Eigentlich ist es noch ein wenig früh für Weihnachtsfilme, aber harmonisch geht es in „Die Hard“ schließlich auch nicht zu, denn an Heiligabend sind nicht plötzlich alle Mitbürger Gutmenschen.
Vielmehr bietet „Ice Harvest“ eine Ansammlung von Verlierern, die in der Nacht von Heiligabend bis zum Weihnachtsmorgen eine Menge Gefühlskälte durchstehen müssen, - sofern sie das Weihnachtsfest überhaupt noch erleben dürfen.
Vor allem Mafia-Anwalt Charlie Arglist (!) (John Cusack), der mit dem Barbesitzer Vic (Billy Bob Thornton) soeben zwei Mio. Dollar gestohlen hat.
Abgenommen hat er das Geld seinem Boss, dem Mafiachef Guerrard (Randy Quaid), der von dem Diebstahl schnell Wind bekommt und einen Killer auf die Diebe ansetzt.
Dieser zynische Weihnachts-Noir kommt über weite Teile eher wie eine Charakterstudie, denn als Krimi daher.
Lange Zeit wird das Geschehen kaum vorangetrieben, wir folgen Cusack im Striplokal, sein Anbandeln mit der Femme Fatale, die dafür gesorgt hat, dass es ein aussagekräftiges Foto mit ihr und dem Stadtrat beim Pimpern gibt, was im Verlauf aber kaum eine Rolle mehr spielt.
Wir lernen Loser Pete (Oliver Platt) kennen, der sich an Heiligabend die Kante gibt und auch im Beisein Charlies anzügliche Bemerkungen gegenüber sämtlichen Frauen macht.
Das gestohlene Geld spielt zwischenzeitig kaum eine gewichtige Rolle, ebenso wie Thornton, dessen Teilnahme schon fast ein wenig verschenkt ist.
Nur dem treffsicherem Dialogwitz und den durch die Bank ausgezeichneten Darstellern ist es zu verdanken, dass das Geschehen nie langweilig anmutet, auch wenn die Handlung lange Zeit auf der Stelle tritt und stattdessen auf Atmosphäre setzt.
Dies geschieht jedoch mit Erfolg, besonders der Gegensatz von usseligen Schmier-Bars und der überkandidelten Weihnachtsbeleuchtung einiger Kleinbürger weiß zu gefallen.
Auch später, wenn der Eisregen den kleinen Ort beherrscht und am eisigen Bootssteg alles in kaltes Grau-Blau verhüllt ist, kommt eine trostlose Stimmung auf, die dennoch zu gefallen weiß, - vielleicht, weil einem das aufgesetzt bunte und freundlich Warme zu Weihnachten eben doch manchmal gegen den Strich geht.
Jedoch, und das stört mich hier doch gewaltig, wird zu den Figuren recht wenig Hintergrundinformation geliefert, der dicke Mafia-Boss taucht erst in den letzten Minuten auf, zuvor wird sein Name lediglich erwähnt. Wie das eigentliche Verhältnis zwischen ihm und Cusack war, lässt sich nur erahnen, ebenso, wie Platt an Cusacks Ex gekommen ist, mit der er nun verheiratet ist, - was ihn ganz offensichtlich aber auch nicht glücklich macht.
Personen sind da, ihr jeweiliger Charakter kann sich durchaus entfalten, doch ein Zusammenspiel derer ist leider selten auszumachen.
Denn erst in der letzten halben Stunde wird interagiert.
Wenn eine Person in einem Metallkoffer eingesperrt ist und im zugefrorenen Gewässer entsorgt werden soll, wenn keiner mehr dem anderen vertrauen kann und die Rolle der Femme Fatale ihren klassischen Stempel aufgedrückt bekommt.
Dann kommt endlich Bewegung in das ansonsten unterkühlt ablaufende Geschehen.
Hier punktet dann auch ein wenig Humor, der zuvor lediglich von einem immer wieder auftauchenden, jungen Polizisten abgedeckt werden musste.
Okay, vielleicht auch noch von einem Oliver Platt mit Truthahn-Schenkel in der Hand wedelnd, der das heilige Beisammensein der Familie grob unterbricht.
Ansonsten bietet die Geschichte kaum Höhepunkte und wenn, dann in der letzten halben Stunde. Die Darsteller retten eine Menge an kaum vorhandener Handlungsentwicklung und mit Cusack und Platt finden sich sympathische Anti-Helden.
Wer mit einem durchgehend ruhigem Erzähltempo und vielen Dialogen zufrieden ist, zudem ein Faible für Neo Noirs hat, sollte einen Blick riskieren.
Wer Action und einen straight erzählten Thriller mit Überraschungen sucht, sollte lieber noch ein wenig warten, bis der passende Anti-Weihnachtsfilm erscheint, denn den gibt es, wie auch das Fest, jedes Jahr.
6,5 von 10