunimmt und Biehn nicht alleine wegrennen muss. Patsy Kensit kam mit den besten Referenzen, immerhin hatte sie schon Mel Gibson alias Kamikaze-Cop Martin Riggs in LETAHL WEAPON 2 (1989) gehörig den Kopf verdreht. Als Psychiaterin Dr. Anna Nolmar darf sie nun den ebenfalls latent explosiven Eddie Kay nicht nur verführen, sondern gleich auch noch analysieren. Viel Zeit fürs therapeutische Kerngeschäft bleibt allerdings nicht, denn Kays Auslöschung erfordert auch Nolmars Eliminierung. Bei all dem Adrenalin wird aus dem Vertrauensverhältnis schnell ein vertrautes Verhältnis, wobei Avi Neshers Bebilderung desselben dem Film schnell sein R-Rating bescherte.
Am Ende ist das genau die Konstellation, die DTV-Produktionen der späten 80er und frühen 90er so attraktiv für Videothekenjunkies machten. Vergleichsweise kompromissloses Genrekino, das den großen Vorbildern huldigt, dabei aber einen deutlich raueren und dreckigeren Ton anschlägt und gängige Konventionen nicht allzu ernst nehmen muss. Befreit von allzu engen Budgetfesseln konnten so auch eigenwilligere Filmemacher wie Avi Nesher ihre oft gröbere Handschrift einbringen und ausleben. NAMELESS ist sicher kein Meisterwerk des utopischen Films, aber dank seiner eigenwilligen Mixtur aus Psychodrama, Gesellschaftskritik, und Actionthriller ein netter Farbtupfer im großen Genre-Pool.