Review

Der neuste Exportschlager aus Südkorea soll es sein. Bei mir schlägt er einmal mehr erwartungsgemäß nicht so ganz ein. Dabei kann ich Kim Ji-woon („A Tale of Two Sisters”) gar keinen wirklichen Vorwurf machen, denn sein Genrewechsel, vom Mysteryhorror zum klassischen Revenge-Thriller, ist gelungen, nur bin ich eben leider ein extrem ungeduldiger Zuschauer, der nur bedingt für Verständnis für Kim Ji-woons anfängliche Gemächlichkeit aufbringen kann. In der in der ersten Hälfte des Films wirkt soviel Poesie und Melancholie auf die Bilder ein, dass mein Blick verdächtig oft Richtung Uhr abschweifte. Sei es drum.

Die Hauptrolle besetzte er mit Lee Byung-hun, der einst in „Joint Security Area“ positiv auffiel und nun zumindest rein vom Motiv her auf den Spuren von „Old Boy“ wandert. Das Thema Rache ist aber auch die einzige wirkliche Gemeinsamkeit.
Sein Ego Sun-woo ist ein Mann fürs Grobe, der immer dann zur Stelle ist, wenn sein Gangsterboss Mr. Kang (Kim Yeong-cheol) ihn ruft. Sei es um unliebsame Gäste aus dem Restaurant zu vertreiben oder halt seine junge Geliebte zu observieren. Kang hat sie nämlich in Verdacht einen Lover zu haben und soll recht haben. Doch sein getreuer Sun-woo, selbst solo und introvertiert, gibt den beiden eine Chance. Wenn sie sich nicht wiedersehen, überleben sie beide. Kang bekommt den Verrat an seiner Person spitz, setzte seine Männer auf seinen enttäuschenden Ziehsohn an und lässt ihn foltern. Doch Sun-woo entkommt und sinnt auf Rache...

Das hört sich zunächst schnittiger an, als „A Bittersweet Life“ lange Zeit eigentlich ist. Viel Zeit wird in den einsamen Sun-woo investiert, der immer von einer Leere umgeben zu sein scheint. Seine Arbeit erledigt er ohne eine Miene zu verziehen, aber wenn er nachts mit seinem Wagen durch die Gegend kutschiert und beobachtet, entdeckt man hinter seiner bröckelnden Fassade plötzlich Einsamkeit und ungeahnte Emotionen, die sich kurzfristig auf zwei Verkehrsrowdys abladen.
Sein Chef mag ihn wegen seines rationalen Denkens und muss plötzlich feststellen, dass er ausgerechnet sein verlässlichsten Mann in eine Lage gebracht hat, in der diese Denkweise aussetzt und Zuneigung, Liebe und Mitleid zu Tage gefördert werden. Dinge, die er gar nicht zu kennen schien. Sun-woo sieht das Unrecht, dass den beiden wiederfahren würde und beschließt es zu verheimlichen. Ein Fehler!

Die zweite Hälfte ist eine klassische Revenge-Story. Sun-woo wird gefoltert, verstümmelt und lebendig begraben. Er krabbelt wieder heraus, damit er seinem Chef gefälligst Rede und Antwort steht, warum ihm dieser Fehltritt nicht Leid tut. Doch seinem Chef, dem Menschlichkeit fehlt, dies zu erklären, wäre ohnehin sinnlos. Als prügelt er sich gen Freiheit und schnappt sich die nötigen Waffen. Auge in Auge will er ihm die gleiche Frage stellen: Warum hast du das getan?

Kim Ji-woons harte, kalte Optik ist deprimierend und fängt damit gut die Stimmung des einsamen, verletzlichen Protagonisten ein, der voller Schmerz und Trauer agieren muss. Ein Grossteil der Handlung spielt bei Nacht, ständig regnet es, überall steigt Wasserdampf auf. Diese pessimistischen Bilder drücken noch weiter auf die negative Stimmung und ziehen den Zuschauer mit runter zu Sun-woo, der seine Abrechnung vorbereitet.

Die Action ist ästhetisch, darin steckt auch ein bisschen Woo. Kim Ji-woon beginnt nicht den Fehler ihn zu kopieren, aber er lässt auch seinen Protagonisten inmitten seiner Metzelarie innehalten, um blutüberströmt eine Träne über die Wange laufen zu lassen. Das Finale, da gebe ich meinem Kollegen Dr. Phibes recht, erinnert von seiner Ausgangslage ein wenig an „Scarface“, doch der Charakter ist ein anderer. Sun-woo stirbt auf verlorenem Posten und zieht alle mit sich, die er mitnehmen kann. Die Schüsse hallen und die Einschüsse spritzen zu klassischer Musik. Im Schluss stecken Feingefühl und Emotionen, während die brutale, blutige Folterung und Sun-Woos Flucht, in der er seine Martial-Arts-Fähigkeiten zum Besten gibt und mit Fackeln seine Gegner versengt, rohe, wilde, instinktive Kämpfe um sein nacktes Überleben sind.
Erst danach hat er Zeit seine Emotionen soweit wie möglich zu ordnen und einen Plan zu schmieden.


Fazit:
Wäre nicht die erste, nicht langatmige, aber zu detaillierte Hälfte flotter, wäre „A Bittersweet Life“ auch etwas für mich gewesen. Die zweite Teil, in dem der traurige Sun-woo sein blutiges Handwerk verrichtet, kann nur mit seiner eingangs ausführlichen Charakterisierung funktionieren, meine Ungeduld hätte sich dennoch eine kompaktere Exposition erwünscht. So bleibt immer noch ein sehr emotionaler Film, der ganz der ruhigen Filmmentalität der Asiaten, die sich gern Zeit für ihre Figuren nehmen, entspricht. Ein Charakter zum Mitfühlen, dezenter, wenn auch ab und an unpassender Humor, sowie eine herzzerreißend bemitleidenswerte Figur, der ihre ohnehin nicht allzu großer Lebenswillen (mangels Lebensziele) genommen wird und die so zu einer erbarmungslosen Kampfaschine transferiert wird. Niederschmetternd, pessimistisch und ganz sicher nichts für den gemütlichen Filmeabend, denn dazu bleibt „A Bittersweet Life“ sich selbst zu treu. Gibt es Hoffnung? Nein!

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