Willkommen in Dröhnland!
Zunächst ein kleiner Ausflug in die Haschtorie des berauscht-berauschenden Films…
Irgendwann so um 1935/36 produzierte ein Grüppchen streng gläubiger Christen einen kleinen Schwarz-Weiß-Heuler namens „Reefer Madness“, in dem ein armer, sauberer, amerikanischer Teenager nach einem Zug an einem Joint sich schlibberdiewichs in ein kicherndes und sabberndes Etwas jenseits von Moral und Anstand verwandelt und lässt diese ultraflache Moralpredigt realreaktionärer Konservativer dann in Mord und Selbstmord, Schuld und Sühne enden.
Als die Marihuanahat Anfang der 40er ihren Höhepunkt erreicht, kommt der Streifen, der auch den signifikanten Titel „Doped Youth“ trug, sogar in die Kinos…schlechte Schauspieler und Schmierenkomödiantentum inclusive.
Gut 30 Jahre später, ungefähr 1971/72 entdeckt ein Fan, der gleichzeitig Filme für sogenannte „Midnight Movies“ bucht, also spezielle, schräge Filme für die Spätvorstellung im Land der unbegrenzten Möglichkeiten, dass die Rechte verfallen sind und erwirbt eine Kopie – und macht „Reefer Madness“ in all seiner schlechten Billigkeit zum kleinen Kurzfilm.
Und das war nicht das Ende – der Kultfilm wird Vorlage für ein Off-Broadway-Musical – zu dem es jetzt den Film gibt…wortgetreu übersetzt mit „Kifferwahn“!
So, die Wirkung lässt nach und deswegen zurück in die Gegenwart!
Normalerweise verramscht ja der Verleih solch Spezialware gern als DVD-Premiere, aber hier kam es zu dem seltenen Glücksfall, dass es eine Kinoauswertung geben wird – und „Arthouse“ steht dick drüber.
Nein, „Kifferwahn“ ist nichts für einen Multiplex – dafür müsste das Publikum des 21.Jahrhunderts schon mal weg von den ach so gemütlichen Vorstellungen des hollywoodesken Formatkinos – aber gäbe es noch eine Mitternachtsschiene, wir hätten einen sicherlich ein paar Feste zu erwarten.
„Reefer Madness“ wendet sich an die schräge Minderheit der Filmbuffs, die Leute, die noch etwas erleben wollen, was sie nicht in dutzendfacher Ausführung schon ähnlich anderswo gesehen haben. Dabei haben die Musical-Autoren den Originalfilm als Blaupause genommen, in dem ein ur-amerikanisches Teenagerpärchen den Folgen des Marihuanakonsums anheim fällt, daraufhin ständig augenrollend, wiehernd lachend, ununterbrochen essend und sexuelle Freizügigkeit (= Perversion!!!!!) genießend, in die Illegalität abrutschend, bis alles in Mord und Totschlag endet. Eingefaßt wird dieses Moralstück in einer Rahmenhandlung, in der ein angeblicher Wissenschaftler dies einer Gruppe von besorgten Eltern in Schmalfilmform präsentiert.
Das alles wird aber dermaßen bizarr und überzogen präsentiert, dass sich die exzessiven Musicalnummern schon fast harmlos dagegen ausnehmen. Bis zur Schmerzgrenze der Absurdität geht der Humor, wenn die gekrönte Haschschlampe (dargestellt von Amy Spanger) erst nach erledigter Orgie gegen alles rennt, was irgendwie im Weg steht, anschließt ihr Baby nachlässig auf dem offenen Herd grillt (oder zumindest das Bettchen), um dann kurz darauf an einen sinistren Opiumchinesen zu verhökern, der schon mal mit Essstäbchen winkt.
Nichts ist hier heilig, nichts ist sicher und jeder soll sein Fett weg bekommen. Seitenhiebe auf die bigotte amerikanische Mittelschicht (und ihren intellektuellen Stand) sind da ständig an der Tagesordnung, der tägliche Rassismus wird zur allgegenwärtigen Zielscheibe, die Hauptcharaktere sind (zu Beginn) so porentief rein, wie es sich nur ein erzreaktionärer Republikaner wünschen kann.
Das Heil liegt natürlich wie immer in der (christlichen!!!!!) Religion, die aber in einer ungemein schmissigen Musiknummer mit dem coolsten Jesus seit dem „Kumpel Jesus“ aus „Dogma“ auch ihr Fett weg bekommt.
Bekommt man von der Überzogenheit schon Augenflimmern, gibt’s da noch die zahlreichen Musicalnummern, die relativ erfolgreich zwischen Jazz-Hippness, feurigen Klängen, Lloyd Webber und saccharinsüßer Grease-Selilgkeit schweben, wenn es dabei nicht um Orgien, Drogenmissbrauch, Sado-Masochismus, Liebe und Tod, Schuld, Sühne und krampfartige Naivität ginge. Ein bis zwei Lieder weniger hätten dem Film sicher gut getan, aber ein paar Ohrwürmer sind trotzdem drin.
Knackebunt, wild und aufgedreht, schmissig, angereichert mit extrem bissigen und bisweilen bis aufs Blut pointierten Texten, spult sich die Story ab, wobei die Macher nicht vergessen haben, dass man in modernen Zeiten die enorm-absurden Ängste eines braven Publikums am besten mit einer deftigen Prise Gore stimulieren kann – Regisseur Andy Fickman (sic!) lässt es deftig spritzen, wenn Story und Moral danach verlangen.
Ob der Film als Parodie funktioniert, ist sicherlich diskutabel.
Das Original bezog seinen Kultstatus eben gerade aus seiner offensichtlichen Plattheit und der schlechten Schauspielerei – dies wird hier methodisch ausgeweidet, so dass der Spaß am schlechten Geschmack (John Waters wird der Film gefallen) sich offensichtlich um den ach so wichtigen Kultfaktor bemüht, um den Mitternachtseinsatz buhlt – was nicht im Sinne dieser besonderen Filme ist oder nie sehr gut funktioniert hat. Ist es dann eine Hommage an diese Zeit, die seit dem Aufkommen von VHS und DVD vorbei ist? Die Zeit wird es zeigen.
Aber immerhin bricht „Kifferwahn“ noch genug Konventionen, um Zuschauer scharenweise aus dem Kino zu treiben und dafür muß man ihn einfach lieben, für die over-the-top-Abartigkeit und den schlechten Geschmack – und die Farben…Farben…
Wobei ich mich frage, ob nicht irgendwo in Deutschland ein analfixierter Familienbeauftragter bald auf den Trichter kommen wird, diesen Film als Hasch-Verharmlosung zu geißeln.
Und mit dieser Absurdität würde sich die Schlange dann in den historischen Schwanz beißen.
Denn Geschichte wiederholt sich: Up in Smoke: 8,5/10!