Review

Wie auch der allseits geliebte „Oldboy“ wird auch mit dem nun häufig verglichenen „A bittersweet life“ nicht gerade gerecht verfahren. Beiden Filmen wird von dem selben Publikum gehuldigt- aus Gründen, die meiner Ansicht nach den Genuss beider Filme niemals rechtfertigen würden. Weder die breit ausgespielten, gefällig choreographierten Kämpfe, das alles verzehrende Verlangen nach Rache (das bringt die Zuschauer nun mal immer wieder zum Glühen), die lupenreinen, stilisierten Bilder noch die eingängigen Soundtracks dieser Filme würden ausreichen um mich zu ehrlichen Begeisterungsstürmen hinzureißen. Die eigentliche Stärke liegt auch bei „A bittersweet life“ in der für einen Genre-Filme eher ungewöhnlich formulierten Analyse von menschlichen Reaktionen auf eine radikale Kurve im Fluss ihres Lebens und der daraus resultierenden Dekonstruktion der vermeintlichen Sicherheit der Charaktere.

An und für sich hat Ji-woon Kim diesen Prozess in "A bittersweet life" wesentlich schlüssiger veranschaulicht als sein Kollege Chan-wook Park der erst mit seinem jüngst angelaufenen „Sympathy for Lady Vengeance“ zu der Reife gefunden hat, die „Oldboy“ noch fehlte. Doch die übermächtige Erwartungshaltung nicht nur des koreanischen sondern auch internationalen Publikums sowie der Produzenten hat offensichtlich dazu geführt, dass Kim seinen Film nach einer stimmigen und fantastischen ersten Hälfte im ausgedehnten Finale beinahe zugrunde richtet. Doch der Reihe nach…

Man sollte sich nicht von der visuellen Opulenz, durch die „A bittersweet life“ von Beginn an auffällt, verführen lassen. Denn Kim ist sie (anfangs) tatsächlich nur Mittel zum Zweck. Sein Film ist über weite Strecken ein auf Augenhöhe ausgetragenes, aufreibendes Spiel mit der Macht und Menschen, die ihrer Faszination erliegen. Der Ball, der in diesem Spiel hin- und her geworfen wird ist Sun-woo (Byung-hun Lee) der zwar äußerlich aktiv mitspielt, innerlich jedoch in erster Linie mit seinem eigenen, unterentwickelten Selbstvertrauen zu kämpfen hat, das sich in unnahbarer Überheblichkeit und Distanz äußert.

Exakt bis zu jener Sequenz, in der sich Sun-woo mühsam aus dem Grab wühlt, in das ihn sein ehemaliger Laufbursche Mu-sung hämisch grinsend hat verschwinden lassen lebt „A bittersweet life“ von der introvertierten Spannung des Spiels und windet sich durch das Labyrinth einer der prägnantesten humanen Schwächen überhaupt: Dem Reiz der Macht und ihrer unversehenen Wechsel sowie der plötzlichen, aber erwartungsgemäßen Wankelmütigkeit des einsamen und von Sturheit (ein Selbstschutzmechanismus!) beseelten Sun-Woo.

Hätte Ji-woon Kim diesen roten Faden bis zum Ende seines Filmes gespannt, „A bittersweet life“ könnte großes Kino jenseits tumber Rache-Action von der wir in letzter Zeit wahrlich genug hatten, sein. Doch der Regisseur scheint seinen Charakteren und den für sie verantwortlichen Schauspielern nicht zu trauen: Im Finale kommt der Freund asiatischer Revenge-Thriller voll auf seine Kosten: Es regnet Scherben und Blut, es sprühen die Funken, fliegen die Fäuste und Kugeln- das alles durchaus eindrucksvoll und übertrieben ästhetisch in Szene gesetzt. Doch zu diesem Zeitpunkt hat sich der besonnene Zuschauer längst verabschiedet. Den von ihm dick mit feinster Marmelade bestrichenen Toast fegt Kim achtlos vom Tisch- und bekanntermaßen fallen Toastbrote immer auf die Butterseite- ungleiche Verteilung des Gewichts. Pünktlich zur Halbzeit liegt „A bittersweet life“ also auf dem unbestrichenen Rücken- und zappelt wie verrückt. Doch auf die Beine kommt er nicht mehr, die Butterseite bleibt nach unten gekehrt.

Das kunstvolle und denkwürdige Gespinst, das Kim zuvor um seine Figuren gesponnen hat wird von dem grobschlächtig und comichaft inszenierten Rachefeldzug Sun-woos weitgehend zerstört. Tarantinoeske, völlig deplazierte Coolness, eine der aufmerksamen Beobachtung in Hälfte eins widersprechende Zelebrierung krachender Action und stilisierter Tötungen und- besonders nachteilig- völlige Missachtung der bislang angewandten dramaturgischen Stilmittel machen sich breit und schmarotzen an der einst sehr wohl auszumachenden Glaubwürdigkeit von Sun-woos emotionaler und mentaler Entwicklung. Auch seine Zuneigung zu der untreuen Geliebten seines Boss’ Kang verliert zunehmend an Bedeutung, ganz so als sei deren Charakter nur Futter, um eine Grundlage für die klassische Revenge-Story zu schaffen, die in der zweiten Halbzeit allen Raum einnimmt.

„A bittersweet life“ ist eine optisch äußerst appetitliche Mogelpackung. Ji-woon Kim hätte zwischen einer der folgenden Optionen wählen müssen: a) Anbiederung beim großen Publikum durch verkrampft-lässige, harte Action oder b) ein Psychogramm eines Menschen, der an der eigenen Unsicherheit, Unterdrückung und der ihn einengenden Machtgier seiner Mitmenschen zerbricht. Diese beiden Optionen zu vereinen hätte sich nicht einmal schwierig gestalten müssen und sicherlich eine Option auf überzeugende Klasse statt halbherziger Masse eröffnet. Das allerdings wäre wohl auf Kosten des Erfolgs gegangen und der scheint im koreanischen Mainstream-Kino leider- ebenso wie im amerikanischen- immer noch absolute Priorität zu besitzen (eigentlich nur natürlich, aber dennoch bedauerlich). Das Ji-woon Kim nicht in der Lage war, ernst zu bleiben (der leise und treffende Humor des Films soll sich hier allerdings nicht angesprochen fühlen), eint ihn mit seinem Kollegen Chan-wook Park, dem dies in dem extrem zwiespältigen „Oldboy“ ebenfalls nicht wirklich geglückt ist. Sehenswert ist „A bittersweet life“ trotz alle dem unbedingt. Die Energie, die Beobachtungsgabe und sichere Hand, mit der Kim die erste Hälfte seines Films gestaltet hat relativiert die negative Subversion der zweiten weit genug um von einem guten Streifen sprechen zu können. Er hätte aber auch das Zeug zum Meisterwerk gehabt. Wenn das Wörtchen wenn nicht wär… Hätte, hätte, hätte...
 
Schade, sehr schade! Trotzdem schön…

Details
Ähnliche Filme