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Bei "Saturday Night Fever" zeigt sich deutlich, wie notwendig ein gewisser Abstand zum Geschehen sein sollte, um Qualitäten erkennen zu können. Gerade die ersten Szenen sind in ihrer Genialität einmalig ,stilbildend und darüber hinaus mutig - John Travolta als Tony Manero ist ganz bei sich selbst, bei seinen Bewegungen, seinen Klamotten und seiner Frisur. In dieser völligen Konzentration nur auf die eigenen Belange, stellt Tony Manero den Prototyp für den kommenden Hedonismus der 80er Jahre dar.

So wie der gesamte Film das Ende der alten ,schon nur noch sporadisch funktionierenden Strukturen einläutet - das Ende der Familie als konservativer Hort und Bewahrer von Religiösität und Anstand, das Ende der Jugendfreundschaften, die ein Leben lang die Basis für Freizeit und Arbeit bilden sollte und das Ende der eingeschränkten Mobilität, die dazu führte, daß selbst ein New Yorker kaum den Nachbarstadtteil kannte. Gleichzeitig ist das der Beginn des Glaubens an die eigene Individualität, an die Umsetzung eigener Wünsche und das Denken an den eigenen Vorteil. Ein schmerzhafter Prozess, der bis heute im Gange ist und zunehmend zu Konflikten führt.

Doch 1977 in New York scheint die Welt noch in Ordnung zu sein. Tony Manero arbeitet in einem Geschäft für Handwerkerbedarf und verbringt seine Freizeit mit seinen Freunden aus der Nachbarschaft. Deutlich ist noch die klare Trennung unter den Einwohnern New Yorks zu erkennen, wenn Tony des Abends ins "2001" geht, der angesagtesten Disco im größtenteils italienisch stämmig bevölkerten Stadtteil Brooklyn. Sobald sich puertoricanische oder afro-amerikanische Tänzer in den Musiktempel "verirren" , wird ihnen schnell verdeutlicht, daß sie hier nicht mit Applaus rechnen können - das Ganze wird nicht aggressiv oder feindlich vermittelt, sondern es werden einfach "natürliche" Grenzen aufgezeigt. Die Beschränkung auf den jeweils eigenen Stadtteil hat für Jeden selbstverständlich zu sein.

Die ersten Brüche sind jedoch schon in Tonys Familie zu erkennen. Der Vater ist arbeitslos, hält aber noch an den alten Traditionen des einzigen Ernährers der Familie fest. Überall sind schon erste Auflösungserscheinungen zu erkennen, die letztendlich darin kulminieren, daß Tonys großer Bruder sein Priesteramt aufgibt und damit vollends den moralischen Anspruch der Familie zerstört. Tony selbst gilt innerhalb der Familie mit seinem scheinbar nur an äußeren Werten interessierten Verhalten als "schwarzes Schaf" , was ihn nur noch stärker zusammen mit seinen Freunden in die nächtliche Disco treibt.

Hier ist Tony Manero der Star und wie der schlacksige John Travolta mit unnachahmlicher Lässigkeit seinen Auftritt zelebriert und diesen Status genießt, trifft in seiner Mischung aus Lächerlichkeit und Coolness genau den Nerv. Denn Tony ist so überzeugend, daß seine Figur von Beginn an so stark polarisierte, daß dieses nicht nur Folgen für die Beurteilung des gesamten Filmes hatte, sondern auch für die Karriere des John Travolta. Niemand betrachtete diesen Tony Manero als Kunstfigur und da Travolta bis zu "Saturday Night Fever" noch recht unbekannt war, konnte er sich auch nicht mehr von diesem Image lösen.
Gerade die sehr differenzierte Ausgestaltung seines Charakters machte es demjenigen, der schon Tonys schmierige, selbstverliebte Fresse nicht mochte, leicht, ihn abzulehnen. Travolta zeigte deutlich die hinter der Angeber-Fassade versteckte geistige Unbeweglichkeit und Unsicherheit, so daß seine Person Ende der 70er Jahre in weiten Kreisen als Feindbild galt - nicht zuletzt auch wegen Tonys reaktionären Umgangs mit Frauen, der beinahe zu einer Vergewaltigung führt.

Kaum Jemand erkannte Travoltas schauspielerische Leistung an, spürte in der Figur des Tony dessen fairen Umgang, sein Gerechtigkeitsgefühl und die darin verankerte Fähigkeit, sich von alten Strukturen lösen zu können. Im Gegensatz zu seiner vertrauten Umgebung, ist Tony nicht nur der beste Tänzer, sondern auch ehrgeizig und willens sich zu verändern, auch wenn er dafür eine Tragödie erleben muß. Vergleicht man diesen Film über eine heranwachsende Jugend mit heutigen Werken a la "American Pie", fällt die Ernsthaftigkeit und das Interesse der Macher an den Protagonisten auf, denen trotz dieses realen Anspruchs eine abwechslungreiche, atmosphärisch dichte und den Zeitgeist vermittelnde Story gelingt.

Leider ist dieser Zeitgeist fast das einzige Attribut dieses zeitlosen Films, der in Erinnerung geblieben ist. Die kongeniale Musik der BeeGees, die das damalige Lebensgefühl genau traf, die 70er Jahre Klamotten und der Tanzstil sind auf ewig mit diesem Film und dieser Zeit verbunden. Dabei hatten die Macher damals erwogen, die Tanzszenen heraus zu schneiden, da "Saturday Night Fever" keineswegs ein Tanzfilm sein sollte, sondern die Veränderungen in der Gesellschaft an Hand einer zunehmend verwirrteren Jugend, der der traditionelle Halt verloren geht, zu demonstrieren. Die Tanzszenen sollten dabei nur die zunehmende Flucht aus dem Alltag und den stärker werdenden Hang zur Selbstdarstellung betonen. Diese Art des Solotanzes und der Verzicht auf einen Partner waren damals etwas völlig Neues, weshalb die Musik und der Tanz die Intentionen der Macher noch unterstützen sollten und glücklicherweise Teil dieses Gesamtkunstwerkes blieben.

Und genau das ist "Saturday Night Fever" - ein fast prophetischer Film über die Wandlung der Gesellschaft in den 70er Jahren aus traditionellen Strukturen in die heutige moderne Gesellschaft. Seine Darstellung der Brüchigkeit und inneren Verlogenheit der "alten Gesellschaft" läßt ihn als Plädoyer für die Veränderung und damit für den Aufbruch verstehen. Aus heutiger Sicht ein fast naiv positiver Gedanke, der aber damit genau die optimistische Haltung der 70er Jahre verdeutlicht.

Travolta selbst bekam danach jahrelang nur noch ähnlich geartete Rollen, die aber nie an die Komplexität der Figur des Tony anknüpfen konnten, sondern im Gegenteil genau die Oberflächlichkeit und leichte Unterhaltung verkörperten, die man "Saturday Night Fever" zu unrecht unterstellte. Er selbst verschwand in den 80er Jahren fast in der Bedeutungslosigkeit, gescheitert an einer so genial verkörperten Figur, daß keiner mehr diese mit dem Namen Tony Manero verband, sondern nur noch mit John Travolta.

Aus heutiger Sicht und dem Beginn seiner zweiten Karriere mit "Pulp Fiction" kann man seine damalige Leistung besser einordnen und anerkennen, aber die tatsächliche Rehabilitierung dieses hervorragenden Filmes und wichtigen Zeugen seiner Zeit jenseits von Trash, steht noch aus (10/10).

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