You flood my world with all the colors…
Irgendeine Kleinstadt in den USA, 1936; die Welt ist in Ordnung. Jimmy Harper (Christian Campbell) ist ein braver Highschool-Junge und hat eine Freundin, die für ihn die große Liebe is. Mary Lane (Kristen Bell) ist ein aufgewecktes, von Naivität geküsstes Kleinstadtmädchen und selbstverständlich ganz fasziniert von ihrem Jimmy. Eines Mittags trifft Jimmy auf den Haschdealer Jack (Steven Weber) und geht mit in dessen Haus. Dort trifft Jimmy auf Jacks Frau Mae (Ana Gasteyer), das leichte Mädchen Sally (Amy Spanger) und den auf Droge hängen gebliebenen Ralph (John Kassir). Gemeinschaftlich drängen sie Jimmy zu seinem ersten Joint und die Spirale des Irrsinns nimmt ihren Lauf. Jimmy verliert den Boden der Realität unter den Füßen und entfremdet sich von seinem Leben. Nach einem Unfall kommt Jimmy zur Vernunft und kehrt zu seiner angebeteten Mary Lane zurück, um sein Leben wieder in alte Bahnen zu lenken. Jedoch hat er seine Zukunft schon verwirkt, so dass er sich erneut von Jack und seinem Stoff locken lässt. Diesmal allerdings folgt ihnen Mary Lane, aus Sorge um die Aktivitäten ihres Schatzes, in den Sündenpfuhl, was eine tragische Entwicklung in Gang setzt.
Ein Filmmusical? Über Kiffer? Wie kommt einer, der sich mit dem Musical-Genre nie identifizieren konnte, dazu, hier neun Punkte zu vergeben? Der Grund ist schlichtweg der, dass „Reefer Madness“ trotz seiner inhaltlichen und filmerischen Andersartigkeit seinen Wert nicht aus der Kuriosität zieht. Es ist ein Musical mit einer spannenden, herzzerreißenden Geschichte, garniert mit Rock-Musik, tollen Melodien und humorvollen Texten sowie hintergründigen Gags. „Reefer Madness“ ist ehrlich, überdreht, und gibt als Gesamtbild einen konsequent erzählten Film ab, der Spaß macht. Sogar derartig viel Spaß, dass er den Zuschauer schlicht und einfach breit macht.
...of the Sunday funnies
Wichtig zu erwähnen wäre, dass entgegen dem Titel, der Film keine typische Weed-Komödie ist, die vom Kiffen, berauschten Plantagenbetreibern, misslungenen Deals oder witzigen Geschichten drum herum handelt. Vielmehr handelt es sich hierbei um einen Film, der voller Tragik steckt, da es in der Geschichte um eine junge Liebe geht, die für Nichts im Klo runtergespült wird. Die allerletzte Klientel, auf die „Reefer Madness“ zugeschnitten ist, sind definitiv Kiffer. Der Film lässt quasi am Kopf kein gutes Haar, indem er Konsumenten entsprechender Substanzen als Nutten, unmoralische Menschen, und letztlich als eine Horde von Zombies portraitiert. Ob dies der Wirklichkeit nahe kommt, überlasse ich dem Auge des Betrachters. Jene Konsumenten werden über den Film am wenigsten lachen, dafür aber alle anderen!
Die Story basiert auf einem gleichnamigen US-Lehrfilm aus dem Jahre 1936, der von einem jungen Pärchen handelt, das sich sein Leben und seine Zukunft mit dem Genuss von Marihuana kaputtmacht. Viele Schlüsselszenen und markante Zeilen aus dem alten Film finden sich natürlich auch in diesem Filmmusical wieder. Der alte Lehrfilm hat einen Erzählrahmen, in dem an einer Schule für die Eltern über die Gefahren von Marihuana referiert wird, und die Handlung dieser Ausführung stellt dann der Lehrfilm dar. Gleiches findet sich auch im Musical. In der Rahmenhandlung hält der Referent (Alan Cumming) an einem Elternabend eine Vorlesung über den Verfall von Sitten und Anstand mittels des exemplarischen Filmes über Jimmy Harper.
Die schwarz-weißen Zwischenszenen, die aus der Lesung stammen, gliedern die einzelnen Abschnitte der Erzählung um Jimmy und Mary Lane und geben ein Feedback zu einzelnen Erzählabschnitten. Stellenweise wird die Rahmenhandlung in die Lieder eingebunden, so kippen Personen bei der Sichtung des Filmes vom Stuhl oder sie singen vereinzelt einfach mit. Alan Cumming tritt im Verlauf des Filmes auch in vielen kleinen Rollen als Kommentator oder Mitwirkender der Szenerie auf.
Softer than a pillow…
Sehr humorvoll ist die extrem stereotype Übertreibung der Hauptfiguren. Pointierte stereotype Verhaltensweisen und absolute Missgriffe, spiegeln diesen Umstand durchgängig wider. Als böses Beispiel sei genannt, wenn etwa die süchtige Schlampe das Tragebettchen mit ihrem Baby auf eine Gasflamme stellt und das Ergebnis (dem Baby passiert nichts) dennoch nicht realisiert. Solche und weitere überzogene Charakterzeichnungen tragen zum Komödienspektakel bei. Des Weiteren ist der Film garniert mit Attacken von Zombies, die in zwei Gesangseinlagen herbeiphantasiertes Handlungsumfeld darstellen. Dies ist besonders lustig, da die bedrohlichen Untoten alle mit einem glimmenden Dübel versorgt sind und so der Ursprung ihres Daseins geklärt wird.
