Review

„Wer Visionen hat, sollte besser zum Arzt gehen“ – so das wohl berühmteste Zitat des unbegreiflicherweise immer noch hochgeschätzten Altkanzlers und paradigmatischen Exponenten des auf den Grundsätzen des realpolitischen Zynismus erbauten Establishments Helmut Schmidt. Erfreulicherweise setzt im vorliegenden Film gegen ebensolchen Zynismus ausgerechnet Schlagersänger Christian Anders ein manifestes Zeichen, man könnte sogar sagen ein zwischen beißendem Sarkasmus und depressivster Resignation oszillierendes flammendes Fanal. Dabei ist schon die Wahl der filmischen Gattung, in der Anders seine Botschaft vorträgt, nahezu genial zu nennen, bezeichnet sie doch exakt genau den Ort, an den die eine und einzige Vision, die allen Religionen und heilsamen Weltanschauungen zugrunde liegt, die Vision universaler Liebe und Verständigung, in unserer gefühlskalten und im Machbarkeitswahn zur Tatenlosigkeit erstarrten Gesellschaft verbannt wurde: die Gosse der Lächerlichkeit. Was wäre also als Rahmen einer Konfrontation des großen Traums Martin Luther Kings und anderer großer Denker mit der modernen politischen Wirklichkeit besser geeignet, als die primitivste, ästhetisch bis zur fast lächerlichen Groteske übersteigerte Sexploitation? Daß Anders dabei eine Ikone dieser Gattung, Black Emanuelle Laura Gemser, aus den Krallen übler Stümper wie Joe d’Amato entreißen und sie zum Medium seiner Vision universaler Liebe machen konnte, war ein weiterer Kunstgriff, der zur Qualität des Films erheblich beiträgt.Dessen Handlung ist schnell erzählt: Anders selbst spielt den erfolgreichsten Prediger einer von der charismatischen Gemser angeführten religiösen Vereinung die angesichts des nahenden Endes (verstehe: des immer weniger zu cachierenden moralischen Bankrotts der modernen Konsumgesellschaft) alle gesellschaftlichen, ja zivilisatorischen Fesseln abstreift und sich zurückbegibt in die natürliche Unmittelbarkeit nicht durch die dekadenten Hybridkonstrukte von Privatsphäre, Eigentum oder Individualität eingeschränkter universaler Kommunikation und Liebe. Das Besondere an der Darstellung ist dabei die genau der Gattungswahl entsprechende Gebrochenheit, in der die praktische Verwirklichung dieser Vision, ihre tatsächliche Durchführbarkeit unter dem Oktroi moderner Praktikabilitätsideologie erscheint. Hier nötigen wirtschaftliche Zwänge nicht nur die Prediger der Vision dazu, zu deren Verbreitung auf die allerübelsten Methoden (Gewalt, Prostitution etc.) zurückzugreifen, sondern sogar die Charismatikerin selbst ist nicht in der Lage, ihrem hohen Ideal standzuhalten: Nach anfänglicher Selbstgeißelung verfällt sie selbst immer mehr den ausbeuterischen Verhaltensmustern ihrer vom Egoismus zerfressenen Umwelt und wird auf diese Weise gezwungen, den in ihr immer heftiger tobenden Konflikt zwischen Ideal und Wirklichkeit durch die Flucht in den tragischen Massenselbstmord zusammen mit ihrer Sekte zu beenden. Ebensowenig vermag dann auch ihr einstiger Lieblingsjünger Anders den Anfeindungen der visionsfeindlichen Umwelt standzuhalten. Sein Fall schildert meisterhaft die diabolischen Mechanismen, die ihn genau bei seinen Idealen Liebe und Mitgefühl packen, jedoch nur um ihn auf deren egoistisch pervertiertes Schattenbild festzunageln, wie es auch sonst in der modernen Gesellschaft gepflegt wird: Stein des Anstoßes wird für die Charismatikern wie ihren Prediger eine reiche Senatorentochter, in deren Ausbeutung für erstere die einzige Möglichkeit zu liegen scheint, eine wenigstens punktuelle Realisation der Utopie wirtschaftlich wie politisch zu sichern, und deren Naivität und Schutzbedürftigkeit letzteren im Gegenzug in ein falsch verstandenes Beschützerverhältnis drängt, welches ihn schließlich dazu verführt, vom Ideal universaler Liebe abzufallen und sich mit dem restlichen Herdenvieh vom Staatsapparat in die bourgeoise Zweierbeziehung zwängen zu lassen.Was also auf der Leinwand als in krassesten Farben überzeichnetes und an Klischeehaftigkeit kaum zu überbietendes Happy End stilisiert erscheint, meint in Wirklichkeit nichts anderes als die Tragik des katastrophalen Scheiterns und der unvermeidlichen Selbstperversion des Versuchs, das gemeinmenschliche Ideal universaler innigster Gemeinschaft in unserer Zeit wirklich konsequent zu verwirklichen. Was bleibt, ist also nur ein blitzlichthaftes Aufleuchten des Besseren: Die Utopie kann heute eben nur noch punktuell topisch werden, doch für die Vorstellung eines solchen Punktes haben wir Anders zu danken: 10/10.

Details
Ähnliche Filme