Die Rahmenhandlung ist nicht weniger unterhaltsam, wenn Alan Cumming den Elternabend mit herrschenden und provozierenden Ausführungen füllt, um seine Zuhörer mit dem Titellied „Reefer Madness“ zu schockieren und am ideologischen Ball zu halten. Oder eine hinreißend spielende Kristen Bell, deren Charakterentwicklung vom Typus Kleinstadt-Liebchen zum ungezogenen Luder in der Szene „Little Mary Sunshine“ im Domina-Aufzug gipfelt. Ähnliches gilt für Christian Campbell, der von bloßer Ahnungslosigkeit gesegnet in „The Orgy“ den Abstieg in den Kifferwahn nimmt. Christians bekanntere Schwester Neve übernimmt auch eine kleinere Rolle und legt zusammen mit Steven Weber in „Down at the Ol' Five and Dime“ eine flotte Sohle hin. Ein musikalischer Happen ist das Duett „Mary Jane/Mary Lane“ (Mary Jane synonym zu Marihuana). Als ein Höhepunkt trumpft der 8-minütige Abschnitt „Murder“ auf, der von einem fesselnden Lied, sich manifestierenden Schuldkomplexen, einem blutigen Fressflash, bis hin zur Auferstehung der verheizten Seelen so ziemlich alles zusammenfasst, was „Reefer Madness“ großartig macht.
...stuffed with bunnies
So infernalisch sich das Ganze anhört, es bleibt doch immer in einem humorvollen Rahmen. Der Film ist so gestaltet, dass er seine Bühnenfähigkeit nicht völlig aufgibt. Die Zombies hüpfen rum, bedrohen die Akteure, stellen allerdings viel mehr eine grausige Illusion und Unterstützung als Chor für die entsprechenden Szenen dar, als sie eine Gefahr sein sollen. Auch sexuelle Handlungen werden symbolisch ausgeführt, da sie keine Relevanz für den Erzählfluss haben. Somit spielt der Film mit der Illusion der Verrohung, ohne sich explizit in diese Gefilde zu begeben. Dies hat der Film von 1936 nicht anders gemacht und das Stück nimmt diese Herangehensweise ebenfalls auf. Die Konvention, die das Bühnenstück hier mit dem Medium Film eingeht, sind intermittierende Szenenschnitte und schnellere Ortswechsel, die freilich zur Dynamik beitragen.
with a deadly stick of reefer in their hand
Der Film macht eine Gratwanderung zwischen totalem Overkill, der dem Genuss von Gras zugeschrieben wird, und einer ordentlichen Portion Kritik. Diese wird in alle Richtungen verschossen und greift diverse politische sowie ideologische Absolutismen an. Der Film erlaubt es sich allerdings nicht, konkrete Statements vorzubringen. Die Inhalte des Filmes vermengen vielmehr die Persiflage über den gleichnamigen Lehrfilm von 1936 mit einem satirischen Abbild des Lebens zu dieser Zeit und drehen das mit guter Musik durch die Mangel. Am Ende steht ein Film, der den Zuschauer auf einen Trip schickt, mit einer guten Story, Witz, mitreißenden Tracks und einem spaßerfüllt spielenden Ensemble.
Einige der Darsteller spielten ihre Rollen schon auf der Bühne, als das Musical seine Zeit in L.A.(1998) und auf dem Off-Broadway in New York (2001) verlebte. Was die Hauptdarsteller betrifft, so ist Christian Campbell seit L.A. mit dem Stück verbunden. Kristen Bell, die vor ihrer Arbeit im Filmbusiness an der NYU Musical Theatre studierte und auf der Bühne tätig war, stieß in der New Yorker Spielzeit dazu. Beiden Hauptdarstellern sieht man den Spaß an und ihre gesangliche Performance ist grandios. Die vorliegende Filmversion ist eine Produktion, die eigentlich für den US-Kabelsender Showtime für 25 Millionen $ umgesetzt wurde und in Deutschland einen Kinostart zugestanden bekam.
Was von den 17 Gramm übrig blieb
Das Gesamtwerk ist ein Mix aus Comedy, Drama, Horror und Satire, mit einer Reihe von Musikstücken mit nachhaltigem Hörwert. Und es ist ein Film, den man alle paar Wochen gerne wider einlegt, um sich seine Favoriten von Szenen und entsprechenden Liedern zu Gemüte zu führen. Auch erwische ich mich immer wieder dabei, wie ich zwischendurch bei der Erledigung von Alltagsaufgaben „Creeping like a communist, it's knocking at our doors - turning all our children into hooligans and whores“ und entsprechende Folgezeilen schmettere oder mir eines der anderen Lieder auf den Lippen liegt. Die meisten der 15 Tracks im Film (+ zwei Tracks im Abspann) haben vereinnahmende Qualitäten. Die Szenen dazu sind markant und schön durchdacht.
Freilich ist das Gesamtergebnis, sowohl von der Inszenierung, der Musik, als auch bezüglich zwei zu fröhlich ausfallender Tanzeinlagen, nicht für jeden das Richtige. So ähnlich wie man etwa an „Team America“ herangehen muss, sollte man eine gewisse Freigiebigkeit mitbringen, um dem Reigen folgen zu wollen. Hat man den Spaß daran allerdings einmal gefunden, verliert man diesen nicht so schnell.
Und sie alle erheben sich aus ihren Gräbern und suchen Mae heim:
“Open the gate and abandon hope - With the ghosts of the kids that got hooked on dope”
“Now I see them, Jack! - And they all want their childhoods back! - We murdered them, Jack!”
“Murdered them! Murdered them! Murdered them! Murdered them!”
Berauschend!